Hamburg, Staatsoper: LA FANCIULLA DEL WEST; 04.04.2025
Puccinis Western-Oper, eine seiner aufregendsten Partituren, mit Anna Pirozzi, Claudio Sgura und Gregory Kunde
Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Guelfo Civinini, Carlo Zangarini nach David Belascos Schauspiel | Uraufführung: 10. Dezember 1910 in New York (mit Enrico Caruso, Dirigent: Arturo Toscanini) | Aufführungen in Hamburg: 21.3. | 26.3. | 29.3. | 4.4.2025
Kritik:
Sie gehört – leider – immer noch zu den unbekanntesten Werken Puccinis, obwohl sie eine seiner besten Opern ist: Der Western LA FANCIULLA DEL WEST. Die reichhaltige, farbenreiche Instrumentation begeistert genauso wie die subtile Rhythmik, die Anklänge an Ragtime und Gospel, die einfühlsame Milieuschilderung des Schicksals und der Befindlichkeiten der Goldgräber in ihrer Männerwelt. Puccini komponierte in diesem Werk einen üppigen Sound, der eine immense Sogwirkung hat und diese Wirkung reisst einen umso mehr mit, je öfter man sich mit dem Werk befasst. So erlebte ich es auch diesmal in der Derniere der Wiederaufnahmeserie von LA FANCIULLA DEL WEST (Premiere war am 1. Februar 1915, die vorletzte Premiere dieser Oper in Hamburg fand übrigens 1931 statt, liegt liegt also bereits 94 Jahre zurück). Unter der fantastisch austarierten Leitung von Antonino Fogliani präsentierte sich das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in exzellenter Verfassung, vermochte genau die wunderbar schillernden, aufrührenden und stimmungsvollen Klänge zu produzieren, welche diese Oper auszeichnen. (Man spürte, aus welcher Quelle 80 Jahr später Andrew Lloyd Webber für die Soundeffekte seiner Musicals geschöpft hatte). Ja, klar fehlen in der Partitur Puccinis die ausladenden Arien, die Wunschkonzert-Hits, doch die quasi minimalen Melodien und Motive, mit denen Puccini es verstand, seine Oper zu konstruieren, bleiben im Ohr haften, erzielen eine mitreissende Wirkung. Davon zeugte nicht zuletzt der begeisterte Applaus des Publikums im keineswegs voll besetzten Saal. Die Vorstellung hätte wahrlich mehr Besucher*innen verdient gehabt. Denn nicht nur was aus dem Graben in den Saal strömte, war beachtlich, auch die Stimmen der Solist*innen und des Herrenchors der Staatsoper Hamburg (einstudiert von Christian Günther) waren tief beeindruckend. Anna Pirozzi war eine imponierende Minnie: Ihr Sopran von einer immensen Durchschlagskraft, doch in keinem Moment hart, schrill oder hysterisch klingend. Immer wieder fand sie zu herrlich getragenen Piani, voller Rührung (Bibelstunde, nach der Liebesnacht mit Dick Johnson). Frau Pirozzi ist wohl eine der gegenwärtig souveränsten Interpretinnen der Minnie. Der Tenor Gregory Kunde ist ein Phänomen am Tenorhimmel: Man hat das Gefühl, dass der seine Repertoire klug aufbauende Sänger immer besser wird, dabei hat er die 70 bereits überschritten. Seine Stimme blühte so richtig schön jugendlich auf, die Höhen waren in keinem Moment gefährdet, die Intonation bombensicher und die Rundung des Klangs und der Phrasierung waren schlicht perfekt. Mit seiner kurzen Arie im dritten Akt Ch'ella mi creda vermochte Gregory Kunde zu Tränen zu rühren – die Rolle eines Verbrechers, für den man echt Sympathie empfindet, Das kann Oper! Und auch für den Sheriff Jack Rance empfindet man irgendwie Verständnis, kein Wunder, denn Claudio Sgura zeichnete mit seinem herrlich strömenden Bariton ein gar nicht unsympathisches Bild dieses Mannes, eines Liebenden, der in der frauenlosen Gesellschaft der Goldgräber und bedrängt von den wirtschaftlichen Interessen von Wells Fargo für Ordnung sorgen muss. Das Protagonisten – Trio machte also wunschlos glücklich, und die für die Milieuschilderungen so wichtigen Nebenrollen, taten das ihrige dazu, dem Publikum einen musikalisch herausragenden, lange nachhallenden Opernabend zu ermöglichen: Andrew Dickinson als Nick, Han Kim als Ashby, Tigran Martirossian als Sonora, Paul Kaufmann als Trin, Nicholas Mogg als Sid, Charles Rice als Bello, Mzwamadoda Sipho Nodlayiya als Harry, Ziad Nehme als Joe, William Desbiens als Happy, Grzegorz Pelutis als Larkens, Mateusz Lugowski als Billy Jackrabbit, Aebh Kelly als Indianerin Wowkle, David Minseok Kang als Jake Wallace, Keith Klein als José Castro, Hayungjung Song als Postillon und Arthur Canguçu als Eine Stimme, sie alle fügten sich stimmlich hervorragend in diese puccineske Soundcollage ein, zeigten viel stimmlich individuelles Profil und liessen ihre Stimmen auch mal aufs Allerschönste verschmelzen.
Eine etwas stärkere Profilierung der unterschiedlichen Personen hätte man in der Inszenierung von Vincent Boussard (im Bühnenbild von Vincent Lemaire und mit den Kostümen des Modeschöpfers Christian Lacroix) gerne gesehen. Wie stets sind die Produktionen diese Trios schön und gepflegt anzusehen, auch das Ambiente ist stimmig gezeichnet mit der Bar in LA POLKA aus einer Eisenbahnschiene, der schief in den Raum gestellten Hütte Minnies in den Bergen (wo allerdings der Kronleuchter etwas befremdet in so einer Umgebung und zudem nach der Liebesszene noch zu tief hängt, so dass er die Sicht auf die Matratze verdeckt). Leider ist die Personenführung etwas gar statisch und wie gesagt werden die unterschiedlichen Charaktere der Goldgräber wenig herausgearbeitet. Andererseits ist der Produktion zu gute zu halten, dass sie keine Rätsel aufgibt, auf unnötige Aktualisierung verzichtet und man Bühnenbild und Kostüme gerne anschaut und als sehr stimmig erachtet. Doch die explosive Wirkung, welch z. B. die beiden Inszenierungen in Zürich erreicht hatten (von David Pountney 2010 und von Barrie Kosky 2014 – nach Jahrzehnten ohne FANCIULLA gleich zwei Neuinszenierungen innerhalb von vier Jahren wegen eines zwischenzeitlichen Intendantenwechsels), erreichte Vincent Boussards Arbeit nicht ganz.
Inhalt:
Die Oper spielt zur Zeit des Goldrauschs in Kalifornien, Mitte des 19. Jahrhunderts.
In der Schenke zur POLKA, welche von der bei den Goldgräbern beliebten Minnie geführt wird, taucht ein Fremder auf. Er nennt sich Johnson, ist in Wirklichkeit aber der von Sheriff Rance und Agent Ashby gesuchte Goldräuber Ramerrez. Johnson und Minnie kennen sich von früher her, ihre Liebe flammt auf. Minnie nimmt Johnson mit zu sich nach Hause. Da erscheint der Sheriff. Auch er hat ein Auge auf Minnie geworfen. Johnson versteckt sich. Rance eröffnet Minnie, dass es sich bei Johnson um den berüchtigten Golddieb Ramerrez handelt. Minnie schickt Johnson fort, doch wird er vor ihrer Tür von einer Kugel getroffen. Erneut versteckt ihn Minnie in ihrem Haus. Mit dem zurückgekehrten Sheriff pokert Minnie um Johnsons Leben (heruntertropfendes Blut hat dem Sheriff den Aufenthaltsort Johnsons verraten). Mit Hilfe von Falschspielerei gewinnt Minnie die Pokerpartie. Doch die Jagd auf Johnson dauert an. Die Goldgräber sind bereit, Johnson zu lynchen. Im letzten Moment sprengt Minnie heran und stellt sich vor Johnson. Sie erinnert die Goldgräber daran, was diese ihr alles zu verdanken haben. Die Goldgräber sind gerührt, Johnson wird begnadigt. Minnie und Johnson verlassen die Gegend, um anderswo ein neues Leben zu beginnen.
Werk:
Puccinis Western-Oper enthält im Gegensatz zu seinen vorangegangen Werken - vielleicht mit Ausnahme des kurzen Ariosos von Johnson im dritten Akt Ch'ella mi creda - keine Hits. Deshalb erscheint sie wohl seltener auf den Spielplänen als BOHÈME, BUTTERFLY oder TOSCA. Dafür ist dem Komponisten eine stimmige Milieuschilderung gelungen, in welcher ein die Handlung vorwärtsdrängender Konversationston vorherrscht, der nur ab und an durch herrliche, ariose Aufschwünge unterbrochen wird. Die Musik ist durchzogen von leitmotivisch behandelten Themen und einer farbenreichen Instrumentation. Um die Atmosphäre des Goldgräbermilieus darzustellen, verwendet Puccini folkloristisch gefärbte Melodien, aber auch Elemente und Techniken aus der amerikanischen Musik, wie z.B. Ragtime und Cakewalk