Hamburg: LA FILLE DU RÉGIMENT, 19.10.2010
Opéra-comique in zwei Akten |
Musik: Gaetano Donizetti |
Libretto: Jean-François-Alfred Bayard und J.H. Vernoy de Saint-Georges |
Uraufführung: 11.Februar 1840 in Paris (Opéra-Comique) |
Aufführungen in Hamburg: 19.10 | 23.10. | 26.10.2010
Kritik:
Von einem rundum geglückten Opernabend ist zu berichten, einem Abend, an dem wirklich alles stimmte, vom spritzigen Dirigat über die einfallsreiche, wohltuend zurückhaltende und doch urkomische Inszenierung, von spielfreudigen und stimmlich hervorragend disponierten Sängerinnen und Sängern und einem ebensolchen Chor zu einem bestens gelaunten und herrlich beschwingt aufspielenden Orchester. Den Ausführenden ist es gelungen, alle Vorurteile gegen das Werk in den Wind zu schlagen. Selbst Hector Berlioz, welcher seinerzeit die Uraufführung mit spitzer Feder in Grund und Boden stampfte, wäre wohl bekehrt worden .... Regisseur Alexander von Pfeil, Kostümbildnerin Sharon Rohrhardt und Bühnenbildner Bernd Damovsky lassen das Werk in der Jetztzeit spielen, das napoleonische Regiment tritt in Uniformen von GIs auf, die alte Ordnung, das Ancien régime, wird offensichtlich zerstört, die Neuzeit und der gesellschaftliche Liberalismus halten Einzug, genau wie auch zur Zeit der Entstehung des Werks, als reaktionäre und fortschrittliche Kräfte (Bonapartisten versus Bürgerkönig) einander gegenüberstanden. Ein übrig gebliebener Rokoko-Tanzmeister (wunderbar agil Eric Miot) liegt lange Zeit unbemerkt unter dem herabgestürzten Kronleuchter in der Villa der Marquise begraben, wird schliesslich gerettet und darf zu Beginn des zweiten Aktes in einer wirklich umwerfend komischen Szene der „wilden“ Marie Manieren beibringen, scheitert aber letztlich kläglich an ihrer emanzipierten Art, welche auch vor kunstvoll ausgeführten Judo-Griffen nicht zurückschreckt. Diese Marie MUSS man gesehen und vor allem auch gehört haben: L´ubica Vargicová vereint stupende Koloraturtechnik, perfekte Pharasierung und Wohlklang mit begeisternder Darstellungkunst – überwältigend! Ihr Partner Dmitry Korchak steht ihr in nichts nach. Sein flexibler, hell timbrierter Tenor ist geradezu ideal für die hohe Tessitura des Tonio. Die vielen hohen Cs in der Cabaletta Pour mon âme schafft er problemlos, singt und spielt mit sympathischer Natürlichkeit. Es ist nur schwer verständlich, dass sich die Marquise nicht schon nach seiner mit viel Schmelz in der Kehle bewegend vorgetragenen Romanze Pour me rapprocher de Marie erweichen lässt. Atemberaubend sein reiner, auch im diminuendo perfekt sauber gehaltener Schlusston! Die einzige Person, welche im Verlauf der Oper eine Wandlung vollzieht, ist die Marquise de Berkenfield - von der um ihre Reichtümer besorgten, eingebildeten Adligen wird sie zur modern Frau mit Kurzhaarschnitt und Hosenanzug: Renate Spingler verkörpert sie stimmlich und darstellerisch überaus einnehmend. Herrlich ihr Couplet zu Beginn der Oper, wunderbar stützend wirkt sie in den Ensembles. Tigran Martirossian ist ein warmstimmiger Sulpice, der seine Marie mit Augenzwinkern umsorgt. Leider hat er keine eigene Arie, dafür gerät vor allem das wunderbare Terzett (Marie-Tonio-Sulpice) auch dank seiner tollen Stimme zu einem begeisternden, schmissig-lockeren Höhepunkt des Abends. Grossen Anteil am Gelingen hatten der Chor der Staatsoper und die Philharmoniker Hamburg unter der beschwingt-präzisen Stabführung von Florian Csizmadia.
Fazit:
Einem zu Unrecht als eher banal abgeschriebenen Werk wird mit dieser Aufführung die verdiente Rehabilitation zuteil. Unbedingt empfehlenswert.
Inhalt:
Marie, ein Findelkind, wurde von den Soldaten des 21. französischen Regiments gemeinsam aufgezogen und lebt als Marketenderin mit der Armee.
Während einer Schlacht in Tirol bittet die Baronin von Berkenfield den Hauptmann des Regiments, Sulpice, um Geleit zu ihrem Anwesen. Die Soldaten des Regiments haben gleichzeitig einen jungen Tiroler Bauern namens Tonio festgenommen, und es stellt sich heraus, dass er Maries Liebhaber ist. Da Marie nur einen Soldaten heiraten darf, tritt Tonio in die Armee ein. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Baronin Maries Vormund ist. Deshalb muss Marie das Regiment und Tonio verlassen, um eine adelige Erziehung zu erhalten.
Einige Zeit ist vergangen und die Marquise hat für Marie eine Hochzeit mit dem Sohn der Gräfin von Krackentorp eingefädelt. In einer Gesangsstunde soll Marie eine virtuose Belcanto-Arie singen, sie verfällt jedoch immer wieder auf die Hymne ihres 21. Regiments.
Tonio und das Regiment erscheinen auf dem Schloss, um die Hochzeit zu verhindern. Es stellt sich heraus, dass Marie das uneheliche Kind der Marquise ist. Da ebenfalls herauskommt, dass Marie keinesfalls auf einem Schloss aufgewachsen ist, sondern eine Vergangenheit als Regimentstochter hat, platzt die Hochzeit mit dem Baron von Krackentorp und der Weg ist frei für die beiden jungen Liebenden. Die Oper schließt mit einem Loblied auf die französische Nation.
(Quelle: Wikipedia)
Werk:
Seit den Auseinandersetzungen der Anhänger Glucks und Picinnis im Paris der 1770er Jahre, galt die Stadt an der Seine als Metropole der Oper. Die Musiktheater in Paris waren relativ reich an finanziellen Möglichkeiten, die Konservatorien genossen einen ausgezeichneten Ruf. Während der nächsten hundert Jahre ergriffen somit alle Komponisten von Rang die Gelegenheit, Werke in dieser Stadt herauszubringen, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bot: Von Cherubini über Paër zu Bellini, Rossini, Verdi und selbst Wagner folgten Musiker dem Ruf und den Verlockungen der Stadt der Künste. Donizetti begab sich 1838 nach Paris. Er galt damals bereits als führender Opernkomponist Italiens. Nach zwei gescheiterten Versuchen einer Uraufführung (L´Ange de Nisida und Le duc d´Alba) gelangte schliesslich die Regimentstochter an der Opéra Comique zur Uraufführung. Obwohl Berlioz in seiner Egenschaft als Musikkritiker das Werk verriss, setzte es sich beim Publikum durch und erreichte bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts über 1000 Aufführungen allein in Paris. Donizetti zeichnete seine Figuren äusserst liebevoll und sympathisch und komponierte eine eingängige, spritzige und witzige Musik. Allerdings gehören die Marie und der Tonio zu den schwierig zu besetzenden Rollen des Komponisten. Der Tonio muss über einen höhensicheren (die vielen hohen C in Ah! Mes amis), aber doch leichten und beweglichen Tenor verfügen, die Marie muss ebenso koloraturgewandt wie spielfreudig sein. Die Reihe berühmter Interpretinnen reicht von Jenny Lind über Lily Pons zu Joan Sutherland (gestorben Oktober 2010), Edita Gruberova und Natalie Dessay, herausragend als Tonio war vor allem Luciano Pavarotti. Heutzutage verkörpert Juan Diego Florez einen idalen Tonio.
Musikalische Höhepunkte:
Pour und femme de mon nom, Auftritt der Marquise, Akt I
Chacun le sait, Marie, Akt I
Ah! Mes amis, quel jour de fête, Tonio Akt I
Le jour naissait …, herrlich komische Szene zu Beginn des zweiten Akts
Pour me rapprocher de Marie, Romanze des Tonio, Akt II
Par le rang ... Salut à la France, Arie der Marie, Akt II
Tous les trois réunis, Terzett Marie - Tonio - Sulpice, Akt II
Oui! Quand le destin …, Finale Akt II