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Hamburg, Ernst Deutsch Theater: DIE GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN, 12.12.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Barkouf, Offenbach

copyright aller Bilder: Oliver Fantitsch, mit freundlicher Genehmigung Ernst Deutsch Theater Hamburg

Opéra bouffe in drei Akten | Musik: Jacques Offenbach | Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy | Uraufführung: 12. April 1867 in Paris | Aufführungen in Hamburg: bis zum 8. Januar 2023

Kritik: 

Genau so wie hier am kleinen aber feinen Ernst Deutsch Theater in Hamburg müssen die Opéras Bouffes aus Offenbachs Feder für das heutige Publikum auf die Bühne gebracht werden, dann beweisen sie ihre Daseinsberechtigung. Denn nichts wäre tödlicher für sie als gepflegte, moralinsaure Langeweile (siehe BARKOUF am Opernhaus Zürich). 

Der Regisseur dieser Hamburger Produktion, Anatol Preissler, hat zusammen mit seinem Team, den sieben umwerfenden Darsteller*innen, den vier Musikern, der Choreografin Kerstin Ried, den für Bühne und Kostümen zuständigen Heiko Mönnich respektive Ulli Kremer herausragende Arbeit geleistet. Das Ergebnis ist urkomisch, bitterböse, überdreht im besten Sinne und vom ersten Trockennebel (Schlachtennebel), der unter dem Vorhang hervorkriecht bis zur finalen Erkenntnis der Großherzogin "Wenn man nicht kriegen kann, was man liebt, liebt man eben was man hat" eine sich rasant abspulende Satire mit Biss!

Immer wieder führen die klugen, herrlichen Wortspielereien ("Sie sind Gesandter, aber sind sie auch geschickt?", " Da hat ja mein Jogurt mehr Kultur!") und aktuellen Bezüge (es wird von Sondervermögen zur Kriegsführung und Spezialoperation zur Entnazifizierung geredet) zu Lachern und Schmunzeln im Publikum. Der Regisseur hat ein exzellentes Septett an zwei Schauspielerinnen und fünf Schauspielern zur Verfügung, um diese gekonnte Offenbachiade, wo oben zu unten und unten zu oben wird, umzusetzen (man nennt dies das Inversionsverfahren, wie Volker Klotz in seinem lesenswerten Artikel im Programmhefte ausführt). In der Titelrolle begeistert die grandiose Schauspielerin und Musicaldarstellerin (u.v.a. Maria Callas in MEISTERKLASSE, Evita, Norma Desmond in SUNSET BOULEVARD, Tatort, Ein Fall für zwei) Daniela Ziegler (geb. 1948) mit einer Parforce Leistung als liebeshungrige, alterslose Großherzogin. Ihre wunderbar klingende, tiefe Stimme setzte sie für ihre mit unterschwelliger Laszivität vorgetragenen Arien und Couplets ganz fantastisch ein und bereichert die Ensembles mit ihrem unverwechselbaren Timbre. Verliebt ist sie in den Gefreiten Fritz,den sie flugs zum Generalmajor befördert. Da richtige Männer Gesichtsbehaarung brauchen, lässt er sich schnell einen Hitler-Oberlippenbart wachsen - und schon nimmt man ihn als an Chaplin erinnernde Slapstick-Parodie auf den unsäglichen Gefreiten aus Braunau wahr. Mark Weigel wird in dieser Rolle zum umwerfenden Sympathieträger, Aufstieg und Fall eines Emporkömmlings und mit voller Fahrt in die wohl zukünftig sich als Hölle erweisende Ehe mit Wanda schlitternd. Diese Wanda ist eine Quasselstrippe ohne Ende, Dagmar Bernhard macht das brillant, ihre ununterbrochen fließenden Wortkaskaden allein lohnen einen Besuch der Aufführung. Nachdem die Großherzogin realisiert hat, dass sie bei Fritz nicht landen kann, nimmt sie dann halt den nächstbesten zum Mann, den Prinzen Paul, der im Auftrag seines Vaters um sie freit. Dieser Paul ist eine schreckhafte Transe, tuntig von Anfang bis zum Ende - und echt komisch, herrlich gespielt von Jan Rogler. Die Verbindung zwischen Paul und der Großherzogin soll Graf Grog in die Wege leiten. Oliver Warsitz spielt ihn in einer Art Doktor Mirakel aus HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, gekonnt durchtrieben und amorph. Und komplettiert wird das Septett von den beiden Vertretern des Staates, dem General Bumm (bassgewaltig singend und eitel agierend Daniel Schütter) und dem Staatsminister Baron Puck, dargestellt von Frank Jordan, der dickwanstig im Rokoko-Kostüm über die Finanzen und die Intrigen wacht. Sie alle agieren mit einer bass Erstaunen machenden Präzision, einer augenzwinkernden Subtilität und füllen die Gesangsnummern mit charaktervollen Stimmen. Tjaard Kirsch hat das Ganze musikalisch arrangiert und spielt auch das Keyboard. Er liess auch eine Papageno-Tamino-Szene aus der ZAUBERFLÖTE in sein Arrangement einfliessen oder die Barkarole aus HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN als "Koffer-Duett" singen. Uwe Granitza und Felix Konradt steuern mit Posaune, Tuba, Euphonium und Kontrabass die nötigen instrumentalen Akzente bei und Helge Zumdieck gibt am Schlagzeug die Rhythmen vor.

Einen Besuch dieser rundum gelungene Offenbachiade kann man Jung und Alt empfehlen und ans Herz legen. Großartige GROẞHERZOGIN VON GEROLSTEIN!

Inhaltsangabe (Ernst Deutsch Theater Hamburg):

Die Großherzogin des Herzogtums Gerolstein will nicht länger von ihren Ministern wie eine unmündige Marionette behandelt werden. Selbstbewusst fordert sie mehr Macht und das Recht auf autonome Entscheidungen. Das ist ganz und gar nicht im Sinne von Baron Puck und General Bumm, die weiter ungestört ihre eigenen Ziele verfolgen wollen. Um die Großherzogin von den Staatsgeschäften abzulenken, wird kurzerhand einem Nachbarherzogtum der Krieg erklärt. Bei der Regimentsparade greift die Großherzogin den Soldaten Fritz heraus und unterläuft damit die Pläne der für sie vorgesehenen Heirat mit dem Prinzen Paul. Fritz ist allerdings in Wanda verliebt und erwidert die Avancen der Großherzogin nicht. Diese sinnt auf Rache.

Werk:

Jacques Offenbach (1819-1880) kam in Köln zur Welt. Bereits als 14jähriger kam er nach Paris um Cello zu studieren. Schon bald feierte er erste Erfolge in den Salons, als Virtuose und Komponist. Er war Cellist im Orchester der Opéra-Comique, wo der Dirigent Louis Fromental Halévy auf ihn aufmerksam wurde und ihm Kompositionsunterricht erteilte. Als Cello Virtuose erlangte Offenbach einige Berühmtheit. Offenbachs Talente führten ihn zur Position des musikalischen Leiters der Comédie Française. Er komponierte Schauspielmusiken und Lieder für diverse Stücke. Seine Popularität stieg. Bald schon gründete er seine eigene Theatercompagnie, die Bouffes-Parisiens. Es folgten Erfolgswerke wie ORPHÉE AUX ENFERS. LA BELLE HÉLÈNE oder LA VIE PARISIENNE. Zur Pariser Weltausstellung 1867 steuerte Offenbach seine Satire auf Militär, Krieg und Aristokratie LA GRANDE-DUCHESSE DE GÉROLSTEIN bei. Vorstellungen der GRANDE-DUCHESSE DE GÉROLSTEIN wurde im Verlauf der Weltausstellung u.a. von Kaiser Napoléon III., Zar Alexander II. und Otto von Bismarck besucht. (Nur drei Jahre später befanden sich Frankreich und Preussen im Krieg.) Es dauerte lange, bis eine Offenbach-Uraufführung endlich in der Opéra Comique stattfinden konnte, da man Offenbach nicht ernst nahm und seine Musik als Persiflage auf die heilige Kunst der Oper auffasste. BARKOUF, ROBINSON CRUSOE oder VERT-VERT fanden aber schliesslich doch die Gnade der Verantwortlichen der Salle-Favart (Opéra-Comique). Seine nicht ganz vollendet gebliebene Oper LES CONTES D'HOFFMANN bildet heute noch einen wichtigen Teil des Standardrepertoirs der Opernhäuser weltweit.

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Offenbach

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