Genf, Grand Théâtre: SIEGFRIED, 15.03.2019
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels DER RING DES NIBELUNGEN | Musik: Richard Wagner | Textdichtung vom Komponisten | Uraufführung: 16. August 1876, Festspielhaus Bayreuth
Kritk:
Es dauert weit bis in den zweiten Akt hinein, bevor man im SIEGFRIED kurz mal eine Frauenstimme vernimmt (Waldvogel, schön und voll gesungen von Mirella Hagen). Im dritten Akt steigt dann Erda (mit herrlich strömender Altstimme bannend: Wiebke Lehmkuhl) aus der Tiefe und beklagt wohlwissend die Taten der Männer Männertaten umdämmern mir den Mut. Erst in der letzten halben Stunde hat dann die von Siegfried erweckte Brünnhilde ihren großen, erst zweifelnden, dann am Ende hell strahlenden Auftritt. Wagner hat der Sängerin der Brünnhilde da wahrlich ein Ei gelegt, dass sie ihren einzigen Einsatz in dieser langen Oper erst am Schluss hat und dann gleich mit dem so diffizil zu intonierenden Heil dir, Sonne, heil dir, Licht einzusetzen hat. Petra Lang singt das mit bewundernswerter Präsenz und kontrollierter Kraft, ist jedoch in den verhalteneren Passagen der Furcht, des Zweifels, die danach folgen, weit beeindruckender und sicherer in der Intonation. Grandios der Atem, über den sie bei Ewig war ich verfügt, wonnig jauchzend dann am Ende (mit leichter Trübung in der Höhe) in den ekstatischen Zwiegesang mündend. Wie in Strömen mein Blut entgegen dir stürmt, das wilde Feuer, fühlst du es nicht? – leuchtende Liebe, lachender Tod. Das ist dann alles wieder von seliger, berauschender Jugendlichkeit erfüllt.
Doch dieser dritte Teil der Tetralogie gehört eindeutig den Männern, und diese Partien müssen mit herausragenden Sängerdarstellern besetzt sein, wenn sich der SIEGFRIED nicht unendlich in die Länge ziehen soll. Das Grand Théâtre de Genève kann glücklicherweise mit einer solchen Besetzung aufwarten. Der schwedische Tenor Michael Weinius bringt alles mit, was für den jungen Siegfried erforderlich ist: Jugendliche Frische, unendliche, nie ermüdende Kraft, sarkastischen Witz und (trotz seiner stämmigen Statur) darstellerische Wendigkeit. Der ehemalige Bariton, der sich innerhalb kürzester Zeit zum gefragten Heldentenor entwickelte und in Rollen wie Lohengrin, Parsifal, Tristan, Siegmund und Siegfried international für Aufsehen sorgt, singt die textreiche Rolle mit einer kindlichen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, als hätte er die schwurbeligen Wagnertexte mit der Muttermilch aufgesogen. Herrlich ist auch sein Ziehvater Mime in dieser Aufführung: Dan Karlström macht das wunderbar verschlagen, mit wuseligem Humor, gepaart mit Selbstüberschätzung und Naivität, grosser Textverständlichkeit und gekonnter Stimmführung, so dass der Mime nie hysterisch oder quengelnd näselnd klingt. Erneut herausragend gestaltet Tómas Tómasson den Wanderer (Wotan). Welch eine darstellerische und stimmliche Präsenz, eine pure Freude, ihm zuzusehen und zuzuhören (nur schon die Wala-Rufe, zum Niederknien). Da stimmt einfach jede Regung, jede Geste, jede stimmliche Färbung – eine überwältigende Leistung. Da muss dann auch nicht jede Note genau intoniert sein, solange der Gesamteindruck und die Interpretation so schlüssig sind. Tom Fox singt (wie im RHEINGOLD) erneut einen kräftigen, vibratoreichen Alberich und Taras Shtonda gibt den in einen Drachen verwandelten Fafner mit bassgewaltiger Müdigkeit. All die textlastigen Dialoge werden von den Sängern mit fesselnder Leichtigkeit interpretiert, man hängt an ihren Lippen und der Abend wird nie lang. Das hat manchmal gar leicht schwankhaften Charakter (im besten Sinne). Nicht unbeteiligt daran ist das Orchestre de la Suisse Romande, das unter Georg Fritzschs Leitung erneut die perfekte Balance zwischen Bühne und Graben herstellt, die Sängerinnen und Sänger nie zudeckt. Sehr poetisch gestaltet– auch szenisch – das Waldweben. (Ich sass wieder weiter hinten, Reihe 12, Akustik erneut etwas schlechter als weiter vorne im Parkett, vor allem sehr blechlastiger Eindruck, aber viel besser als im RHEINGOLD.)
Die Inszenierung von Dieter Dorn und Jürgen Rose überzeugt auch an diesem dritten Abend, da das Team ganz auf den von Wagner intendierten Handlungsablauf setzt, nichts Aufgesetztes hinzufügt und durch eine gekonnt interpretierende Personenführung den Abend spannend macht. Das ist alles von grosser Stimmigkeit und gerade der Riesenwurm Fafner, der die gesamte Bühne einnehmend was von einer Mischung aus janusköpfiger Riesenkrake und einem Alien hat, ist beeindruckend. Im Innern der Tentakel spielen sich Liebesszenen ab, Alberichs Fluch (Nur wer der Liebe Macht entsagt ...) eingekerkert im Wurm. Auch die drei Nornen rollen wieder die Schicksalsseile von ihrer Kugel ab, quasi ein Motto, das den gesamten Dorn-Ring zu durchziehen scheint. Morgen Abend werden wir mehr wissen, wenn sich dieser gewichtige Ring mit der GÖTTERDÄMMERUNG schliesst.
Inhalt des zweiten Tages:
Der Wälsungenspross Siegfried (Sohn der Geschwister Sieglinde und Siegmund, siehe Walküre) wächst beim Zwerg Mime auf. Dieser will sich Siegfrieds Kraft zunutze machen, um das zerbrochene Schwert Notung wieder neu zu schmieden. Siegfried gelingt dies. Damit tötet er den Riesen Fafner, der sich in einen fürchterlichen Drachen verwandelt hat und den Ring des Nibelungen Alberich hütet. Siegfried bemächtigt sich des Rings und des Tarnhelms, trinkt das Blut des Drachen, wird dadurch hellhörig und versteht nun die Falschheit seines Ziehvaters Mime. Er streckt den Zwerg nieder und schlägt auch dessen Bruder Alberich aus dem Feld, der ebenfalls scharf auf den mächtigen Ring ist. Göttervater Wotan (der Wanderer) hat eben vergeblich Urmutter Erda um Rat gefragt, wie seine Machtsphäre noch zu retten sei. Das Waldvögelein führt Siegfried zur schlafenden Brünnhilde. Wotan versucht noch, Siegfried den Zutritt zum Walkürenfelsen zu verwehren. Vergeblich: Der junge Held zerschlägt den Speer des Göttervaters, bricht damit dessen Macht und erweckt Wotans Tochter Brünnhilde, die den strahlenden Helden jubelnd begrüsst.
Das Werk:
Wagner begann bereits 1856 mit der Komposition des SIEGFRIED, brach aber 1857 die Arbeit im 2. Akt ab (er beschäftigte sich zwischenzeitlich mit TRISTAN UND ISOLDE und den MEISTERSINGERN). Er nahm die Komposition erst 1869 wieder auf und vollendete die Partitur 1871.
Bis zum erlösenden, strahlenden C-Dur Finale des dritten Aktes verwendet Richard Wagner in den ersten beiden Akten eher die düsteren Farben des Orchesters. Besonders die starke Präsenz der Bratschen im ersten Akt ist bemerkenswert. Sie charakterisieren die Heimtücke des Mime. Immer wieder erklingt mit den Tuben das schwarze, bedrohliche Motiv des Drachen Fafner, bevor die Hörner dann den Helden Siegfried feiern. Daneben entbehrt jedoch der erste Akt mit dem rotznasigen jungen Siegfried und dem von Falschheit nur so strotzenden Mime nicht einer gewissen Komik.
Wagners orchestrale Instrumentierungs- und Charakterisierungskunst ist in diesem Werk – trotz eines zehnjährigen Kompositionsunterbruchs – auf dem Höhepunkt angelangt. Das Vorspiel zum dritten Akt verwebt äusserst kunstvoll die vielschichtigen Leitmotive.
Musikalische Höhepunkte:
Notung! Notung! Neidliches Schwert, Siegfried, Akt I
Dich holdes Vöglein, Siegfried, Akt II (Waldweben)
Wohin schleichst du?, Alberich-Mime, Akt II
Vorspiel Akt III
Wache, Wala! Wala erwach!, Wanderer-Erda, Akt III
Selige Öde auf sonniger Höh’, Siegfried Akt III
Heil dir Sonne, heil dir Licht, Brünnhilde Akt III
Ewig war ich, ewig bin ich, Brünnhilde Akt III