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Frankfurt: ORLANDO, 25.02.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Orlando

copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Oper in drei Akten | Musik: Georg Friedrich Händel | Libretto: unbekannt, basiert auf Orlando furioso von Ludovico Ariosto | Uraufführung: 27. Januar 1733 in London | Aufführungen in Frankfurt: 29.1. | 4.2. | 10.2. | 12.2. | 18.2. 25.2. | 4.3. | 10.3. | 12.3.2023

Kritik:

IRRUNGEN UND (VER) WIRRUNGEN DER LIEBE

Die bodenständige Schäferin Dorinda bringt es in Händels großartiger Oper ORLANDO im dritten Akt auf den Punkt: "Die Liebe ist ein großes Durcheinander!" Während man bei den anderen Personen in Zoroastros brutalem Seelenmanipulations-Experiment nicht so genau weiss, wohin die Wege der Liebe führen werden, resümiert Dorinda- trotz einer Riesenenttäuschung (ihr Angebeteter Medoro verlässt sie für Angelica) - am Ende textlich nüchtern: "So ist das mit der Liebe!" Musikalisch ist das natürlich alles andere als nüchtern, denn Händel hat für alle fünf Protagonisten ganz wunderbare, reichhaltig verzierte und ungemein dankbare Arien und Szenen komponiert. Gerade die Arien der Dorinda funkeln und blitzen nur so vor lustbetonter Gesangsfreude. Monika Buczkowska macht das mit stupender Geläufigkeit und herrlich natürlichem Ausdruck, sie wird zur umjubelten Sympathieträgerin der Aufführung. In ihrem Spiel bleibt sie gekonnt linkisch, doch die Bauernschläue äussert sich im klugen Text und der unwiderstehlichen, halsbrecherischen Stimmakrobatik ihres facettenreichen Soprans. Trotzdem wirkt das alles leicht und mit einem sympthischen Augenzwinkern (der lange gehaltene Ton!!!) vorgetragen. (Die Szene im Wald mit der Nachtigall ein Traum!) Was für ein Gegensatz zum zweifelnden, mit seiner Rolle als Mann ringenden Orlando. Ausgerechnet in dieser labilen psychischen Verfassung gerät der nämlich in die Hände des manipulative Magiers Zoroastro - und wird prompt für dessen brutales Experiment missbraucht. Die Mezzosopranistin Zanda Švēde zeigt mit überragender Sensibilität des stimmlichen Ausdrucks die Zwiespälte Orlandos. Er ist des machohaften Kriegshandwerks müde und überdrüssig geworden, will auf sein Herz hören, "weibliche" Empfindungen zulassen, sprich sein Leben nicht mehr dem Krieg, sondern der Liebe weihen. Das geht Zoroastro natürlich gegen den Strich, er startet seinen abscheulichen Umpolungsversuch, treibt Orlando durch Ränkespiele zur Raserei, in die Nähe des Suizids und gar zum Doppelmord. Zanda Švēde nimmt uns mit intensiver, aber stets geschmackvoll kontrollierter Stimmführung mit auf diese Reise ins Innere, wo Monster in der Seele lauern. Sie setzt dabei auf die Innigkeit ihrer einnehmenden Stimme und nicht auf exaltierte Raserei, bleibt aber trotzdem den ver-rückten Kolorturen nichts an Expressivität schuldig. Gut so! Als Zoroastro trumpft Božidar Smiljanić mit einer Bassstimme der Superlative auf: Was für eine stupende Agilität, was für eine makellos saubere und voll klingende Tiefe, welch fantastisches Timbre! Für sein Experiment nutzt Zoroastro das Paar Angelica - Medoro, um Orlando zum "Orlando furioso" zu treiben. Die Angelica tritt in einem Traum von einer Robe auf, geraffte, unendliche Stoffbahnen in zartem Apricot. (Die mit leichten Verfremdungen ans frühe 18. Jahrhundert angelehnten Kostüme entwarf Raphaela Rose.) Kateryna Kasper singt ihre schwierigen Arien (im zweiten Akt zum Teil selbst im Liegen!) und Szenen mit wunderschönen Phrasen und Verzierungen, schmeichelt mit ihrer perfekt sitzenden Stimme dem Ohr und bringt alle zur Verzückung, das Publikum - und auch ihren Liebhaber Medoro. Obwohl Dorinda von ihm in den höchsten Tönen als perfektes Mannsbild schwärmt, wird dieser Medoro eher als eitler Geck eingeführt (die Hose im Pieds de Coq Muster und der zu enge Frack in Bordeaux unterstreichen seine Lächerlichkeit), und man kann Angelica nicht so ganz verstehen, dass sie den auswählt. Aber natürlich hatte da auch Zoroastro seine Magie im Spiel. Wie dem auch sei, der Countertenor Christopher Lowery gestaltet ihn mit seiner blitzsauber intonierenden Stimme und gekonnt subtil ausgestalteter Phrasierung beeindruckend. (Nur schon diese Triller .... !) Das Terzett Angelica - Medoro - Dorinda ist zum Dahinschmelzen schön gesungen.

Ted Huffman hat dieses Verwirrspiel, welches Zoroastro initiiert, mit genauer Personenführung inszeniert. Die Bühne nach einem Entwurf von Johannes Schütz besteht lediglich aus vier quadratischen, riesigen, transparenten Wänden, die von schwarzen Holzrahmen eingefasst sind und sich um eine Mittelachse drehen. Diese transparenten Wände erlauben es, dass man schemenhaft Personen sieht, die beobachten; sie dienen auch als Projektionsfläche für Schattenwürfe und für videoanimiertes Blätterrauschen. Schlicht, aber stimmig, mehr braucht es eigentlich nicht, um die Geschichte des "rasenden Rolands" zu erzählen. Doch Huffman traute dem dann doch nicht so ganz und fügte der Szene noch vier Tänzer*innen in einer von Jenny Ogilvie entworfenen Choreografie bei, die quasi als Genien agieren, Zoroastro bei seinen Manipulationen unterstützen, Handlungen spiegeln oder konterkarieren. Über weite Strecken schienen sie mit überflüssig, da der Gesang so himmlisch schön und ausdrucksstark war, dass das Auge eh auf die Sänger*innen gerichtet war und man die Leistungen der vier Tanzenden kaum wahrnahm (oder gar als ablenkend empfand).

Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte in historisch informierter Aufführungspraxis unter der wunderbar einfühlsam in die Stimmungen der Musik hereinhorchenden Leitung von Simone Di Felice. Die wunderschönen Klänge aus dem Orchester verschmolzen in perfekter Balance mit den reinen, vibratoarmen Stimmen auf der Bühne zu einem Händel-Klang, der schlicht und einfach nur herzerwärmend war!

Inhalt:

DER GANZ NORMALE WAHNSINN DES LIEBESVERLANGENS

Der Zauberer Zoroastro sieht neue Heldentaten Orlandos voraus. Orlando, süchtig nach Liebe und Ruhm, soll nach dem Willen Zoroastros die Liebe vergessen und sich ganz dem Kriegsgott Mars hingeben.

Die Schäferin Dorinda fühlt Liebesgefühle in sich. Eine kurze Begegnung mit Orlando bestätigt ihr diese Gefühle.

Angelica, die Königin von Carthay, pflegt die Wunden des Prinzen Medoro und verliebt sich in ihn – diese Liebe ist gegenseitig, wobei sich Medoro ihrer nicht würdig fühlt. Dorinda stellt unterdessen fest, dass es Medoro ist, für den ihr Herz entflammt ist. Medoro will Dorinda nicht enttäuschen und verheimlicht ihr seine Liebe zu Angelica. Zoroastro warnt Angelica vor Orlandos Rache, da sie Orlando versprochen sei. Orlando beteuert Angelica seine Liebe, die gibt sich aber eifersüchtig auf eine Prinzessin, welche Orlando gerettet habe. Damit will sie ihre geplante Flucht mit Medoro verheimlichen. Dorinda beobachtet eine Umarmung von Angelica und Medoro und ist entsprechend enttäuscht. Sie wird von Angelica und Medoro getröstet.

Die untröstliche Dorinda trifft auf Orlando und zeigt ihm ein Geschenk Medoros. Doch dies ist ein Armband, welches Orlando einst Angelica als Liebesgeschenk überreicht hat. Orlando ist wütend und will Angelica nachreisen, wenn nötig bis in die Unterwelt. Zoroastro will Medoro und Angelica bei ihrer gemeinsamen Flucht beistehen, um sie vor Orlandos Rache zu schützen. Angelica befallen Zweifel, sie fühlt sich Orlando gegenüber als undankbare Person, da er einst ihr Leben gerettet hat. Doch gegen Amors Pfeil fühlt sie sich ohnmächtig. Orlando entdeckt sie und folgt ihr, Medoro eilt den beiden hinterher. Angelica wird von einer Wolke eingeschlossen und von vier Genien in die Lüfte getragen. Orlando wird wahnsinnig. Schon hört er den Höllenhund kläffen und wähnt auch Medoro in den Armen der Göttin der Unterwelt, Proserpina. Zoroastro reisst Orlando in seinen Wagen und fährt mit ihm in die Lüfte.

Medoro gesteht Dorinda seine Liebe zu Angelica. Orlando kommt zu Dorindas Haus und gesteht zu ihrer Irritation, dass er sie liebe. Schnell wird klar, dass Orlando noch immer wahnsinnig ist und Dorinda gar nicht erkennt, sondern in ihr den Bruder seiner Geliebten sieht. Auch Angelica kommt zu Dorinda und empfindet Mitleid mit dem wahnsinnigen Orlando, hofft jedoch, dass er von alleine wieder zu sich komme. Zoroastro beschreibt die Liebe als Ort, wo man leicht den Verstand verliere. Dorinda muss Angelica eine traurige Nachricht überbringen: Orlando habe ihr Haus zerstört und Medoro sei unter den Trümmern begraben. Orlando wirft die weinende Angelica in einen Abgrund. Nach seiner Raserei fällt er in einen Schlaf. Zoroastro schüttet einen Zaubertrank über Orlando. Dieser erwacht und schämt sich seiner (vermeintlichen) Morde an Medoro und Angelica. Er will Suizid begehen, wird jedoch von Angelica zurückgehalten. Der von Zoroastro gerettete Medoro simmt in das versöhnliche Schlussquintett ein, Orlando ist stolz, über sich selbst und die Liebe gesiegt zu haben ...

Werk:

Georg Friedrich Händel (1685-1759) war der bedeutendste Komponist von opere serie im 18.Jahrhundert. Seine besten Werke komponierte er in London (er liess sich 1727 in England einbürgern) und gründete dort auch eigene „Opernakademien“, mietete Theater für die Aufführungen seiner Werke und lieferte sich mit Konkurrenten ruinöse Kämpfe ums Publikum. Ermattet von den Anstrengungen dieses Wettbewerbs und der Schaffung von circa 42 Opern, komponierte Händel nach 1742 nur noch Oratorien, da auf diesem Gebiet die Konkurrenz weniger gross war.

Händel hat Ariosts Vorlage gleich dreifach vertont: Neben ORLANDO entstanden auch ALCINA und ARIODANTE nach dem Epos des „Rasenden Rolands“. Höhepunkt von ORLANDO ist zweifelsohne die furiose Wahnsinnsszene des Titelhelden im zweiten Akt, mit ihren „modernen“ Taktwechseln (Ah! Stigie larve). Doch auch sonst greift Händel zu für die damalige Zeit schon fast revolutionären Mitteln: Die zwar noch vorhandenen Da capo Arien weichen oft von ihrer strengen Form ab und es gibt auch Duette und Terzette. Neben viel Bühnenspektakel in dieser typischen "Zauberoper" findet man in dem Werk aber auch Spuren eines aufklärerischen Gedankenguts.

Die Titelpartie hatte Händel für den berühmten Kastraten Senesino geschrieben. ORLANDO war Händels letzte Premiere am King's Theatre. Sein Mietvertrag lief aus und das Konkurrenzunternehmen, Opera of the Nobilities, zog dort ein. Händel musste ins weniger prestigeträchtige Haus am Covent Garden umziehen. Den ORLANDO nahm er nie wieder auf, obwohl er unter Kennern bei der Uraufführungsserie (10 Aufführungen) grosse Bewunderung hervorgerufen hatte. Erst vor etwa 20 Jahren hielt das Werk erneut Einzug ins Repertoire, u.a. mit der fantastischen Aufführung im Jahr 2006 am Opernhaus Zürich (William Christie/Jens Daniel Herzog und der fulminanten Marijana Mijanovic in der Titelrolle) oder an der Bayerischen Staatsoper (Ivor Bolton/David Alden mit David Daniels in der Titelrolle).

Karten

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