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Frankfurt, Oper: MASKERADE (Nielsen); 06.02.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Maskarade (Nielsen)

Copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Die dänische Nationaloper MASKARADE (in deutschen Fassungen MASKERADE) von Carl Nielsen rückt zunehmend ins Blickfeld der Programmgestaltung anderer europäischer Opernhäuser

Oper in drei Akten | Musik: Carl Nielsen | Libretto: Vilhelm Andersen, nach Ludvig Holberg | Uraufführung: 11. November 1906 in Kopenhagen, unter der Leitung des Komponisten | Aufführungen dieser Wiederaufnahme (Premiere war am 31. Oktober 2021) in Frankfurt: 10.1. | 18.1. | 26.1. | 6.2. | 9.2. | 14.2.2025

Kritik: 

Ach, wie wunderbar ist es doch, wenn man eine Opernvorstellung einfach mal beglückt und mit einem leichten Schmunzeln im Gesicht verlassen darf. So geschehen gestern Abend in Frankfurt anlässlich einer der Wiederaufnahme-Vorstellungen von Carl Nielsens grossartiger musikalischer Komödie MASKERADE. Nach der Erfahrung von gestern muss man definitiv konstatieren, dass diese Oper vermehrt auch ausserhalb der nordischen Länder auf die Spielpläne gesetzt werden müsste. Man weiss es ja, gute Komödien sind oft schwieriger zu schreiben (und zu inszenieren!) als blutige Familientragödien wie SALOME oder ELEKTRA, die im selben Jahrzehnt uraufgeführt wurden, wie Nielsens komische Oper. So war es gut, dass die Oper Frankfurt (bekannt für ihre grosse und verdankenswerte Lust an Entdeckungen ausserhalb des Standardrepertoires) vor etwas über drei Jahren dem Inszenierungsteam rund um Regisseur Tobias Kratzer (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier, Licht: Joachim Klein, Choreografie: Kinsun Chan) anvertraut hatte. Kratzer versteht es ausgezeichnet, Opern auf Kernaussagen hin zu analysieren und sie dann unterhaltsam und ohne moralischen Zeigefinger oder mit Holzhammermethoden auf die Bühne zu bringen. So handhabte er es auch mit dem „Spiel der Identitäten“ aus den Federn Nielsens und seines Librettisten Vilhelm Andersen, das auf der Vorlage des dänisch-norwegischen Barockdichters Holberg fusst. Es ist äusserst unterhaltsam, mitzuerleben, wie die Personen auf der Bühne ihre Lust an der Verkleidung – und damit am Entdecken neuer Identitäten und neuer Geschlechterrollen – ausleben. Sehr gut gelingt es Kratzer mit der einfühlsamen Personenführung, dass niemand bloss gestellt oder lächerlich gemacht wird. Es ist nicht einfach „Unterhosen“-Theater, das zu schenkelklopfendem Grölen mutiert, sondern ein geschicktes, unterhaltsames Spiel der Erkundung seiner individuellen (eventuell unterdrückten) Bedürfnisse, seines eigenen Wesens. Selbst der konservative Jeronimus, der am liebsten auf den beiden biologischen Geschlechtern beharren würde – Frau und Mann, Tochter und Sohn, Knecht und Magd – wird irgendwie mit liebevollem Respekt gezeichnet. Der Bassist Alfred Reiter interpretiert die dankbare Rolle mit genau der richtigen Mischung aus Sturheit, Naivität und dann doch erotischer Neugier, wenn er sich ins Komödienhaus zum Maskenball traut. Mit seiner Tirade auf die vermaledeiten Maskeraden (Huren, Saufen, Spiel und Mord pflanzen sich dort wie Unkraut fort) hat ihm Nielsen die dankbarste und eingängigste Arie der Oper in die Kehle gelegt. Juanita Lascarro gibt eine umwerfend komische Magdelone. Ihr Sexleben mit Jenonimo scheint ziemlich eingeschlafen zu sein, deshalb braucht es bei ihr nicht viel, um zur Maskerade zu gehen und sich dort ins Getümmel zu stürzen. Ihr „Folie d'Espagne“ gerät zum echten Kracher, auch dank der den ganzen Abend fantastisch unterstützenden Choreografie von Kinsun Chan, der nicht nur die sechs Tänzer*innen, sondern auch den Chor und die Statisten mit stupender Bewegungschoreografie auf Trab hält. In der Rolle des Leandro kostet Michael Porter mit leicht ansprechender Stimme und tenoralem Schmelz die wunderschönen Gesangslinien (Lehár hätte sie nicht schöner notieren können) seiner dankbaren Rolle aus: Verliebt, schalkhaft, unbeschwert und echt komisch. Sein Diener und Brother in Crime, Henrik, ist die heimliche Hauptrolle des Stücks. Liviu Holender ist für diesen urkomischen, aber auch klassenkämpferischen Intriganten und Figaro-Verschnitt eine Idealbesetzung: Sein agiler Bariton strömt mit Verve und Autorität, die Schreckgespenst-Nummer, welche er mit Jeronimus' Diener Arv abzieht, ist ein echter Hammer! Theo Lebow zieht denn auch aus der Rolle des Arv ein echtes Kabinettstückchen ab! Wie er in der Gespensterszene seine Sünden und Verfehlungen gesteht (und es sind derer nicht wenige ...) ist einmalig gut gespielt und gesungen. Leonora, die von Leander auf der Maskerade entdeckte und angebetete junge Frau, wird von Elizabeth Reiter herrlich keck und selbstsicher gegeben. Ihr Vater, Leonard aus Slagelse, musste vom für den kurzfristig erkrankten Michael MacCown von Sven Hjörleifsson übernommen werden. Da er erst am Morgen von seinem „Glück“ erfahren hatte, war eine szenische Einweisung natürlich nicht mehr möglich. Er sang die Partie vom rechten Bühnenrand her, die Regisseurin Katharina Kastening, welche die szenische Einstudierung dieser Wiederaufnahme geleitet hatte, übernahm die Darstellung – und das passte irgendwie hervorragend zum Stück um das „Spiel mit den Identitäten“. Eine junge Frau schlüpft in die Rolle des Vaters einer erwachsenen Tochter und hat noch ein Techtelmechtel mit der Frau seines Geschäftspartners. DAS ist Theater! Es ist an sich schon fast ein Ding der Unmöglichkeit, für eine dermassen selten gespielte Oper kurzfristig Ersatz zu finden. Zwar hatte Sven Hjörleifsson die Partie bereits in Leipzig gesungen, doch in einer ganz anderen Übersetzung. Nichtsdestotrotz gestaltete Hörleifsson die Rolle vom Bühnenrand her mit stupender Souveränität. Chapeau! Barbara Zechtmeister als quirlige, energiegeladene Pernille (Zofe Leonoras) und Thomas Faulkner als fantastisch Wagners Nachtwächter aus den MEISTERSINGERN karikierender Nachtwächter imponierte auch als Meister der Maskerade mit seinem sonoren, durchschlagskräftigen Bass. Treffend besetzt waren auch die kleineren Rollen mit Leon Tchakachow (Maskenverkäufer), Sakhiwe Mkosana (Magister) und dem aufhorchen lassenden, wunderbar reinen Mädchensopran von Zoe Nettey-Marbell als Blumenverkäufer. Eui Kyung Kim, Malin Aldener Nardi und Julia Katharina Heße interpretierten mit Witz die drei Mädchen, Donát Havár, Johannes Lehner und Florian Richter waren die drei Studenten. Ein besonderes Lob gebührt auch den sechs viele Szenen mit grandioser tänzerischer Agilität mitgestaltenden Tänzer*innen Gabriella Lemma, Sophie Melem, Hyewon Cho, Rouven Pabst, Haizam Fathy und Tadas Almantas, sowie dem Chor der Oper Frankfurt (einstudiert von Álvaro Corral Matute), der seine Auftritte mit mitreißendem Chorklang gestaltete. 

Das Einheitsbühnenbild von Rainer Sellmaier (ein Geviert mit dunkelblauen Wänden, darin eingelassen versteckte - später auch verspiegelte - Türen und mit heller Spielfläche dazwischen), wartet mit einer besonderen Attraktion auf: Die Übertitel werden auf einen in der Höhe verstellbaren Quader projiziert, der auch mal als Spielfläche oder Pissoir dient. Und diese Übertitel sind extrem wichtig, werden quasi zu einer Hauptattraktion dieser komischen Oper. Für einmal wird nicht in der Originalsprache gesungen, sondern in einer neuen, extra für Frankfurt angefertigten Übersetzung von Martin G. Berger. Er hat diesen“Tsunami“ von Reimen (Zitat von Hans-Erich Heller im Programmheft) der dänischen Vorlage neu ins Deutsche übersetzt und dabei die vielen Reime, Alliterationen, Binnenreime und Lautmalereien des dänischen Originals in ein heutiges Deutsch übertragen. Darauf muss man sich unbedingt einlassen und nicht mit der Überheblichkeit des Intellektuellen den Kopf schütteln. Denn diese neuen Reime sind einfach Klasse, extrem lustig und träf. Dazu bleiben sie immer dem Duktus der musikalischen Linie angepasst, nichts wirkt holprig und schon gar nicht betulich oder altbacken. Und ganz schüchtern stellt man sich die Frage, ob nicht auch andere meisterhafte komische Opern dem Publikum in Übersetzungen in die Landessprache nicht doch noch mehr Spaß bereiten würden.

Carl Nielsen wird im ausgezeichneten Programmheft mit folgender Aussage zitiert: „Unsere Kunst (gemeint ist die Musik) ist der leidenschaftlich erregte Weckruf und Feind der Stille, ebenso wie der Tanz der unerbittliche Gegner des Stillstands ist. Diese beiden, Musik und Tanz, sind der Höchste Ausdruck für die Bedürfnisse unserer beiden wichtigsten Sinne; durch sie widerstehen wir Tod und Vernichtung und wehren sie ab, so lange wir hören und sehen können.“ Diese Erkenntnis wurde in der Produktion von MASKERADE in Frankfurt bestechend umgesetzt: Denn nicht nur das Tänzerisch-Szenische auf der Bühne, sondern auch das Musikalische, das der Dirigent Benjamin Reiners zusammen mit dem hervorragend differenziert und mit rhythmischer Leidenschaft spielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester hervorzaubert, macht gewaltigen Eindruck. Die Vorspiele zu den Akten, die musikalischen Perlen des berühmten Hahnentanzes oder der Ballettpantomime und die hochinteressant instrumentierte Untermalung der singenden Charaktere werden fulminant, aber nie zu dick aufgetragen gespielt und verharren in einer transparenten, beschwingten Leichtigkeit. Wie gesagt, man verlässt die Oper danach mit leicht federndem Schritt und einem Lächeln auf den Lippen!

Werk:

Carl Nielsen (1865-1931) ist oftmals im restlichen Europa nur durch seine sechs hoch interessanten Sinfonien bekannt (Herbert von Karajan z.B. führte die Vierte oft auf), seine beiden Opern MASKARADE und SAUL OG DAVID  jedoch kennen ausserhalb Dänemarks nur wenige eingefleischte Opernfreunde. Die Opera buffa MASKARADE wurde erst 1972 zum ersten Mal ausserhalb Dänemarks aufgeführt (1972 in Minnesota). Es folgte die Aufführung an der Opera North 1991, Produktionen in Kassel und in Innsbruck und 2005 folgte mit der Aufführung in der Covent Garden Opera erstmals eines der grossen Häuser. Frankfurt und Leipzig brachten in diesem Jahrzehnt Neuproduktionen heraus. Das Libretto fusst auf einer Komödie von Ludvig Holberg aus dem Jahr 1724. Darin wird die Bigotterie des sittenstrengen Pietismus auf die Schippe genommen. Denn in dem Jahr hatten die Kopenhagener Behörden die bliebten Maskenbälle wegen Unsittlichkeit untersagt und damit den Bürgern eine Möglichkeit genommen, einander unabhängig vom gesellschaftlichen Status zu begegnen und etwas Abwechslung vom grauen Einerlei und der Biederkeit des Alltags zu erleben. Vor Nielsen, der ein Zeitgenosse von Richard Strauss und Claude Debussy war, handelten dänische Opern vorwiegend von mittelalterlichen Sagen und Elogen auf die romantische Landschaft. Aber in einem Land, in dem es gefühlt elf Monate im Jahr regnet und neun Monate dunkel ist, kam der erfrischende, lebensfrohe, volkstümliche und turbulente Charakter der ausgefeilt und tiefgründig komponierten Oper ausgesprochen gut an. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Oper in Kopenhagen 100mal aufgeführt - kein Wunder, denn sie kann sich handwerklich und von der Fülle der melodischen Einfälle her mindestens mit Verdis FALSTAFF messen. 

Inhalt: 

Jeronimus' Sohn Leander hat sich auf einem Maskenball in eine unbekannte Schöne verliebt. Das Problem ist jedoch, dass sein Vater ihn dem Leonard aus Slagelse als Bräutigam für dessen Tochter Leonora versprochen hat. Leander berät sich mit seinem umtriebigen Diener Henrik, was zu tun sei, um der Schönen wieder zu begegnen. Jeronimus beklagt sich über die Verluderung der Sitten mit all den Maskenbällen u.s.w. Doch auch Jeronimus' Frau Magdelone würde gerne auf so einen Ball gehen. Leonard berichtet unterdessen anlässlich einer Unterredung mit Jeronimus, dass seine Tochter Leonora gar nicht begeistert sei über eine Eheschliessung mit Leander. Die beiden haben sich nämlich noch nie gesehen. Leonard und Jeronimus wollen den Wünschen ihrer Kinder auf selbstgewählte Liebe jedoch keinesfalls nachkommen. Jeronimus beauftragt seinen Diener Arv, vor dem Haus Wache zu halten und ihm alle zu melden, die das Haus verlassen.

Auf der Strasse strömt maskiertes Volk zum Ballhaus. Henrik verkleidet sich als Geist und schüchtert dem Wache stehenden Arv mit Todesandrohungen ein, sollte er verraten, dass Leander und er das Haus verlassen. Aber nicht nur Leander verlässt so unbemerkt das Haus, auch Henrik und Leonard machen sich auf den Weg zum Ballhaus. Sie kommen an einer Sänfte vorbei. Darin sitzen Leonora und ihre Dienerin Pernille. Man hört in der Ferne Jeronimus, der die Flucht seines Sohnes entdeckt hat, schreien. So bleibt Jeronimus nichts anderes übrig, als sich mit Arv ebenfalls auf den Weg zum Maskenball zu machen. Zuerst müssen sich die beiden aber beim Maskenverleiher noch Masken besorgen. Dort treffen sie ausgerechnet auf Jernnimus' Ehefrau Magdelone und auf den Herrn Leonard. 

Auf dem Maskenball turteln Leonora und Leander miteinander (ohne voneinander zu ahnen, wer sie sind). Auch Leonard umgarnt Magdelone. Jeronimus ist in der Verkleidung von Bacchus auf dem Fest. Henrik erkennt ihn trotzdem und macht ihn zusammen mit Leander und einem Professor betrunken. Zum Ende des Festes gehört die Demaskierung: Leander und Leonora erfahren, dass sie beide diejenigen sind, die ihre beiden Väter schön längst einander versprochen haben. Jeronimus ist entsetzt, seine Frau zusammen mit Leonard zu finden und braucht einen Moment, um zu erkennen, dass eigentlich alles so gelaufen ist, wie von ihm gewünscht. 

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