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Frankfurt, Oper: L'INVISIBLE; 13.04.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | L'Invisible (Reimann)

Copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Gleich zwei Opern des vor einem Jahr verstorbenen Aribert Reimann feiern Premiere in dieser Saison in Frankfurt: L'INVISIBLE ab dem 30. März und MELUSINE ab dem 6. Juni (Bockenheimer Depot)

L'INVISIBLE | Trilogie lyrique | Musik: Aribert Reimann | Text: vom Komponisten, nach Maurice Maeterlinck | Uraufführung: 17. Oktober 2017 in Berlin | Aufführungen in Frankfurt: 30.3. | 5.4. | 13.4. | 16.4. | 18.4. und 26.4.2025

Kritik: 

Eineinhalb Stunden absoluter, gespannter Stille im Parkett, kein Husten, kein Rascheln mit Bonbonpapier, kein Flüstern, sondern fast atemlose Konzentration und Fokussierung auf die Bühne und die Musik. Aribert Reimanns letzte vollendete Oper zog das Publikum im gut besetzten Haus in ihren Bann. Ein Abend, der lange nachhallte. Reimann und Maeterlinck geben einem schwere Kost mit auf den Heimweg; man ging nicht einfach aus der Oper und sagte: „Ja, war interessant“, was ja übersetzt meist heisst „Einmal und nie wieder“. Das ist hier bei weitem nicht der Fall. Dieses vielschichtige Werk möchte man sich gerne mehrmals anhören/ansehen. Aribert Reimann verstand es immer, für die Bühne zu komponieren. Seine Musik zeichnet trotz aller Komplexität eine direkte Zugänglichkeit aus, und seine Behandlung der Stimmen und sein Verständnis für die Gesanglichkeit sind aussergewöhnlich – und damit für das Publikum eben ein absoluter Gewinn. 

Musikalisch hat Reimann die drei Minidramen voneinander abgesetzt - und sie doch verbunden. In L'INTRUSE dominieren die dunkel gefärbten Streicherstimmen, vor allem Celli und Kontrabässe werden eingesetzt, ein unheimlicher perkussiver Umgang mit dem Bogen ist deutlich wahrzunehmen. Es gibt wenige Momente des helleren Klangs. Mit dem Tod der Mutter und dem Schrei des Neugeborenen kommen nach dem klanglich so berührenden Interlude der drei Countertenöre die Holzbläser zum Einsatz. Sie gestalten das gesamte zweite Minidrama: L'INTÉRIEUR, das danke des exponierten Klangs der Holzbläser in verschiedenen Kombinationen ein ganz anderes Klangbild erhält als L'INTRUSE. Im dritten Minidrama, LA MORT DE TINTAGILES schliesslich kommt das Blech dazu, es gibt gegen Ende sogar Tuttti - Stellen. Doch stets bleibt der Klang „luzide“, wie der Dirigent Titus Engel ihn treffend charakterisiert. Er kommt so dem unheimlichen Symbolismus der Vorlage ungemein nahe, trumpft nur an ganz wenigen Stellen mit Todesakkorden hochdramatisch – effektvoll auf, bleibt ansonsten in einer klanglichen Mystik gefangen und unterstreicht so die tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Mysterium des Todes. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Titus Engel bringt diese Luzidität wunderbar zum Ausdruck, so dass die praktisch ohne Vibrato singenden Künstler*innen auf der Bühne in keinem Moment zum Forcieren gezwungen werden und eine soghafte, die ganze Konzentration auf die Musik lenkende Eindringlichkeit entsteht. 

„Wir sind die Gefangenen einer Unendlichkeit ohne Pforten ... Kein Körper und kein Gedanke kann aus dem All, aus Zeit und Raum hinausfallen.“ So wird Maurice Maeterlinck im (einmal mehr) überaus lesenswerten Programmheft von Norbert Abels zitiert. Dadurch, dass die Personen der drei Minidramen mehrheitlich in allen drei Stücken wieder erscheinen entsteht eben dieser mystische Bogen der Unendlichkeit, des Todes, der neues Leben bringt. So ist der Knabe, den die sterbende Mutter am Ende des ersten Teils zur Welt bringt, im zweiten Teil der glücklichen Familie beim Picknick (und verschläft den Suizid seiner Schwester). Im letzten Drama, dem Kunstmärchen LA MORT DE TINTAGILES schliesslich ist er der Knabe, der von der bösen Königin (seiner Grossmutter) in ihr Schloss gerufen wird, da sie ihren potentiellen Thronfolger töten will. Der elfjährige Victor Böhme meistert diese Sprechrolle mit stupender Bühnenpräsenz und in akzentfreiem Französisch! Chapeau! Die Regisseurin dieses packenden Musiktheaterabends, Daniela Löffner, schafft von Beginn weg die in ihren Bann ziehende Atmosphäre der Verbindung der drei Stücke. Die Requisiten der vorangegangenen Dramen bleiben mehrheitlich auf der Bühne (Rollstuhl der Mutter, das fürchterliche Porträt der bösen Königen, welches diese sterbende Frau noch kurz vor ihrem Tod malt, der Rollstuhl, in dem sie stirbt). Auch die Alltags-Kostüme von Daniela Selig, welche im letzten Drama nur leicht mit märchenhaften Accessoires versehen werden, verändern sich zum Teil nicht. Die Personenführung der Regisseurin ist zurückhaltend. Keine dramatischen Opernposen, alles ganz natürlich, alltäglich – und deshalb von ausgeprägter Nahbarkeit und Direktheit. Im ersten Bild sitzt die Familie um einen langen Tisch mit zwei Kerzenleuchtern darauf beim Souper, dieser Tisch wird im zweiten Bild für die Selbstmörderin als Aufbahrungsort genutzt. Den Haupteffekt aber setzen die schwebenden Inseln, welche ab dem Tod der Mutter vom Bühnenhimmel herunter schweben. Fabian Wendling hat hier Aussergewöhnliches geschaffen. Auf der Webseite der Oper Frankfurt kann man in einem Video nachschauen, welcher immense Aufwand für diese Inseln und vor allem die daran hängenden Wurzeln in den Werkstätten betrieben werden musste. Das ist schlicht überwältigend anzuschauen und passt so wunderbar in den Symbolismus der Vorlage. Das Grün der Inseln als Ausdruck des Werdens, im Braun und dem Gewirr der Wurzeln wird das Vergehen offenbar, doch durch dieses Vergehen fliesst wieder Kraft hinauf ins Grün. Oranges Licht (das ausserordentlich stimmige Lichtdesign hat Joachim Klein konzipiert) lockt ins Gewirr der Wurzeln. Oftmals umhüllt wabernder Nebel die Hauptinsel und die Nebeninseln. Vieles ist irgendwie präsent, das wir gar nicht wahrnehmen, eben invisible. Nur der blinde Grossvater nimmt im ersten Drama das Eintreten des Todes wahr.

In der Behandlung der Singstimmen bleibt Reimann auch in seiner letzten vollendeten Oper wie erwähnt der Meister der Gesanglichkeit. Reimanns Werke sind nicht Geräuschpartituren (wie z.B. Lachenmann sie konzipierte), er zerlegt Musik nicht in Bestandteile, sie ist auch für Laien versteh- und hörbar und vor allem ist sie immer ganz nah an den seelischen Befindlichkeiten der Darsteller*innen. An erster Stelle ist hier Irina Simmes zu erwähnen, welche die Ursule in L'INTRUSE, die Marie in INTÉRIEUR und vor allem die mit bestechend sauberen Koloraturen aufwartende Ygraine in LA MORT DE TINTAGILES verkörperte. Erik van Heyningen sang einen kantigen, blinden Grossvater, den Alten und den Aglovale, Gerard Schneider stellte mit klar fokussierterr Tenorstimme den Onkel und den Fremden dar, Sebastian Geyer war im ersten und im zweiten Stück ein warmstimmiger Vater, Karolina Makuła beeindruckte als Krankenschwester, Marthe und Bellangère. Cláudia Ribas hatte einen eindrücklichen Auftritt als Dienerin. Grossen Eindruck machten auch die drei fantastisch singenden Countertenöre Iurii Iushkevich, Tobias Hechler und Zvi Emanuel-Marial (eingesprungen für Ditry Egorov). Ihre ätherisch reinen Gesänge brachten in den beiden Interludes und in LA MORT DE TINTAGILES eine ganz besonders berührende Farbe ins musikalisch (und szenisch!) Ereignishafte dieser Produktion. 

Werk und Inhalt:

Vor gut einem Jahr verstarb einer der bedeutendsten Komponisten für das Musiktheater der letzten Jahrzehnte, Aribert Reimann (1936-2024). Aribert Reimanns Opern und Ballette waren meist inspiriert von grosser Literatur, so sind seine Schöpfungen für das Musiktheater als sogenannte Literaturopern zu bezeichnen. Die Vorlagen seiner Opern stammen u.a. von Strindberg (GESPENSTERSONATE, EIN TRAUMSPIEL), Yvan Goll (MELUSINE), Kafka (DAS SCHLOSS), García Lorca (BERNARDA ALBAS HAUS), Euripides (TROADES) und Shakespeare (LEAR). Der grandiose LEAR wurde dann zu seiner meist gespielten Oper. 

Für sein letztes Bühnenwerk L'INVISIBLE verschmolz Reimann drei Kurzdramen des Symbolisten Maurice Maeterlinck (Debussy hatte dessen PELLÉAS ET MELISANDE vertont) miteinander. Alle drei Dramen haben das Thema TOD gemeinsam. In L'INTRUSE stirbt eine Mutter im Kindbett, im zweiten Stück INTÉRIEUR geht es darum, wie man die Angehörigen über den Selbstmord ihrer Tochter informieren soll. In LA MORT DE TINTAGILES schliesslich lockt eine Grossmutter als Königin ihren Enkel in ihr Reich, um ihn als Thronfolger ermorden zu lassen. Reimann gelingt eine betörende Verschmelzung der drei Minidramen zu einem hochspannenden Blick in das Mysterium des Todes. 

Als Sohn einer Altistin und Gesangspädagogin und profilierter Liedpianist (u.a. Elisabeth Grümmer, Julia Varady, Dietrich Fischer-Dieskau, Ernst Haefliger, Rita Streich, Brigitte Fassbaender) hatte Reimann von früh an ein ausgezeichnetes Gespür für Singstimmen und deren expressive Möglichkeiten. Wohl deshalb schaffen es seine Werke immer wieder in Neuproduktionen auf die Bühne, was für Komponisten ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist.

Die Oper Frankfurt stellt in dieser Saison neben L'INVISIBLE auch Reimanns zweite Oper, MELUSINE, zur Diskussion. Man darf zu Recht gespannt sein.

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