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Frankfurt: FRANCESCA DA RIMINI (Mercadante), 26.02.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Francesca da Rimini (Mercadante)

Copyright aller Bilder: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Dramma per musica in zwei Akten | Musik: Saverio Mercadante | Libretto: Felica Romani, nach Dante LA DIVINA COMMEDIA | Uraufführung: 30. Juli 2026 in Martina Franca | Aufführungen in Frankfurt: 26.2. | 5.3. | 11.3. | 15.2. | 18.2. | 25.3. | 2.4. | 8.4. 2023

Kritik:

Es ist schon erstaunlich: Da gibt es einen Komponisten, Saverio Mercadante heißt der Mann, der Musik von allergrößter Schönheit und knapp 60 Opern komponiert hat, in der Nachfolge Rossinis den Operngesang sachte reformierte, Wegbereiter des jungen Verdi und Impulsgeber für seine Zeitgenossen Donizetti und Bellini war - und trotzdem ist er heute nur noch Kennern ein Begriff, seine Werke tauchen kaum mehr auf den Spielplänen auf. Die Oper Frankfurt unternimmt mit der Premiere der lange Zeit im Archiv schlummernden Oper FRANCESCA DA RIMINI nun einen erfreulichen Anlauf, dies zu ändern und Mercadante ins Bewusstsein der Opernliebhaber*innen zurückzuholen. Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit den Tiroler Festspielen Erl und erlebte im Dezember 2022 dort ihre österreichische Erstaufführung.

Gestern Abend nun erfolgte die vom Premierenpublikum mit viel Zustimmung und begeistertem Applaus aufgenommene deutsche Erstaufführung an der Oper Frankfurt.

Man muss sich allerdings auf die traumhaft schöne Musik einlassen wollen, denn die Melodien sind noch in längere Bögen verpackt als bei Bellini (Giuseppe Verdi erwähnte Bellinis "melodie lunghe, lunghe". Bei Mercadante sind sie im Vergleich dazu "lunghissime".) Dazu kommt, dass der vielbeschäftigte Librettist Felice Romani ein Libretto verfasst hatte, das eher ein psychologisches Kammerspiel als große Oper ist, viele differenzierte Innenansichten in die seelischen Befindlichkeiten der drei Hauptpersonen (Francesca, Lanciotto, Paolo) beinhaltet, aber wenig Handlung. Trotzdem weist die zweiaktige Oper eine reine Spielzeit von gut drei Stunden auf und erfordert so eine große Konzentrationsanstrengung seitens des Publikums. Hier liegt ein wenig die Krux dieser Koproduktion in der Regie von Hans Walter Richter: Die Dimensionen der Bühne und das Bühnenbild sind schlicht zu groß für das eigentlich sehr intime Werk. Richter hat sich in seiner Arbeit zwar zu Recht auf die Fokussierung auf die Protagonisten beschränkt, eine stimmige, poetische Verdoppelung der drei Hauptpersonen eingeführt, welche eine sich von der Realität entfernende und in eine ideale Traumwelt der Harmonie abgleitende Alternativversion der tragischen Handlung als Parallelaktion vollziehen. Allein, vieles verliert sich in dem großen, von Johannes Leiacker gestalteten, symbolbeladenen Raum. Gigantische weiße Wände erlauben (einmal mehr ...) Schattenwürfe und Projektionen, können sich öffnen und den Blick auf eine verfallene Abtei freigeben. Dieser Teil des Bühnenbildes ist angelehnt an Caspar David Friedrichs romantisches Gemälde "Abtei im Eichwald", mit welchem der Maler das Geheimnis des Grabes und der Zukunft in einer Schneelandschaft ergründen wollte. Auch in der Inszenierung setzt über der Landschaft mit der gotischen Kirchenruine dann prompt Schneefall ein. Ein Bild, das Nähe am Romantikkitsch vorbeischrammt . Zu erleben ist u.a. eine Bücherverbrennung durch Lanciottos Vertrauten Guelfo (der Tenor Brian Michael Moore hat leider wenig zu singen, aber ist auf kämpferisch aufbrausend Art ein sehr präsenter Diener seines Herrn), allerdings verbrennt er anscheinend nicht nur die gemeinsam Lektüre von Francesca und Paolo (die Legende von Lancelot und Guinevere), sondern scheint die gesamte Bibliothek in Brand gesetzt zu haben, wenn man die immensen Rauchschwaden, die da durch die Öffnung in der Wand dringen, richtig deutet. Immer wieder besteigen die Protagonisten, wenn sie einen ganz besonderen Erregungszustand unterstreichen wollen, einen Felsbrocken (mitten im Schlafzimmer), es wird viel mit dem Schwert herumgefuchtelt und das Ehebett des unglücklichen Paares Francesca - Lanciotto ist verständlicherweise ein zentraler Handlungsort. Zentrale Bedeutung als Symbol für die Unterdrückung und Unterwerfung Francescas scheint auch ein roter Mantel zu haben (wohl zu Repräsentationszwecken), in den Francesca immer wieder wie in eine Zwangsjacke gezwungen wird. (Die Kostüme im Stil der Entstehungszeit hat Raphaela Rose entworfen.) Vieles ist sehr gut und stimmig gemacht, die Integration des mehrheitlich kommentieren Chors allerdings gerät manchmal zu einer etwas unbeholfen wirkenden Angelegenheit. Kraftvoll und energiegeladen singt der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt.

Die drei Hauptpartien sind für die beiden Sängerinnen und den Sänger musikalisch ausgesprochen anspruchsvoll, haben sie doch je zwei grosse Einzelszenen mit Cavatine und bravouröser Cabaletta zu meistern, dazu ausladende Duette, Terzette und ein effektvolles Finale im ersten Akt! Jessica Pratt in der Titelpartie der Francesca ist eine Wucht, scheut keine Attacke, erreicht mühelos effektvolle Spitzentöne, schummelt nie bei Acuti, vermag aber auch den berührenden Seelenzuständenden der unglücklich verheirateten und am Rande des Wahnsinns dahinwelkenden Frau intensiven Ausdruck zu verleihen. Die Schuldfrage der Francesca am Ehebruch und den daraus folgenden Toten wurde oft thematisiert und diskutiert. Die Oper und die Inszenierung lassen an der Unschuld Francescas keine Zweifel: Auslöser waren die Männer, die sie zwangsverheiratet und durch das Vorgaukeln des schönen Bruders Lanciottos , Paolo, als Ehemann erst noch zusätzlich in die Irre geführt hatten.

Beachtliche Stimmakrobatik erfordert auch die Partie ihres Ehemannes Lanciotto: Theo Lebow beeindruckt mit stilsicherer Gestaltung als an Rossini geschulter "tenore di grazia", versprüht Feuerwerke an atemberaubenden Koloraturen mit heller Stimme in den höchsten Lagen. In Mercadantes/Romanis Version des FRANCESCA-Stoffes ist die Rolle nicht so von Grund auf böse und hässlich angelegt wie bei Zandonais späterer und berühmterer Vertonung, die auf dem Roman Gabriele D'Annunzios beruht. Theo Lebow zeigt auch die sympathische, menschlich verständliche Seite dieses Mannes, der erst durch den offensichtlichen Ehebruch Francescas zum rasenden, vergewaltigenden Rächer und doppelt Betrogenen wird. Denn ausgerechnet sein Bruder, der schöne Paolo entpuppt sich als Liebhaber Francescas. Mercadante hat die Rolle des Paolo als Hosenrolle konzipiert. Die junge Mezzosopranistin Kelsey Lauritano ersang sich gestern Abend einen gewaltigen Erfolg mit ihrem jugendlich feurig funkelnden Timbre, dem balsamisch gestalteten Schmachten und der stürmischen Emphase des jungen Liebhabers. Die Duette mit Jessica Pratt waren von exquisiter Schönheit in der Verschmelzung der beiden Frauenstimmen. Das klang mindestens so berührend, wie die Zwiegesänge Normas mit Adalgisa in der Bellini Oper NORMA. Doch weder dieses Duett noch die an Donizettis LUCIA DI LAMMERMOOR erinnernde Autrittscavatina der Francesca mit der wunderschönen Harfenbegleitung sind Plagiate, da sowohl Bellinis Oper als auch Donizettis Drama erst herauskamen, als Mercadantes Oper bereits in der Schublade verstaubte.

Der dritte manipulative Mann der Geschichte ist der Vater Francescas, Guido. Er hatte um des Friedens zwischen Rimini und Ravenna willen seine Tochter mit Lanciotto verheiratet. Erik van Heyningen verleiht ihm mit seinem geschmeidigen und - gerade im wunderschönen Terzett des ersten Aktes - die Ensembles bereichernden baritonalen Wohlklang das notwendige Gewicht. Die Dienerin Isaura wird von Karolina Bengtsson mit beachtlichem Profil interpretiert, ihr "tu piangi?" war zutiefst erschütternd!

Unter der behutsam die Musik Mercadantes ausleuchtenden Leitung von Ramón Tebar ließ das Opern- und Museumsorchester Frankfurt wunderschöne solistische Passagen aufblitzen und mit den Stimmen auf der Bühne verschmelzen.

Man kann nur hoffen, dass sich weitere Opernhäuser nun auf die Suche nach aufführungswürdigen Werken des einst so geachteten Saverio Mercadante machen werden. Der Komponist hätte es mehr als verdient!

Inhalt:

Lanciotto, der Sohn des Herrschers von Rimini (Malatesta), findet seine Gemahlin Francesca bei seiner Rückkehr aus einem Krieg in verdächtig betrübter Stimmung vor. Er schöpft Verdacht, dass sie ihm untreu war. Zu Recht, wie sich gleich herausstellen wird: Francesca und ihr Schwager Paolo begehen, inspiriert von einer Episode aus der Artus-Saga (Lancelot und Ginevra) Ehebruch. Lanciotto ertappt die beiden in flagranti.

Francesca und Paolo werden in den Kerker geworfen. Der Vater Francescas (Herrscher des mit Rimini verfeindeten Ravenna) interveniert. Francesca bietet an, ins Kloster zu gehen, um den Kämpfen und Lanciottos Eifersucht ein Ende zu bereiten. Auf dem Weg ins Kloster trifft sie noch einmal Paolo. Lanciotto kommt hinzu und zwischen den Brüdern kommt es zu einem Schwertkampf. Francesca nimmt (sehr langsam wirkendes) Gift. Paolo begeht daraufhin Suizid.

Werk:

Saverio Mercadante (1795-1870) ist trotz seines reichhaltigen Werkverzeichnisses im Bereich Oper und Sakralmusik und seiner anerkannten Reformbestrebungen in der Ära nach Rossini heutzutage weitgehend unbekannt. Mercadantes Erfolg begann bereits mit seiner ersten Oper, welche in Neapel mit einem Starensemble uraufgeführt wurde, das auch Rossini zur Verfügung stand. Bis 1830 war Mercadante dann vornehmlich in Neapel, Madrid, Lissabon und Cádiz tätig, als Dirigent und Komponist. Nach seiner Heirat liess er sich in Novara nieder, ideal gelegen zwischen den Opernmetropolen Mailand, Turin und Venedig. Seine Reform des Belcanto hin zum Canto dramatico war wegweisend, er ging damit weiter als Bellini oder Donizetti. Die frühen Opern Giuseppe Verdis zeugen vom grossen Einfluss, der Mercadante auf die Generation nach Rossini ausübte. Rossini übrigens beauftrage Mercadante, eine Oper für sein Pariser Théatre des Italiens zu komponieren. Mercadante vertonte IL GIURAMENTO (gleiche Handlung wie Ponchiellis LA GIOCONDA). Diese Oper wurde eines seiner erfolgreichsten Werke.  Nach und nach entdecken Festspiele wie die in Martina Franca, das Festival "Rossini in Wildbad", Wexford oder Erl die Opern Mercadantes wieder. So auch die Oper  FRANCESCA DA RIMINI, welche eine tragi-komische Entstehungsgeschichte hatte. Mercadante hatte sie für Madrid komponiert. Die Sängerin der Titelpartie war eine von Mercadantes verflossenen Geliebten, es kam während der Proben zum Streit und das Werk konnte nicht uraufgeführt werden. Mercadante reiste ab und nahm die Partitur mit nach Mailand, wo es an der Scala hätte gegeben werden sollen. Die Primadonnn Giuditta Pasta und Giulia Grisi wären für die Rollen von Paolo (Hosenrolle) und Francesca vorgesehen gewesen. Doch die Pasta weigerte sich, anstelle der Tiltelrolle "nur" eine Hosenrolle singen zu dürfen. Die Pläne platzten also erneut - das Werk verschwand im Archiv und wurde erst fast 190 Jahre später uraufgeführt, an den Festspielen von Martina Franca unter der Leitung von Fabio Luisi.

Riccardo Zandonai komponierte 1914 auch eine Oper über die tragische Dreiecksgeschichte. Seine FRANCESCA DA RIMINI gehört heutzutage immerhin zum erweiterten Standardrepertoire.

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