Düsseldorf: LES DIALOGUES DES CARMÉLITES, 06.04.2012
Oper in drei Akten | Musik: Francis Poulenc | Text: vom Komponisten, nach dem Bühnenstück von Georges Bernanos | Uraufführung: 26. Januar 1957, Teatro alla Scala, Mailand | Aufführungen in Düsseldorf: 6.4. | 8.4. | 12.4. | 24.4. | 28.4.2012
Kritik:
Eine passendere Opernaufführung für einen Karfreitag als Poulencs/Bernanos ergreifendes Drama um den Märtyrertod der Karmeliterinnen von Compiègnes kann man sich kaum vorstellen. Und wenn eine Vorstellung dann noch dermassen stimmig und szenisch wie musikalisch überwältigend abläuft, ist die Ergriffenheit vollkommen. Wie bemerkte doch eine ältere Dame neben mir am Ende des Abends: " Ich bin so berührt, dass ich gar nicht applaudieren mag." Poulenc ist mit dem finalen Salve Regina und dem auskomponierten Niedersausen des Fallbeils ja auch wirklich eine der traurigsten und zugleich effektvollsten Szenen der Opernliteratur gelungen - eine Szene, welche niemanden kalt lässt. Regisseur Guy Joosten hat sie mit bezwingender Schlichtheit in Szene gesetzt: Vor einer in immer gelberem Licht erstrahlenden weissen Rückwand fallen auf den Schlag genau zur Musik schwarze Stoffbahnen nieder, die Szene verdunkelt sich zusehends. Und mit jedem Fallen des Enthauptungsmessers verschwindet eine Nonne aufrechten Gangs von der Bühne, bis nur noch Constance übrig bleibt. Blanche überwindet endlich ihre Angst, gesellt sich zu ihr und stirbt zusammen mit den Frauen, welche ihr Halt gegeben haben, den Märtyrertod. Die Menschen in den Alltagskleidern der Nachkriegszeit, welche zuvor während der orchestralen Intermezzi stets als Projektion einer orientierungslos dahineilenden Menge gezeigt wurden, finden nun kurz zueinander, bleiben aber hilflos verwirrt zurück. So schafft der Regisseur klug den Bogen von der historischen Begebenheit der französichen Revolution zur Entstehungszeit des Dramas von Bernanos, welcher vom Verhalten der Nachkriegsgesellschaft Frankreichs so bitter enttäuscht war.
Auch musikalisch kam der Abend geradezu überwältigend daher. Annett Fritsch gestaltete die Lebens- und Todesangst der Blanche mit tief empfundener Eindringlichkeit. Ihr warm aufblühender Sopran, die glockenreinen Spitzentöne und das wunderbare Timbre in der Tiefe liessen immer wieder aufhorchen. Als alte Priorin bewegte Marie Ange Todorovitch mit bewundernswerter Kraft, Eindringlichkeit und Intensität. Ihr widerspenstiger Kampf mit dem Tod, die schmerzerfüllte Agonie, das Hadern mit dem grausigen Schicksal waren genauso empfindsam dargestellt wie zuvor ihre Strenge und Autorität zu beeindrucken verstanden. Jeanne Piland sang eine phantastische, die Partie sauber und kontrolliert durchgestaltende Mère Marie. Wunderbar rein stimmte sie ein Ave Maria an, beherzt trat sie für das Martyrium der Schwestern ein, ausgerechnet sie, welche am Ende dann doch das Untertauchen, die Flucht vorzog und als einzige der Nonnen überlebte. Ihre Gegenspielerin, die neue Priorin Madame Lidoine, wurde von Helen Lyons mit einfühlsamer Überzeugungskraft gesungen. Eine hoch interessante Stimme, die fordernd sein konnte, um sich gleich darauf dann zu einem strahlenden Sancta Maria aufschwingen konnte. Voll jugendlich verspielter Frische sang Iulia Elena Surdu die Soeur Constance. Männer treten in dieser von den mutigen Frauen dominierten Oper nur am Rande und in eher unvorteilhaften Rollen auf: Der rationale Vater von Blanche (mit rauer Expressivität gesungen von John Wegner) im ersten Bild wird vor einer immensen Bücherwand gezeigt, welche dann im dritten Akt in Schutt und Asche liegt. Corby Welch sang Blanches Bruder mit weichem Tenor, besorgtem Klang in der schön geführten Stimme und feinfühliger Mimik und kontrastierte so sehr gut mit dem explosiven Charakter seines Vaters. Der feige Beichtvater war Bruce Rankin, die fiesen Gehilfen der Revolution wurden von Florian Simson und Lukasz Konieczny überzeugend dargestellt. Am Pult der klangschön musizierenden Düsseldorfer Symphoniker war Ralf Lange ein umsichtiger und engagierter Anwalt von Poulencs herausragender Partitur. Es gelang ihm sowohl den über weite Strecken herrschenden sakralen Charakter des Werks herauszuarbeiten (ohne in Kitsch zu verfallen) als auch den hochdramatischen Atem zum Zuge kommen zu lassen. Die ausgewogene Balance zwischen Graben und Bühne und die wunderbaren, grossen Bögen führten zu einer unerbittlichen Sogwirkung des spannenden, tief beseelten Abends.
Inhalt:
Aus Lebensfurcht beschliesst die junge Adlige Blanche de la Force (!) im Jahre 1789 in den strengen Orden der Karmelitinnen einzutreten. Als Schwester Blanche von der Agonie Christi findet sie dort Aufnahme, ist tief erschüttert vom Sterben der alten Priorin, wird unter die strengen Fittiche von Mère Marie de l’Incarnation genommen und freundet sich mit der jungen Schwester Constance an. Nach der Auflösung des Klosters durch das Revolutionstribunal kehrt sie als Magd in das Haus ihres inzwischen hingerichteten Vaters zurück. Sie erfährt von der Verurteilung ihrer Schwestern wegen Hochverrats und fühlt sich dem abgegebenen Gelöbnis des Martyriums verpflichtet, welches Mère Marie durchgesetzt hatte. Blanche folgt den zum Tod durch die Guillotine Verurteilten freiwillig aufs Schafott. Einzig die Initiatorin des Opfergangs, Mère Marie, überlebt die Wirren der Revolution.
Werk:
Die wahre Geschichte um 16 Nonnen, die während der französischen Revolution guillotiniert wurden, bilden den Ausgangspunkt der Geschichte, die Gertrud Le Fort 1931 in die Novelle „Die Letzte am Schafott“ hat einfliessen lassen. Georges Bernanos hat daraus ein Theaterstück gemacht, welches unter dem Titel OPFERGANG EINER NONNE (mit Jeanne Moreau als Mère Marie) auch verfilmt wurde.
Francis Poulenc kürzte das Theaterstück selbst zum Libretto und komponierte eine durchgehend tonale Musik dazu. Damit widersetzte er sich dem damals herrschenden Zwang zum Avantgardismus und zum Serialismus. Seine Musik enthält Anklänge an Monteverdi, Verdi und Mussorgsky und demonstriert damit eine „neue Einfachheit“. Die Orchesterfarben sind meist impressionistisch gehalten, von der grossen Besetzung macht er nur sparsamen Gebrauch. Einzig das auskomponierte Niedersausen des Fallbeils führt in der Schlussszene zu einem veristischen Schockeffekt. Dieser Moment, in welchem die 16 Nonnen das SALVE REGINA intonierend das Schafott besteigen, gehört zu den eindrucksvollsten Musiktheater Momenten überhaupt.