Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Bern: L'ATTAQUE DU MOULIN,18.06.2011

Erstellt von Kaspar Sannemann | | L'Attaque du moulin

Drame lyrique in vier Akten | Musik: Alfred Bruneau | Libretto: Louis Gallet, nach Emile Zola | Uraufführung: 23. November 1893 in Paris |

Aufführung in Bern: nur am 18.06.2011

Kritik:

Woran mag es bloss gelegen haben, dass so viele Plätze im Berner Stadttheater frei blieben? Mangelt es dem Berner Publikum tatsächlich an Entdeckerfreude – und lust? Oder ist es am Ende der Saison einfach zu müde, um sich nochmals ins Theater zu begeben und seine Ohren einem weit gehend unbekannten Werk der französischen Opernliteratur zu öffnen? Zudem liegt Bern ja nahe der Sprachgrenze, da hätte man auch BesucherInnen aus der Romandie erwarten können. Doch wie dem auch sei, die Abwesenden haben einmal mehr eine Begegnung mit einem hoch interessanten, ja geradezu mitreissenden, spätromantischen Werk verpasst. Bruneaus Oper enthält alles, was zu einem packenden Bühnenwerk gehört: Die drei dramaturgischen Einheiten von Handlung, Zeit und Ort sind geradezu exemplarisch erfüllt, eine eingängige, das Ohr direkt ansprechende Musik, die nie platt wirkt, wunderschöne naturalistische Schilderungen und Protagonisten, mit denen man sich identifizieren kann, an deren Schicksal man mitleidend teilnimmt. Kurzum, es wird höchste Zeit, dass man im 21. Jahrhundert die Opern des „Dreamteams“ Bruneau/Zola wieder entdeckt und auch szenisch zur Diskussion stellt. Dem Berner Stadttheater ist es hoch anzurechnen, dass es im Rahmen seiner Ausgrabungen nun die erfolgreichste Oper Bruneaus, L'ATTAQUE DU MOULIN, wenigstens konzertant präsentierte – und dies mit einer erstklassigen Besetzung. Dankbar muss man den Schöpfern der Oper vor allem dafür sein, dass sie mit der Figur der Marcelline (welche in Zolas Erzählung nicht vorkommt), eine omnipräsente und das tragische Geschehen wie ein antiker Chor kommentierende Partie geschaffen haben. Marcelline ist quasi die Stimme der Anklage gegen die Sinnlosigkeit des Krieges, die Stimme der Humanität und der Moral. Für die Uraufführung wurde die damals sechzehn Jahre alte Marie Delna verpflichtet. In Bern nun verkörperte die junge Mezzosopranistin Julie Robard-Gendre die Rolle – und liess aufhorchen: Ihre samtene, ausdrucksstarke Stimme füllte den Raum, sie verfügte über ein reiches Spektrum an Farben und Schattierungen, ihre Anklagen gingen wahrlich unter die Haut. Eine Stimme von erlesener Schönheit und packender dramatischer Ausdruckskraft! Mit ansteckendem Enthusiasmus pries Lionel Lhote als Père Merlier im ersten Akt seine Mühle – und mit berührender Intensität trauerte er vor deren Ruine am Ende des Werks der vergangenen Schönheit seines Lebenswerks nach und verlieh mit seiner Schlussarie vor seinem Tod zugleich der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft Ausdruck. Das tragische Liebspaar wurde von Marc Laho (Dominique) und Fabienne Jost (Françoise) gesungen. Marc Laho beglückte mit exquisiter Tongebung und biegsamem, gut fokussiertem Tenor. Herrlich erklangen seine lyrischen Phrasen in der berühmten Tenorarie Adieux la fôret, in welcher er die Schönheiten der Natur und seine Liebe zu Françoise im Angesicht seiner angedrohten Hinrichtung besingt. Stark kontrastierend zum lyrischen Schmelz ihres Geliebten legte Fabienne Jost die Rolle der Françoise an: Ihre Stimme funkelte geheimnisvoll, neigte zu beinahe hochdramatischen – aber stets kontrollierten – Ausbrüchen. In ihrer Interpretation war nicht ein junges Mädchen zu hören, sondern eine starke Frau, welche durch die schrecklichen, von Angst und Verzweiflung erfüllten Kriegserfahrungen schnell zur Reife gelangte. Die vier hochklassigen Stimmen vereinigten sich im kurzen Quartett des vierten Aktes in einer atemberaubenden, effektvollen Steigerung.

Berührend sang Andries Cloete die traurigen Weisen des jungen fremden Soldaten, welcher fern der Heimat seiner Mutter und seiner Geliebten nachtrauert und nicht weiss, weshalb er überhaupt hier ist. Rolf Schneider überzeugte in den Rollen des Ausrufers, Offiziers und des Burschen, Martin Lorenz Weidmann war ein autoritär auftrumpfender feindlicher Hauptmann und Chiara Skerath eine bezaubernd klingende Geneviève.

Dadurch, dass die Solisten und der mit grossem Elan singende Chor (Einstudierung Tarmo Vaask) an der Bühnenrampe platziert waren, wirkten die Stimmen sehr dominant und überdeckten zeitweilig das plastische Spiel des Berner Symphonieorchesters, so dass manche Feinheit der differenzierten und farbenreichen Orchestrierung ein wenig in den Hintergrund zu rücken drohte. Doch dem musikalischen Leiter Jérôme Pillement gelang es, in den rein orchestralen Passagen die wunderbaren naturalistischen Klänge berückend schön und ruhig fliessend herauszuarbeiten und die dramatischen Zuspitzungen mit fesselnder Leidenschaft zu akzentuieren. Das Publikum bedankte sich mit begeistertem Applaus bei den Ausführenden.

Wahrlich: Man hätte den KünstlerInnen (und dem Werk) mehr Publikum gewünscht!

Inhalt:

L'ATTAQUE DU MOULIN spielt in Lothringen zu Beginn des französisch-preussischen Kriegs von 1870/71. Der Müller Merlier wohnt mit seiner Tochter Françoise in der Mühle von Rocreuse. In der Mühle findet ein Fest statt. Merlier gibt die Verlobung seiner Tocher mit Dominique, einem Belgier aus dem Nachbarstädtchen, bekannt. Dominique gilt eigentlich als Faulpelz, hat in den letzten Monaten jedoch bewiesen, dass er auch arbeitsmässig ordentlich zupacken kann. Meunier fixiert den Hochzeitstag. Alle freuen sich. Doch der Krieg rückt näher. Französische Soldaten verschanzen sich in der Mühle. Dominique unterstützt sie beim Kampf gegen heranrückende Preussen. Doch die Franzosen müssen bald weiterziehen – und die Preussen kehren zurück. Dominique wird gefangen genommen. Françoise unternimmt alles, um ihn zu befreien. Vergebens: Sie verliert dabei nicht nur ihren Geliebten, sondern auch noch den Vater.

Die Franzosen dringen aus dem Wald gegen die Mühle vor. Die Mühle wird im Kampf zerstört. Der Krieg geht vorbei, doch die Wunden bleiben und das Leben wird nie mehr dasselbe sein ...

Werk:

Louis Charles Bonaventure Alfred Bruneau (* 3. März 1857 in Paris; † 15. Juni 1934 in Paris) war ein französischer Komponist und Musikkritiker. Bruneau war ein Kompositionsschüler von Jules Massenet. Kurzzeitig war er als musikalischer Leiter der Pariser Opéra comique tätig und ab 1925 wurde er Nachfolger von Gabriel Fauré als Mitglied der Académie des Beaux Arts.

Bruneau gilt zusammen mit Vincent d’Indy, Claude Debussy und Paul Ducas als Verfechter und Vorreiter des Einzugs der Strömungen des Realismus und Naturalismus in die Musiksprache an der Wende zum 20. Jahrhundert. Literarisch und künstlerisch stark geprägt war er durch seine über Jahrzehnte währende enge Freundschaft mit dem Romancier Emile Zola.

In Bruneaus Musik ist zwar der Einfluss und die Faszination, welche Wagners Opern auf die französischen Komponisten ausübten, deutlich zu hören (Leitmotivtechnik), doch entwickelte Bruneau dessen musikalischen Ausdruck durch das Beibehalten der lyrischen, für die französischen Musik typischen, Vokallinien und seine Eleganz weiter.

Karten

Zurück