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Bern: KRÓL ROGER, 01.12.2019

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Król Roger

© Annette Boutellier, mit freundlicher Genehmigung Konzert Theater Bern

Oper in drei Akten | Musik: Karol Szymanowski | Libretto: vom Komponisten und von Jaroslaw Iwaszkiewicz | Uraufführung: 19. Juni 1926 in Warschau | Aufführungen in Bern: 1.12. | 3.12. | 12.12. | 15.12. | 27.12. 2019 | 12.1. | 25.1. | 17.3. | 3.6.2020

 

Kritik:

„Eigentlich ist es eine Frechheit“, sagt der Dirigent Matthew Toogood im Trailer auf www.konzerttheaterbern.ch zur Oper KRÓL ROGER von Karol Szymanowski. Damit spielt er selbstredend weder auf die Komopsition Karol Szymanowskis an und schon gar nicht auf die musikalisch und szenisch packende Umsetzung im Theater Bern, sondern lediglich auf den Umstand, dass das Schweizer Opernpublikum sage und schreibe 93 Jahre auf eine Aufführung dieses bedeutenden Werks hierzulande warten musste!

Dass diese Oper schleunigst zumindest ins erweiterte Kernrepertoire gehört, dafür hat das Theater Bern mit dieser heftig applaudierten Premiere ein überzeugendes Plädoyer abgeliefert. Szymanowskis Partitur besticht mit einer faszinierenden Klangwelt, irisierenden, flimmernden Klängen, dann wieder soghaft und mitreissend auftrumpfend, so kunstvoll instrumentiert, dass ein die Hörer*innen einhüllender – mit spätromantischem Affekt aufgeladener - Gesamtklang entsteht (und dies, obwohl der Komponist nie eine formale Ausbildung abgeschlossen hatte). Diesen hohen Stellenwert des Orchesters haben natürlich die Verantwortlichen der Berner Inszenierung auch gleich erkannt und das gesamte Orchester auf die Bühne geholt. Matthew Toogood also ist der beredte Anwalt dieser Oper und führt das gross besetzte Berner Symphonieorchester zu einer eindrücklichen, farbigen und – wo nötig – auch aufwühlenden Klangwelt. Eine Klangwelt, zu der auch der Chor von Konzert Theater Bern (Einstudierung: Zsolt Czetner) und der fantastische Kinderchor der Singschule Köniz ihren gewichtigen Beitrag leisten. Gerade die Eröffnungsszene mit ihrem gewaltigen Chorcrescendo fährt so richtig ein und macht das Ohr neugierig auf den weiteren Verlauf der Oper. Doch auch das Auge und der Geist kommen beileibe nicht zu kurz. Ric Schachtebeck hat eine streng geometrisch gestaltete Bühne entworfen, Treppen, einen Steg, ein offenes, quadratisches Element, das hinter dem Orchester vom Bühnenhimmel hängt, alles in klinischem, geradezu aseptischem Weiss. Denn nichts soll diese streng geordnete Glaubensgemeinschaft infizieren, der König Roger vorsteht, schon gar nicht ein Virus, der freie Liebe und sexuelle Selbstbestimmung verbreiten könnte. Doch die verführerischen Augen des Infiltrators sind in grosser Videoprojektion auf dem Gazevorhang immer wieder sichtbar. Im zweiten Akt wird die Bühne in einem zarten, sinnlichen Rosa ausgeleuchtet und im dritten Akt flutet eine orangefarbene Wärme die Bühne (Licht: Bernhard Bieri). Heide Kastler hat für diese Gemeinschaft mit eindrücklicher Kostümdramaturgie strenge Kostüme beigesteuert, biedere Blusen und hochgeschlossene Kostüme für die Damen (deren Haar zu einem ebenso strengen Konten gebunden ist), weisse Hemden, Anzüge und Schlips für die Männer. Individuelle Freiheit wird nicht zugelassen – selbst die Musiker*innen des Orchesters mussten sich diesem Zwang unterziehen, spielen in weissen Oberteilen, beinahe wähnt man sich in einer mormonischen Gemeinschaft. Doch dann bricht der Hirte (aus der ersten Parkettreihe) in diese klinisch saubere Welt ein – in Jeans, Stiefeletten und mit goldener Dornenkrone auf dem Haupt. Er nun bringt alles durcheinander, die Menschen rennen schon bald diesem neuen Heilsbringer nach (eben haben sie von König Roger noch seine Eliminierung gefordert). Mit eindringlicher Personenführung macht Regisseur Ludger Engels diesen Sinneswandel evident: Die gestrenge Diakonissin ist eine der ersten, die nun ihre Bluse aufknöpft, den Haarknoten löst. Die Begeisterung für den neuen Rattenfänger schwappt gar in den Saal, Leute aus dem Publikum werden (teils sehr zögerlich ...) auf die Bühne geholt, mit Kartonplakaten ausgestattet, die freie Liebe und das Recht auf Selbstbestimmung fordern, von den Rängen werden revolutionäre Transparente ausgerollt – alles friedlich – und doch auch wieder ein kollektiver, zwanghafter Taumel, wie er die Menschheit immer mal wieder erfasst, wenn man des einen Systems müde geworden ist und das Heil bei einem anderen Guru sucht. Und als solcher tritt Andries Cloete als Hirte auf: Im ersten Akt wie erwähnt mit langem Jesushaar in Jeans und femininem T-Shirt unter der Jacke. Im zweiten Akt dann als eine Art androgyner Rosenkavalier in Hosenanzug, Diamantgeschmeide auf der nackten Brust und in knallgelben Stilettos. Andries Cloete wandelt damit mit bestechender Sicherheit wie ein Model auf einem Laufsteg, als wären ihm Stilettos in die Wiege gelegt worden. Das wird manche Dame im Publikum mit neidischem Blick beäugt haben. Im dritten Akt tritt er nur mit einem Lendentuch bekleidet und weissgepudertem Körper als fernöstlicher Guru auf. Seine Stimme klingt wunderbar präsent, hell und mit fantastischer Höhensicherheit – eine grandiose Leistung! König Roger jedoch ist lange skeptisch, will diesem Verführer nicht gleich folgen, ja reagiert mit Kopfschütteln, als seine Gemahlin Roksana vom strengen Kostüm ins blumige Kleid wechselt, sich vom Hirten immer stärker angezogen fühlt. Doch zunehmend erkennt Roger die Botschaft des Hirten, nämlich sich im Leben für einen eigenen Weg zu entscheiden, sich nicht indoktrinieren zu lassen und sich nicht gesellschaftlichen Zwängen unterzuordnen. Mariusz Godlewski zeigt diese Erkenntnis des Königs mit überwältigender mimischer und musikalischer Eindringlichkeit: Wärme und unbändige Freude breiten sich über sein Gesicht aus, das lange verschlossen und skeptisch war, und seine Phrasen werden nun bestimmter und zusammenhängender, seine wunderschöne Baritonstimme beginnt noch mehr zu strahlen – eine Freude, die sich direkt in die Herzen der Zuhörer*innen brennt. Grossartig! Spannendes macht Ludger Engels mit dem Berater des Königs, Edrisi. Nazariy Sadivskyy singt die Rolle mit sauber geführtem, biegsamem Tenor. An dieser Figur zeigt Engels die autobiographischen Züge des Werks, die ephebophile Homosexualität des Komponisten (er fühlte sich zu pubertierenden Jünglingen hingezogen, wie Aschenbach zu Tadzio in Thomas Manns TOD IN VENEDIG). Nazariy Sadviskyy wandelt sich also vom verstockten, blassen Berater zum sich outenden Schwulen, deckt sich mit der Regenbogenfahne zu, legt sich des Hirten silbernens Diamantengeschmeide auf die Brust und kriegt dafür gar einen innigen Kuss von Roger! Einzig Rogers Gemahlin Roksana ist von Beginn weg ganz auf der Seite des Hirten, komplett in seinem Bann. Evgenia Grekova singt die wunderschönen Melismen und betörenden Vokalisen im zweiten Akt aus der Mitte des Orchesters heraus, glänzt mit ihrem wunderschön leicht ansprechenden und schön aufblühenden Sopran. In den kleineren Rollen steuern Young Kwon (Erzbischof), Sarah Mehnert (Diakonissin) und die Chorsolisten Mariusz Chrzanowski und Jinsook Lee viel zum beeindruckenden Gesamterlebnis dieses Opernabends bei.

KRÓL ROGER gilt (auch aufgrund der Biographie des Komponisten) als „schwule“ Oper. Aber sie ist weit mehr als das, und der Regisseur Ludger Engels weicht geschickt der Falle aus, den zweiten und dritten Akt mit schwülstigem, homoerotischem Softporno aufzuladen, sondern schafft der Selbsterkenntnis einen weitreichenderen, allgemeingültigen Rahmen: The soul needs to be connected, die Yoga-Weisheit, ist unter anderem auf einem der Spruchbänder zu lesen, sie gilt für alle, die Liebe und Leidenschaft in ihrer Vollkommenheit erleben wollen.

Fazit: Spät kommt sie, aber sie kommt, die eindrückliche Schweizer Erstaufführung der polnischen Oper KRÓL ROGER! Hingehen!!!

Inhalt:

Selbsterkenntnis des sizilianischen (christlichen) Königs Roger durch einen Hirten, welcher einen neuen (sinnlichen) Kult in die fest gefügte, traditionelle Religionskultur propagiert.

Während der Messe werden König Roger und die Geistlichen mit der sinnlichen Propaganda eines schönen Hirten konfrontiert. Die Geistlichen fordern Roger auf, die Glaubensgemeinschaft vor den unsittlichen Einflüssen des Hirten und seines sinnlichen Kults zu schützen, da sie einen Abfall der Gläubigen vom (rechten) Glauben befürchten. Rogers Gemahlin, Roxana, ist den Ideen des Hirten-Propheten bereits verfallen. Der Hirte erscheint und Roger befiehlt ihm, abends in seinem Palast zum Verhör zu erscheinen.

Roger erwartet den Hirten. Roxana singt ein zauberhaftes, melismatisches Lied. Der Hirte erscheint mit Gefolgsleuten, welche sinnliche Tänze tanzen. Rogers Versuch, den Fremden in Ketten zu legen, scheitert. Der Hirte zieht davon, Roxana und ein Grossteil der Gesellschaft folgen ihm. Der König und seine arabischen Berater bleiben zurück. Doch Roger fühlt sich ebenfalls vom Hirten angezogen, und beschliesst diesem zu folgen.

Der letzte Akt spielt in den Ruinen eines antiken Theaters in der Morgendämmerung. Roxana lockt ihren Mann zu dem schönen Hirten. Dieser ist nun Dionysos, der Gott der Sinnlichkeit, der Ekstase, und ruft Roger dazu auf, ihm und seinen Anhängern zu folgen. Erotisch erheben sich des Hirten und Roxanas Stimme über den Chor. Roger wird sich bewusst, Zeuge eines Mysteriums geworden zu sein. Er schreitet der aufgehenden Sonne entgegen und bringt mit zuvor nicht erreichter melodischer Festigkeit der Sonne symbolisch sein Herz dar.

Werk:

Der polnische Komponist Karol Szymanowski (1882 – 1937) wurde in seiner Jugend stark von den französischen Impressionisten inspiriert, Ravel und Debussy, aber auch von Strawinsky und Bartók. Die Opuszahl seiner Werke liegt bei 62, wobei er im Ausland erfolgreicher war, als in seiner polnischen Heimat. Er lebte denn auch zwischenzeitlich in Italien und Nordafrika und in Wien. Nach dem Ausruch des ersten Weltkriegs kehrte er allerdings nach Polen zurück, geriet auch in finanzielle Notlagen, Das Haus seiner Familie wurde 1917 zerstört. Fast zwei Jahre lang legte er das Komonieren zur Seite und schrieb einen erotischen Roman, den er seinem 15jährigen russischen Liebhaber, Boris Kochno, widmete. Das Buch wurde allerdings nie verlegt und nur wenige Manuskriptseiten sind später in russischer Übersetzung in Paris aufgetaucht. Boris Kochno jedoch verliess Szymanowski und ging eine Beziehung mit dem Impresario Djagilew ein. Seine Homosexualität verarbeitet Szymanowski in seinem Hauptwerk, der Oper KRÓL ROGER. Die Musik erinnert in ihrer die Grenzen der Tonalität erreichenden Harmonik an die eksatischen Klänge eines Skrjabin. Die musikalische Sprache der Oper ist von einer unter die Haut gehenden Sinnlichkeit geprägt. Die Selbsterkenntnis des Königs Roger am Ende hat Szymanowski entgegen dem Willen des Librettisten abgeändert: Roger folgt nicht dem schönen Hirten in die vermutlich desaströse Ekstase, sondern geht in betörenden Dur-Klängen seinen eigenen Weg – folgt nicht seiner Gemahlin Roxana (mit der das sexuelle Leben, wie wir im ersten Akt erfahren, eh zum Erliegen gekommen ist). Er emanzipiert sich von allem und allen und beschreitet den Weg des Lichts, der für ihn als der einzig richtige erscheint.

Karten

 

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