Bern: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR, 15.01.2011
Komisch-phantastische Oper in drei Akten |
Musik: Otto Nicolai |
Libretto: Hermann Salomon Mosenthal |
Uraufführung: 9. März 1849 in Berlin |
Aufführungen in Bern: 15.1|18.1.|6.2.|12.2.|18.2.|20.2.|26.2.|5.3.|8.3.|11.3.|19.3.|25.3.|3.4.|13.4.|7.5.|4.6.2011
Kritik:
Die „Weiberehre“ zu verteidigen ist diesen durchtriebenen Frauen zum grossen Amüsement des Publikums im Berner Stadttheater ganz hervorragend gelungen. Allerdings machen es ihnen die Männer in Nicolais heutzutage viel zu selten aufgeführter komisch-phantastischer Oper auch leicht. Sie sind nämlich – vielleicht mit Ausnahme des smart schmachtenden Fenton – auch allesamt ziemliche Versager: Vom unter chronischem Schlafsyndrom leidenden Junker Spärlich über den schmierigen Doktor Cajus, den biederen Vorstadtgärtner Reich und den Möchtegern-Tyrann-Obristen Fluth zum unwürdig alternden Playboy Falstaff, welcher dann im letzten Bild auch noch als abgehalfterter Altrocker im schlecht sitzenden Lederoutfit das letzte Quäntchen an Würde einbüssen muss. Die Frauen, welche in dieser Inszenierung an DESPERATE HOUSEWIVES erinnern (die passenden Kostüme hat Susanne Schwarzer entworfen) und sich auch nicht scheuen, am Ende die Posen der DREI ENGEL FÜR CHARLIE einzunehmen, haben mit den Schlappschwänzen also leichtes Spiel – und dies kosten sie genüsslich aus. Regisseur Gerald Stollwitzer hat die Geschichte des verarmten, trinkfesten Ritters aus dem späten 14.Jahrhundert in die heutige Zeit verlegt – und das funktioniert erstaunlicherweise ganz ausgezeichnet, gerade mit dieser Oper, welche in sich neben allen musikalischen Preziosen inhaltlich auch moralinsaure und restaurative Elemente birgt. Und diese Weltanschauungen, diese Flucht ins Biedere und manchmal auch ins Platte, sind gerade in unserem Land durchaus auch hier und jetzt ein Thema. So entwickelt sich also im einfachen, aber sehr funktionalen Bühnenraum von Romy Springsguth ein schwankhaftes, viele Lacher provozierendes Treiben, die Zuschauer können sich entspannt zurücklehnen, die wunderbaren melodischen Einfälle Nicolais geniessen und die beachtlichen Darstellungskünste aller Mitwirkenden bewundern. Dass dabei das Poetisch-Romantische, welches eben auch in Nicolais glänzend orchestrierten Partitur angelegt ist, ein bisschen zu kurz kommt, versteht sich von selbst. Als Beispiel sei nur der Beginn von Fentons herrlicher Romanze Horch die Lerche erwähnt, deren wunderbarer Beginn in den Turbulenzen der vorangehenden Szene Cajus-Spärlich beinahe unterging. Doch Maestro Srboljub Dinić und das Berner Symphonieorchester vermochten den Stimmungsumschwung dann gerade noch rechtzeitig hinzukriegen, nicht zuletzt dank des bezaubernden Spiels der Harfe, gepaart mit dem lautmalerischen Gezwitscher der Flöte. Das Orchester hatte zuvor bereits mit der brillant gestalteten und schwungvoll dirigierten Potpourri-Ouvertüre begeistert, diesem Meisterwerk mit seinen zart aus den Tiefen der Nebelschwaden über der Themse aufsteigenden Elfenklängen des Beginns und dem furiosen Einmünden in den mitreissenden Schluss.
Eine „Spieloper“ wie DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR kann selbstverständlich nur mit einem sängerisch hochklassigen und entsprechend spielfreudigen Ensemble gegeben werden. Dem Stadttheater Bern ist es restlos überzeugend gelungen, ein solches auf der Bühne zu vereinen. Noëmi Nadelmann ist umwerfend komisch als Frau Fluth, sieht ausserdem blendend aus und setzt ihre grosse, auch in den Verästelungen des Ziergesangs stets geschmeidige Stimme im doch eher intimen Rahmen des Berner Hauses effektvoll dominierend ein. Ihre Partnerin in der Intrige ist Christa Ratzenböck als Frau Reich: Die Figur ist leider vom Librettisten etwas zurückhaltender angelegt als die der extrovertierten Frau Fluth, doch Frau Ratzenböck verleiht mit den wunderbar rein und samten gesungenen Phrasen ihres warmen Mezzosoprans der Partie Gewicht. (Was in aller Welt hat die Verantwortlichen wohl dazu bewogen, ihr die Ballade vom Jäger Herne im dritten Akt zu streichen? Die um drei Minuten längere Aufführungsdauer kann es ja wohl nicht gewesen sein ...) Als Frau Reichs Tochter Anna lässt Chiara Skerath mit einem herrlichen Timbre voller Wärme und Intensität aufhorchen. Es wird sich lohnen, die Entwicklung dieser jungen Sängerin aufmerksam zu verfolgen. Mit ihrer wunderschön gesungenen grossen Arie im dritten Akt gab sie schon mal ein bedeutendes Versprechen für ihre zukünftige Entwicklung ab. Ein sicherer Wert im Berner Ensemble ist immer wieder der Tenor Andries Cloete: Mit seiner einschmeichelnd geführten Stimme, welche in der Höhe geradezu aufzublühen scheint, verleiht er dem Fenton Profil. Da versteht man, dass sich Anna in diesen gutaussehenden Jeansträger mit unbekümmert-erotischer Ausstrahlung verliebt (der auch im weissen Frack als Oberon im Schlussbild eine bestechende Figur abgibt) und nicht in die Schlafmütze Spärlich im Debardeur (aber ganz hervorragend gesungen und gespielt von Jan-Martin Mächler) oder den widerlichen Dr. Cajus (herrlich französich-deutsch radebrechend Milcho Borovinov). Die beiden Gatten der Damen Fluth und Reich gehören natürlich ebenfalls zu den Verlierern: Gerardo Garciacano als Fluth muss sich stets mit zwei zweifelhaften Rambos umgeben um seine Männlichkeit zu betonen und seine Position als Tyrann des Haushalts zu unterstreichen. (Seine falschen Orden und die Schulterpatten werden ihm dann auch mal schnell von seiner Gattin abgerissen, er wird quasi entmannt!) Nach einem eher verhaltenen ersten Auftritt läuft er aber in der Verkleidung des blinden Herrn Bach auch stimmlich zu grosser Form auf. Martin Lorenz Weidmann ist der um seinen Rasen, seine Tulpen und den Schnitt der Buchsbäume besorgte Herr Reich, ein nicht ganz unsympathischer, stimmlichen Wohlklang verströmender Biedermann. Und dann bleibt noch die zentrale, gewichtige Figur des Sir John Falstaff: Günter Missenhardts Karriere erstreckt sich schon beinahe über fünf Jahrzehnte – und noch immer besticht er durch eine starke Bühnenpräsenz, herrliches Spiel (wie er sich zum Beispiel vor Frau Fluth über Frau Reich lustig macht) und den satten Klang seines sonoren Basses. Mag sein, dass das tiefe E in seinem Trinklied Als Büblein klein nicht mehr ganz so selbstverständlich anspringt wie einst, doch tut dies der Leistung dieses grossen Sängers kaum Abbruch. Einzig die Schlussszene im zweiten Akt, in der sich Falstaff in eine alte Vettel zu verkleiden hatte, wirkte irgendwie unbeholfen und peinlich. Sie ist auch vom dramaturgischen Ablauf her unnötig, selbst wenn sie bei Shakespeares kaum mehr aufgeführter Komödie vorkommt. Verdi/Boito haben diese Szene wohlweislich nicht in ihren FALSTAFF aufgenommen.
Die so genannten deutschen Spielopern, wie auch die romantischen Opern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, fristen heutzutage (mit Ausnahme des FREISCHÜTZ) eher ein Mauerblümchendasein auf unseren Bühnen. Die gelungene Aufführung in Bern zeigt, dass es an der Zeit wäre, die Lieblinge unserer Grosseltern und Urgrosseltern, die Werke von Komponisten wie Lortzing, Flotow, Kreutzer, Marschner oder eben Nicolai wieder vermehrt zur Diskussion zu stellen.
Inhalt:
Sir John Falstaff, der dicke, verarmte Ritter, hat an die beiden Damen Fluth und Reich identische Liebesbriefe verschickt. Die beiden beschliessen, sich an dem Ritter zu Rächen und gleichzeitig dem krankhaft eifersüchtigen Ehemann von Frau Fluth eine Lektion zu erteilen. Falstaff wird also ins Haus von Frau Fluth eingeladen, gleichzeitig aber wird auch Herr Fluth durch ein anonymes Schreiben auf die vermeintliche Untreue seiner Gemahlin aufmerksam gemacht. Als er wutentbrannt ins Zimmer stürzt, verstecken die Damen den dicken Ritter im Wäschekorb und lassen ihn durchs Fenster in die Themse kippen. Fluth muss seine Frau wegen seiner unbegründeten Eifersucht um Verzeihung bitten. Doch bereits für den nächsten Tag wird der arme Falstaff wiederum zu einem Rendezvous bestellt. Doch auch Herr Fluth hat den Ritter in seinem Quartier aufgesucht und mit Geld und Alkohol dessen Zunge gelöst und somit von dem erneuten Stelldichein erfahren. Doch die gewitzten Frauen verkleiden den dicken Ritter in eine alte Vettel, welche von Fluth unerkannt aus dem Haus gejagt wird. Nun beschliessen alle, dem Ritter die endgültige Blamage zu erteilen, in aller Öffentlichkeit im Park von Windsor um Mitternacht. Die Maskerade soll auch dazu dienen, die Tochter der Reichs, Ännchen, zu vermählen. Die Mutter wünscht sich Dr.Cajus als Gemahl ihrer Tochter, der Vater bevorzugt den Junker Spärlich. Doch Ännchen liebt einen anderen, den smarten Fenton. In der nun folgenden Verwechslungskomödie werden Ännchen und Fenton heimlich getraut, Dr.Cajus heiratet aus Versehen Junker Spärlich, Falstaff wird beim Turteln mit Frau Fluth von Herrn Reich und halb Windsor überrascht und gepiesakt. Mit einer allgemeinen Versöhnung und der Bitte um Verzeihung für die Schwänke schliesst die Oper.
Werk:
Otto Nicolai, der Gründer der Wiener Philharmonischen Konzerte und des gleichnamigen Orchesters, erhielt seine musikalische Ausbildung in Italien. In diesem seinem berühmtesten Bühnenwerk verschmolz er den italienischen Ziergesang mit der Gemütstiefe der deutschen Romantik. Dank seiner grandiosen Instrumentationskunst schuf er so eine Oper von bezauberndem Reiz. Die einzelnen Musiknummern, von welchen viele über Ohrwurmcharakter verfügen, werden durch gesprochene Dialoge miteinander verbunden, da Nicolai der Ansicht war, die deutsche Sprache sei für parlando Rezitative ungeeignet. Die Uraufführung in Berlin geriet zu einem grossen Erfolg bei Publikum und Presse, doch Nicolai konnte ihn leider nicht mehr geniessen, er verstarb zwei Monate später im Alter von nur 39 Jahren. Seine letzte Oper, DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR, erfreut sich trotz Verdis genialem Spätwerk FALSTAFF immer noch grosser Beliebtheit.
Musikalische Höhepunkte:
Nein, das ist wirklich doch zu keck, Duett Frauen Fluth und Reich, Akt I
Nun eilt herbei, Witz, heitre Laune, Arie der Frau Fluth, Akt I
So hab ich dich errungen, du schönster Edelstein!, Falstaff und Ensemble, Finale Akt I
Als Büblein klein an der Mutter Brust, Arie des Falstaff, Akt II
In einem Waschkorb? , Duett Fluth-Falstaff, Akt II
Horch, die Lerche singt im Hain, Romanze des Fenton, Akt II
Bestürmen denn die läst'gen Freier, Quartett Anna-Fenton-Cajus-Spärlich, Akt II
So! Jetzt hätt' ich ihn gefangen!Duett Herr Fluth-Frau Fluth, Akt II
Vom Jäger Herne die Mär ist alt, Ballade Frau Reich, Akt III (in Bern leider gestrichen)
Tief in dem hohen, dunklen Wald, Arie der Anna, Akt III
O süsser Mond!... Ihr Elfen, weiss und rot und grau, Chor Akt III
So hat denn der Schwank der fröhlichen Nacht, Terzett Anna- Frau Reich-Frau Fluth, Finale Akt III