Berlin, Staatsoper: IL TURCO IN ITALIA, 22.12.2009
Dramma buffo in zwei Akten
Musik: Gioachino Rossini
Libretto: Felice Romani
Uraufführung: 14. August 1814 in Mailand
Kritik: (besuchte Aufführung: 22.Dezember 2009)
Obwohl dies erst die 10. Vorstellung dieser Produktion war, wurden die meisten Rollen neu besetzt (Ausnahmen waren Alfredo Daza als Dichter, Katharina Kammerloher als Zaida und Forian Hoffmann als Abazar). Mit Alexandrina Pendatchanska hat man eine glaubwürdige Interpretin für die Fiorilla gefunden: Ihr beeindruckender Stimmumfang, die atemberaubenden Koloraturen und Fiorituren, zusammen mit einem leicht gutturalen, sehr erotischen Timbre, frischem Spiel und blendendem Aussehen führten zu einem rundum begeisternden Porträt dieser lebenslustigen Frau auf der Suche nach sexueller Erfüllung. Ihr Gatte hatte da natürlich einen schweren Stand, Andrea Concetti machte das Beste daraus und lief in der Auseinandersetzung mit dem von sexueller - und stimmlicher - Potenz nur so strotzenden Selim von Giovanni Furlanetto auch darstellerisch zu Hochform auf. Colin Lee sang die von immensen Schwierigkeiten gespickte grosse Tenorarie des Narciso mit scheinbar mühelos erklommenen Spitzentönen - beeindruckend. Alfredo Daza spielte und sang überzeugend den verzweifelten, sich immer stärker in den Alkohol flüchtenden Dichter, dem die Fäden seiner Komödie immer mehr aus der Hand zu gleiten drohten. Katharina Kammerloher war eine mit warmem Mezzosopran um ihren Geliebten erfolgreich kämpfende Zaida.
David Aldens Konzeption überzeugte mich sehr: Er siedelt das Geschehen in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts an, in einem Ambiente zwischen Fellini und Pirandello, mit einem Hauch von der Absurdität eines Ionesco. Trotz aller witzigen Theatralik herrscht kein plumper Klamauk - es werden auch tief verborgene Wünsche und ernsthafte Seiten der Charaktere an die Oberfläche geholt. Auch dem Happy End traut der Regisseur nicht: Während sich Geronio genüsslich ins schicke Ehebett legt, turtelt Fiorilla schon wieder mit Narciso …
Die Staatskapelle unter Riccardo Frizza begleitete mit Akkuratesse und Verve.
Inhalt: Ein Poet sucht Ideen für eine Komödie. Er findet die Inspiration durch verschiedene Charaktere in seinem Umfeld. Da sind zum Beispiel Don Geronio, welcher unter den Launen seiner jungen, lebenslustigen Gattin Fiorilla leidet, oder Zaida, welche vom Türken Selim verstossen wurde.
Selim kommt in Italien an, Fiorilla ist von ihm fasziniert und die beiden beginnen zu flirten. Der Dichter freut sich über die Verwicklungen, doch da ist auch noch Fiorillas Liebhaber Narciso, welcher das alles überhaupt nicht lustig findet. Unterdessen versöhnen sich auch Zaida und Selim wieder, doch Fiorilla ist nicht gewillt, Selim mit einer Rivalin zu teilen. Der Dichter bekommt ein erstes, turbulentes Finale für seine Komödie.
In einer umwerfend komischen Szene bietet Selim Geronio an, ihm nach türkischem Brauch die Gattin abzukaufen. Geronio seinerseits bietet dem Türken nach italienischem Brauch Prügel an. Der Dichter berichtet von einem Fest, auf dem Fiorilla von Selim entführt werden sollte. Geronio solle dort ebenfalls als Türke verkleidet erscheinen. Narciso hat die Unterhaltung mitgehört und beschliesst, dort ebenfalls als Türke zu erscheinen. Auch Zaida trifft dort verkleidet ein. Nach einigem Drunter und Drüber finden sich die “richtigen” Paare wieder. Doch ist dies nun wirklich ein glückliches Ende, ein lieto fine?
Werk: Il Turco in Italia beinhaltet musikalisch alles, was eine typische Rossini Oper aus dieser äußerst produktiven Schaffensperiode des Komponisten ausmacht: Crescendo Wellen, bravouröse Arien und Kavatinen, spritzige Ensembles, witzige und rasante Duette, turbulente Finali - alles geprägt von grosser melodiöser Eingebungskraft und untrüglichem Sinn für theatralische Effekte.
Wie damals üblich stammen nicht alle Noten aus Rossinis Feder, einiges überliess der Vielschreiber Mitarbeitern und Schülern. Für spätere Wiederaufnahmen wurden Szenen gestrichen oder neu eingefügt, den Sängern Arien auf den Leib geschrieben. Die Oper erschien bis Mitte des 19. Jahrhunderts recht häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser, geriet danach aber zusehends in Vergessenheit, bis 1950 das Teatro Eliseo das Werk unter Gianandrea Gavazzeni und mit Maria Callas als Fiorilla und Cesare Valletti als Narciso herausbrachte. In jüngerer Zeit erhielten die Produktionen aus Genf, mit Catherine Malfitano und aus Zürich mit Cecilia Bartoli viel Beachtung.