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Berlin, Staatsoper: DUATO | FORSYTHE | GOECKE, 27.04.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Duato | Forsythe | Goecke

Photo, copyright: Bettina Stöß, mit freundlicher Genehmigung Staatsballett Berlin

ARCANGELO | Choreographie: Nacho Duato, uraufgeführt 31.5. 2000 in Madrid | Musik (auf Tonträger): Arcangelo Corelli, Alessandro Scarlatti | HERMAN SCHMERMAN |Choreographie: William Forsythe, uraufgeführt 28.5. und 26.9.1992 in New York und Frankfurt am Main | Musik (auf Tonträger): Thom Willems | AND THE SKY ON THAT CLOUDY OLD DAY | Choreographie: Marco Goecke | Uraufführung am 27.4.2012 in Berlin | Musik: John Adams, uraufgeführt am 6.10.2001 in Amsterdam | Aufführungen in Berlin: 27.4. | 29.4. | 1.5. | 4.5. | 5.5. | 17.5. | 19.5. | 2.6.2012

Kritik:


Anlässlich seiner ersten Premiere im Schiller Theater präsentierte sich das Staatsballett Berlin mit drei Werken von drei ganz unterschiedlich arbeitenden Choreographen. Zwei dieser Werke, ARCANGELO und HERMAN SCHMERMAN haben seit ihren Uraufführungen den Weg ins Repertoire einiger Compagnien gefunden, bei Goeckes AND THE SKY ON THAT CLOUDY OLD DAY handelte es sich um eine Uraufführung. Ein eigentlicher Bogen oder innerer Zusammenhalt war dabei auf den ersten Blick nicht auszumachen und auch nicht beabsichtigt. Doch der Reihe nach: Eröffnet wurde der Abend mit Nacho Duatos am 31. Mai 2000 in Madrid uraufgeführten Ballett ARCANGELO, welches u.a. später auch von Heinz Spoerlis Zürcher Ballett getanzt wurde. Zu Musik (ab Band) von Arcangelo Corelli (langsame Sätze aus den Concerti grossi op.6) und Alessandro Scarlatti (Arie aus IL PRIMO OMICIDIO) erlebt man vier Paare in manchmal archaisch anmutenden und doch seltsam geschmeidig bleibenden, klaren Bewegungen, die kaum je die Bodenhaftung verlieren. Getanzt wird vorwiegend auf der Sohle, oft mit abgewinkelten Händen und Füssen. Auch gesprungen wird kaum, nur einzelne, trotz Verwinkelungen sehr elegant wirkende Hebefiguren werden ausgeführt. Erst zur Arie des Countertenors kommt dann eine eigentliche, leicht an Orpheus und Eurydike gemahnende Handlung auf, indem ein Mann hinter einer schwarzen Stoffbahn verschwindet und seine Geliebte ihm zu folgen versucht. Am Ende entschwinden beide an den Stoff geklammert gen Himmel. Die absolut sehenswerte, ja geradezu berührende Choreographie wird von den acht Solisten mit fantastischer Klarheit und Reinheit der Körpersprache getanzt (Shoko Nakamura | Mikhail Kaniskin, Elisa Carrillo Cabrera | Asshak Ghalumyan, Polina Semoinova | Maichael Banzhaf, Sarah Mestrovic | Leonard Jakovina). Die Tänzern vermitteln zusammen mit der Barockmusik, den bronzefarbenen Trikots und der traumhaft schön ausgeleuchteten, gold-schwarzen Bühne (Entwurf ebenfalls von Nacho Duato, Licht: Brad Fields) eine melancholische stimmende Wärme und Geborgenheit.

Ganz anders dann das nächste Werk, William Forsythes HERMAN SCHMERMAN. Forsythe hat den Namen Herman Schmerman einst in einem Film aus dem Mund von Steve Martin gehört, und dieser Nonsens-Name hat ihm gefallen. So hat er daraus zur elektronischen Musik von Thom Willem ein äusserst amüsantes, witziges Tanzstück für drei Frauen und zwei Männer geschaffen und später noch den berühmten Pas de deux angehängt. Die Tänzerinnen und Tänzer werden vom stets vorwärtsdrängenden Rhythmus der Musik erfasst, beginnen scheinbar aus klassischen Ballettpositionen heraus zu improvisieren. Beeindruckend ist die raumgreifende Armarbeit, alles wird aus dem Bewegungsrepertoire des klassischen Spitzentanzes heraus entwickelt, mal wird solo getanzt, dann findet man sich wieder zur Gruppe. Shoko Nakamura, Krasina Pavlova, Polina Semionova, Rainer Krenstetter und Dinu Tamazlacaru machen dies mit grossartigem Impetus und luftig wirkender Präzision. Mit einem Sprung hinter ein schwarzes Mäuerchen verabschieden sie sich von der Bühne und machen Platz für das Paar, welches den Pas de deux tanzen wird: Nadja Saidakova und Arshak Ghalumyan, welche für diesen, sich aus langsamen Bewegungen heraus zu immer waghalsigeren und Gummi-gliedrig wirkenden Verrenkungen steigernden und sogar noch einen witzigen Kostümwechsel (Gianni Versace hatte seine Finger im Spiel) beinhaltenden Tanz, welcher mit einer letzten, erschöpften Pirouette endet, zu Recht grossen Applaus erhielten.

Für den dritten Teil, Goeckes AND THE SKY ON THAT CLOUDY OLD DAY, ist die Bühne nun ganz schwarz geworden, nur der Boden bleibt weiss und im Graben hat die Staatskapelle Platz genommen, welche unter der Leitung von Paul Connelly John Adams´GUIDE TO STRANGE PLACES zu einer fulminanten musikalischen Wiedergabe brachten. Dazu hat Marco Goecke eine wild-rasante Choreographie geschaffen, ein Werk, welches den rhythmischen Duktus der Musik praktisch eins zu eins in die Körper der neun Tänzerinnen und Tänzer überträgt. In geradezu irrwitzigem Tempo wird da mit äusserster Perfektion mit Armen und Händen gerudert, werden die Halswirbel beansprucht, wird wie ein Gummiball in die Höhe geschnellt, wobei alle Bewegung aus dem Oberkörper zu kommen scheint; „unter der Gürtellinie“ tut sich im wahrsten Sinn des Wortes nichts. Also keine Erotik, keine körperlichen Annäherungen, sondern Hektik und Panikattacken beherrschen in atemberaubenden Ausdruckstanz die Szene und erst am Ende kommt das Ganze zu einem ruhigen, verrätseltem Schluss. Auch bei diesem Werk (und damit entsteht über dem Abend eben doch ein Bogen) lässt sich kein Solist, keine Solistin aus der mit bewundernswertem Elan und Perfektion tanzenden Compagnie herausheben: Anissa Bruley, Elisa Carrillo Cabrera, Mikhail Kiniskin, Ibrahim Önal, Haley Schwan, Alexander Shpak, Dinu Tamazlacaru und Xenia Wiest passen sich diesem ungewöhnlichen Stil mit ihren aussergewöhnlichen, tänzerischen Fähigkeiten an, nehmen ihn in ihre Körper auf. Selbst Staatsballett-Intendant Vladimir Malakhov macht das aberwitzig-dämonische Spiel grossartig mit.

Auch Tanz muss, darf und soll sich weiterentwickeln und zu ungewohnteren Ausdrucksformen finden können. Dies schienen nicht alle im Publikum akzeptieren zu mögen. Sei´s drum – der Abend ist kurzweilig und technisch auf jeden Fall brillant.

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