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Berlin, Staatsballett: ONEGIN, 09.10.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Onegin

copyright: Enrico Nawrath, mit freundlicher Genehmigung Staatsballett Berlin

Ballett in drei Akten | Musik: aus verschiedenen Werken von Piotr I. Tschaikowsky | Handlung und Choreographie von John Cranko, nach dem Versroman von Puschkin | Uraufführung: 13. April 1965 in Stuttgart | Aufführungen in Berlin 21 | 23 September 2012 | 09 | 12 | 18 | 27 Oktober 2012 | 02 November 2012

Kritik:

Der Vorhang öffnet sich und unweigerlich steigt einem ein Zitat aus Wagners DER FLIEGENDE HOLLÄNDER zu Kopfe: „Wie aus der Ferne längst vergang'ner Zeiten … .“ Denn die gemalten Bühnenbildprospekte, welche Elisabeth Dalton für diese Produktion (die Premiere fand 2003 statt) entworfen hatte, evozieren tatsächlich ein Bilderbuch-Russland mit leichter Patina aus dem frühen 19.Jahrhundert: Birkenwälder aussen, schwere Vorhänge, Säulen und Kristalllüster innen. Auch ihre Kostüme sind entsprechend und weisen eine geschickte Farbdramaturgie auf: weich fliessend für die Damen, eng anliegende, körperbetonte Beinkleider, Uniformen und Fräcke für die Herren, alles in anmutigen Pastellfarben für die Szenen auf dem Lande und in gedeckten Grautönen (und schwerem Rot für Tatjana) für die St.Petersburger Gesellschaft. Nur der Titelheld hebt sich in kaltem Schwarz von den andern ab. In diesem romantischen Ambiente also spielt sich Puschkins Klassiker ab, den John Cranko vor über 40 Jahren so bezwingend und faszinierend choreographiert hatte. Von Beginn weg erweist sich der viel zu früh verstorbene Choreograph als spannender Geschichtenerzähler, als hoch virtuoser Meister der Charakterisierung dieser Figuren aus einem Stück Weltliteratur. Gerade die Verschmelzung von Crankos klarer Tanzsprache mit der vom ebenfalls viel zu früh (durch Selbsttötung im Alter von nur 39 Jahren) verstorbenen Komponisten/Dirigenten Kurt-Heinz Stolze ausgewählten und arrangierten Musik Tschaikowskys erzielt eine an Stimmigkeit und Innenspannung kaum zu übertreffende Wirkung und Berührung. Dass die beiden Musik von Tschaikowsky ausgewählt hatten, war mutig, denn Tschaikowsky hatte ja Puschkins Versroman bereits als eigene Oper vertont. Doch kaum ein anderer Komponist eignet sich so passend, um das Elegische und Melancholische der russischen Seele und Landschaft mit Noten zu malen, wie eben Tschaikowsky. Die Staatskapelle Berlin unter Robert Reimer sorgt für eine ungemein differenzierte Wiedergabe dieser sorgfältig instrumentierten Partitur. Tief empfundene, schmerzhafte Kantilenen der Holzbläser, sorgsam intonierte Einsätze der Hörner, satte Streichergrundierungen in beinahe kammermusikalischer Transparenz wechseln mit berauschenden, mitreissenden Tänzen und dramatisch akzentuierten Aktschlüssen.

Beatrice Knop tanzt eine faszinierende Tatjana. Sie stellt eindringlich die Entwicklung vom verträumten, schwärmerischen, in Beziehungsfragen unbeholfenen und beinahe steifen Mädchen zur starken Frau dar, welche zwar ihre finale Gefühlsverwirrung deutlich zeigt (das schmerzverzerrte Gesicht!) – und doch ihren Vorsätzen treu bleibt. Ihre grossen pas de deux mit dem Onegin von Dmitry Semionov gehören denn auch zu den zu Recht umjubelten Höhepunkten des Abends. Semionov gibt diesen hochnäsigen, selbstsicheren und unnahbar-gelangweilten Snob mit faszinierender Kälte. Und gerade dadurch strahlt er eine faszinierende, dämonisch-erotische Anziehungskraft aus. Elegant, gebieterisch und grossgewachsen durchschreitet er die Räume, ist Tatjana ein starker Partner in den kunstvollen, komplexen Hebefiguren – und am Ende fällt sein ganzer Hochmut so erbärmlich in sich zusammen, dass man beinahe mitleidet. Wunderbar kontrastierend dazu das zweite Paar: Krasina Pavlova ist die lebenslustige, leichtfüssig tanzende Olga und Alexej Orlenco der unglücklich-leidenschaftliche Lenski, der in seinem romantischen Solo vor dem Duell besonders stark tanzt. Die beiden werden sehr genau charakterisiert, tanzen beinahe schwerelos scheinende Zweitänze voller subtil ausgeführter Schritte, synkopieren herrlich in der Festszene mit dem wunderbar homogen tanzenden und doch so humorvoll individualisiert gezeichneten Corps des Staatsballetts Berlin. Im dritten Akt erlebt man Leonard Jakovina als Fürst Gremin. Auch in dieser Figur zeigt sich Crankos grosse Kunst und Jakovina setzt das sehr gekonnt um. Sein pas de deux mit Tatjana zeigt eindrücklich die Beziehung der beiden: Schlicht, respektvoll, vertraut, er ist ihr eine sichere Stütze – aber leidenschaftslos.

Ja, das Ballett ONEGIN mag etwas Patina angesetzt haben, doch der Erfolg (52. Vorstellung!) zeigt, dass die Tradition der Handlungsballette, besonders wenn sie so stilsicher und spannend choreographiert sind, unbedingt gepflegt werden muss.

Inhalt:

Ort: Russland, zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Auf einem Landgut lebt die Witwe Larina mit ihren beiden Töchtern Tatjana und Olga, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Tatjana scheint ernst und verträumt, Olga lebenslustig und temperamentvoll. Olga ist mit dem schwärmerischen Dichter Lenski verlobt, Tatjana hingegen ist noch solo. Lenski kommt mit seinem Freund Onegin zu Besuch. Onegin hat einen reichen Onkel beerbt; gibt sich ziemlich herablassend und gelangweilt. Tatjana ist trotzdem von ihm sehr angetan. Am selben Abend noch schreibt sie ihm einen Liebesbrief, obwohl er keinerlei Anzeichen erkennen liess, dass er an ihr interessiert wäre. Doch er fasziniert Tatjana dermassen, dass sie sogar von ihm träumt, sich im Traum, mit ihm vereint.

Larina lädt zu Tatjanas Geburtstag viele Gäste ein, darunter sind auch Lenski und Onegin, sowie der einflussreiche Fürst Gremin. Tatjana fragt Onegin, ob er ihren Brief erhalten habe. Onegin zieht ihn aus der Tasche und zerreisst diesen vor ihren Augen. Doch damit nicht genug, er beginnt auch intensiv mit Olga zu flirten. Lenski fordert Onegin deshalb zum Duell. Obwohl Olga und Tatjana versuchen, das Duell zu verhindern, lässt sich Lenski nicht davon abhalten. Onegin tötet dabei seinen einstigen Freund.

Zehn Jahre später: Tatjana ist mit dem viel älteren Fürsten Gremin verheiratet und lebt in St.Petersburg. Onegin taucht auf einem Ball im Palast Gremins auf. Er ist viel gereist, jedoch hat er sein Glück nie gefunden. Als er Tatjana wiedersieht, wird ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte, ihre Liebe zu verschmähen. Er versucht sie für sich zu gewinnen, doch nun ist sie es, die sich von ihm abwendet.

Auch ein letzter Versuch Onegins scheitert. Zwar stürzen Onegins Liebesschwüre Tatjana in einen zwiespältigen Gefühlsstrudel, doch schliesslich zerreisst sie demonstrativ Onegins letztes Schreiben. Nach Onegins Abgang bleibt sie verzweifelt zurück.

Werk:

John Cranko und der Komponist Kurt-Heinz Stolze haben für ihre Version von Puschkins Versroman zwar Musik von Tschaikowsky verwendet, jedoch keine Note aus dessen Oper EUGEN ONEGIN. Der Komponist Kurt-Heinz Stolze hat mehrere Klavierstücke des Russen orchestriert und Ausschnitte aus dessen Kompositionen FRANCESCA DA RIMINI und ROMEO UND JULIA für das abendfüllende Handlungsballett ONEGIN verwendet.

Die Choreographie schöpft ihren Reiz aus dem Kontrast von tief empfundenen Pas de deux für die Hauptpersonen und den folkloristischen und pompösen Tanz- und Ballszenen auf dem Lande und im fürstlichen Palast. Das Werk gehört seit der Uraufführung der Zweitfassung von 1967 zu den beliebtesten Balletten und wird von vielen Compagnien weltweit getanzt. Auch das Stuttgarter Ballett führt dieses stimmungsvolle Handlungsballett immer noch in seinem Repertoire.

Karten

 

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