Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Berlin, Philharmonie: LES BEAUX JOURS DE L'AMOUR, 28.02.2018

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Gluck und Rameau

Christoph Willibald Gluck (1714-1787)

›Les beaux jours de l’amour‹ – Ouvertüren, Arien und Tänze aus Opern von Christoph Willibald Gluck (›Orfeo ed Euridice‹) und Jean-Philippe Rameau (›Les Boréades‹, ›Castor et Pollux‹, ›Les indes galantes‹, ›Zaïs‹ u.a. | Dieses Konzert in Berlin: 28.2.2018

 

Kritik:

Mit einem Programm aus Nummern aus Opern von Jean Philippe Rameau und Christoph Willibald Gluck machte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin neugierig auf die Musik der beiden bedeutenden Erneuerer der Oper im 18. Jahrhundert in Frankreich, Komponisten, denen man im Opernalltag hierzulande leider viel zu selten begegnet. Der Dirigent Raphaël Pichon hat dabei aber nicht einfach Nummer an Nummer gesetzt, sondern aus den Stücken ein klug konzipiertes klassisches Pasticcio gefügt, mit Prolog, drei Akten und Schlussapotheose. Nur schon der pastorale Beginn des Prologs ließ aufhorchen. Den Abend eröffnete nämlich nicht eine rasante, geschmeidige Ouvertüre, sondern eine schlichte Melodie der Flöte, die von der Sopranistin Julie Fuchs dann aufgenommen und a cappella weitergesponnen wurde, ein schlichtes Lied, eine sogenannte „Brunette“ eine Beschwörung der Idylle der Natur (Komponist ist unbekannt). Julie Fuchs gestaltete dieses Lied mit geradezu ätherischer Leichtigkeit, mit fein hingetupften Trillern und exquisiter Intonation. Ein mutiger Beginn, gerade wenn man bedenkt, dass die Sopranistin erst zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn in Berlin gelandet war und nur mit einer kurzen Verständigungsprobe vor dem Konzert für die erkrankte Sabine Devieilhe einsprang. Und trotzdem war das gemeinsame Musizieren mit dem exzellenten Soloflötisten in diesem Lied, wie auch in der wunderbar zart gestalteten Arie Viens, hymen aus LES INDES GALANTES im dritten Akte dieses Pasticcios (wo sich zur Flöte noch ein Streichquartett gesellte) von einer gegenseitigen Einfühlsamkeit geprägt, einem konzentrierten Spannungsaufbau.

Spannung vermochten Pichon und das Orchester auch in den vielen Orchesterstücken aus Rameaus und Glucks Werken zu erzeugen, den Ouvertüren, Tambourins, Entrées, Ritornellen, Chaconnes, Rondeaus und Ballettmusiken. Dabei (und auch in den Begleitungen der Arien) offenbarten sich die geradezu atemberaubende, beinahe experimentelle Modernität Rameaus und der dramatisch zupackende, tonmalerische Aspekt von Glucks Ballettmusik aus ORPHÉE ET EURYDICE. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin zeigte dabei seine Vielseitigkeit und bewies, dass es auch im barocken Repertoire voll überzeugen kann, von rasant dahinjagenden Streicherfiguren bis zu filigranen Passagen in den Holzbläsern, von triumphalen Einwürfen des Blechs zu markanten Schlägen der Pauke und rhythmisch präzisen Grundierungen durch Schellenring und Trommeln. Klagend trauernde Flöten, beseelt intonierende Celli, herrliche Echowirkungen, Fagotte, welche den langen Phrasen der Streicher interessante Farben beimischen, Vogelstimmen und eine überraschend magische Klangmalerei prägen diese orchestralen Akzente – und manch einer musste sich wohl endgültig vom Vorurteil der belanglos dahinplätschernden Barockmusik verabschieden. Wie gekonnt Raphaël Pichon dieses Pasticcio konzipiert hatte, sei nur an den folgenden beiden Beispiele erwähnt: Auf die ergreifendste und traurigste aller Arien, Tristes apprêts aus CASTOR ET POLLUX,  ließ er die orchestrale Musette en rondeaux aus LES FÊTES D’HÉBÉ folgen, quasi als sanften Nachhall auf die Qualen der Telaira. Qualen, welchen Julie Fuchs mit jedem ihrer von Schmerz erfüllten Töne sensibel nachhorchte und damit direkt ins Herz der Zuhörer*innen drang. Stupende Verzierungen platzierte die Sopranistin zuvor in der effektvoll interpretierten Arie Régnez, plaisirs et jeux aus LES INDES GALANTES und in Un horizon serein aus LES BORÉADES, in denen sich ganz besonders die kristallinen, vibratoarmen Qualitäten von Julie Fuchs herrlicher Sopranstimme entfalten konnten. Die mit Feuer gefüllten Staccato Töne, die geschliffenen Koloraturen, die hysterischen Akzente, die in Zerbrechlichkeit zurückfallenden Passagen, die schraubenartig sich nach oben drehenden Phrasenwiederholungen waren atemberaubend anzuhören. Fulminant das Ende des Konzerts mit der Arie der Folie aus PLATÉE.: Hier nun konnte Julie Fuchs auch ihr komödiantisches Talent (das Bühnentier in ihr) wecken, lieferte sich ein Duell um das Podium mit dem Dirigenten, umschmeichelte den Konzertmeister, kokettierte mit Musikern und Publikum, verfiel in irres Lachen, spielte mit den Ausdrucksnuancen ihrer Stimme - une folie exceptionelle à la fin d’une soirée remarquable et inoubliable!

Komponisten:

Christoph Willibald (Ritter von) Gluck (1714-1787) studierte zwar Komposition bei Sammaritani in Italien, weit mehr jedoch beeinflussten ihn seine ausgedehnten Reisen durch Europa, er sog somit viele nationale Musikstile auf und liess sie in seine Werke einfliessen. In Italien komponierte er einige Opern im Stil der opera seria, über Paris reiste er nach London, danach war er Hofkomponist in Wien und traf dort auf Metastasio, den Hofdichter. Hier schuf er einige opere buffe. In Wien entstand auch ORFEO ED EURIDICE, sein Ausgangspunkt für die Reform der Oper, die er von der Vormacht der Virtuosen (Diven-Kastraten) befreien und zugunsten eines wahrhaftigeren Ausdruckes von eigenmächtigen Verzierungen und Effekthaschereien entrümpeln wollte. Von Wien aus eroberte er danach Paris, wo er mit seinen tragédies lyriques für Furore (und auch erbitterten Streit) sorgte. Die bedeutenden Opern Glucks sind neben dem OREFEO (auch in der französischen Fassung) seine beiden IPHIGENIEN, ARMIDE und ALCESTE.

Jean-Philippe Rameau (1683-1764) brachte erst im Alter von 50 Jahren seine erste Oper auf die Bühne, HIPPOLYTE ET ARICIE. Sein Komponistenkollege André Campra meinte dazu: „Mein Gott, in dieser Oper steckt genug Musik, um zehn daraus zu machen; der Mann wird uns alle auslöschen!“ Er lag damit nicht ganz richtig, denn trotz ihrer Qualitäten, gerieten Rameaus Opern gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Vergessenheit. Erst Camille Saint-Saëns gab Ende des 19. Jahrhunderts einen ersten Anstoss zur erneuten Auseinandersetzung mit Rameaus epochalem Musiktheater und seinen Balletten. Im Zuge der Wiederentdeckung der historischen Aufführungspraxis mit entsprechend spezialisierten Ensembles, die auf alten Instrumenten musizieren, geniesst Rameaus Schaffen wieder die verdiente Aufmerksamkeit. Besonders interessant sind seine Harmonie- und Affektenlehre, in der er den Tonarten eine ganz bestimmte Charakterisierung zuordnet. Ähnlich wie Gluck sah sich Rameau in einen Richtungsstreit verwickelt, den sogenannten Buffonistenstreit, in dem es um königliche Hofoper (im Stile Lullys) versus bürgerliches Singspiel (in der italienischen Tradition, z.B. Pergolesi) ging. Rameau vertrat dabei natürlich die französische Seite und war dabei mit seinen grossen tragédies quasi ein Wegbereiter für Glucks Reformopern. Seine bekanntesten tragédies lyriques und ballets heroïques neben HYPPOLITE er ARICIE, LES INDES GALLENTES, CASTOR ET POLLUX, ZOROASTRE und seine letzte Oper LES BORÉADES (erst gut 200 Jahre nach ihrer Entstehung uraufgeführt!).

Karten

Zurück