Berlin, Philharmonie: DUKAS, KERNIS, ELGAR, 23.03.2018
Paul Dukas: DER ZAUBERLEHRLING | Uraufführung: 18. Mai 1897 in Paris | Aaron Jay Kernis: Violinkonzert | Uraufführung: 8. März 2017 in Totonto | Sir Edward Elgar: Enigma Variationen, op.36 | Uraufführung: 19. Juni 1899 in London | Dieses Konzert in der Philharmonie Berlin: 23.März 2018
Kritik:
Eingebettet in zentrale Werke zweier Spätromantiker (Dukas und Elgar) erklang gestern Abend im Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin die europäische Erstaufführung von Aaron Kernis Konzert für Violine und Orchester, welches der Komponist 2017 fertiggestellt und dem Geiger James Ehnes gewidmet hatte, der es nun in Anwesenheit des Komponisten auch in Berlin spielte – die Aufführungsrechte für den Solopart liegen denn auch bis 2021 exklusiv bei ihm. Dieser Solopart hat es in der Tat in sich, dermaßen gespickt mit technischen Schwierigkeiten, dass einem beim Zuhören unvermittelt der Begriff „Teufelsgeiger“ in den Sinn kommt. James Ehnes fliegt mit seiner `Marsick`- Stradivari nur so durch die drei Sätze der halbstündigen Komposition, die dem Solisten kaum eine Ruhepause gönnt, ihm spieltechnisch mit den Doppelgriffen, den Flageolett-Tönen und dem Verklingen in den allerhöchsten Lagen des Instruments, mit rasantem Wechsel von z.T. mit Pizzicati gewürzten Läufen und kantablen Passagen alles abverlangt, was irgendwie nur möglich scheint. Dabei muss man einmal mehr konstatieren, dass es die zeitgenössischen Komponisten aus Übersee meist bei weitem besser schaffen, das Publikum in ihren musikalischen Kosmos mitzunehmen, als die oftmals überintellektuell und schwerer zugänglich schreibenden Gegenwartskomponisten des alten Kontinents. Die Einbettung zwischen Dukas und Elgar funktionierte insofern gut, als dass auch Kernis dem spätromantischen Überschwang durchaus nicht abgeneigt ist, Kantabilität und expressiven Ausdruck mit differenziertem, überaus reichhaltig besetztem Schlagwerk kombiniert, selbst Naturgeräusche imitieren lässt und immer wieder zu tänzerischen Passagen findet. So sind die drei Sätze denn auch mit „barocken“ Satzbezeichnungen überschrieben: Chaconne, Ballade und Toccatini (abgeleitet von „Toccata“ hat der Komponist diesen Begriff kreiert, nach der für ihn enttäuschenden US Wahl 2015 hat er sich einen Cocktail gemixt, den er „Toccatini“ nannte). Das Konzert ist von einer beinahe gnadenlosen Rasanz geprägt, die schnellen Passagen werden selten von elegisch klingenden Ruhepolen unterbrochen, einzig der zweite Satz bringt mit seinem ruhig dahinfließenden Duktus etwas träumerische Entspannung, enthält mit einigen Takten des Zusammenspiels von Klavier, Triangeln und Solovioline ein klanglich äußerst reizvolles Intermezzo. Genauso spannend ist im unglaublich zügig dahingaloppierenden dritten Satz der Moment, in dem sich Flöten und Solovioline mischen, das klingt manchmal beinahe romantisch schmachtend, doch dann folgt die nervös zuckende Kadenz und da hält man dann tatsächlich den Atem an. Hier legt James Ehnes eine irre Virtuosität an den Tag, die schier unmöglich scheint. Doch kaum ist diese vorbei, wiegt er sich wie wenn nichts gewesen wäre in lieblicher Melodie mit dem Orchester zusammen und fegt dem mit klanglichen Überraschungen gespickten Ende des Werks entgegen. Doch nicht nur des Solist, nein auch das Orchester ist stark gefordert. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin jedoch spielt das diffizile Werk, wie wenn es das schon längst im Repertoire hätte. Leonard Slatkin dirigiert das Ganze mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit und einer aufmerksamen Übersicht über die komplexe Partitur, die beim Zuhören gar nicht so kompliziert wirkt, sondern überaus zugänglich ist. So bleibt zu hoffen, dass das Werk nach 2021 Einzug in das Standardrepertoire der Geigenvirtuosen Einzug halten wird. Man darf gespannt sein.
Den Abend eröffneten das DSO und Leonard Slatkin mit Paul Dukas’ Orchesterscherzo DER ZAUBERLEHRLING. Slatkin dirigierte Dukas’ herrliche Tonmalerei (wie auch die ENIGMA-VARIATIONEN nach der Pause) auswendig. Dabei zeigte der Dirigent sich als Meister der leisen Töne, wunderbar einfühlsam waren die verhaltenen Passagen ausgehorcht, mit Intensität und Spannung gefüllt und so wirkten die Steigerungen dann umso gewaltiger und man fühlte sich wirklich durch den unermüdlich zum Fluss laufenden und Wasser holenden Besen bedroht, der die Wassermassen nur so ins Haus des armen Zauberlehrlings fließen ließ, so dass dieser zu ertrinken drohte. Mit präziser Zeichengebung erreichte Slatkin eine wunderbare Genauigkeit des Ablaufs, einen dosierten Spannungsaufbau, ließ den Sarkasmus des Ganzen dezent durchschimmern. Eine besondere Erwähnung verdient natürlich das Kontrafagott, das mit seinen gequälten langsamen Noten dem Besen wieder auf die Beine hilft und das Unglück seinen Lauf nehmen lässt. Markus Kneisel spielte das mit augenzwinkerndem Humor und hatte sich seinen Soloapplaus wahrlich verdient. Nach einem überwältigenden Orchestercrescendo macht dann der Zauber-Meister dem Treiben zum Glück ein Ende. Slatkin und das DSO ließen das Stück humorvoll zart verklingen.
Die ENIGMA-VARIATIONEN von Edward Elgar beginnen nur schon in der Introduktion des eigenen Themas zum Weinen schön. Die Streichergruppen des DSO intonierten dies alles ganz wunderbar. Auch hier waltete Slatkin wieder als Magier der leisen Töne, ließ die Holzbläser mit ihren zarten Phrasen wunderbar transparent hervortreten, sorgte für eine ausgezeichnete Durchhörbarkeit. Die sehr unterschiedlich geprägten vierzehn Variationen (Elgar hatte seine Freunde vor Augen) gehören für mich persönlich zu den ergreifendsten Werken der Spätromantik. Leonard Slatkin und das DSO kosteten die unterschiedlichen Stimmungen der einzelnen Teile gekonnt aus, Idylle und Aufgeregtheit, auftrumpfende Blechfanfaren, konzentrierte Klarinette, sanft wiegende Bratsche, warmes Cello – alles so wunderbar sich einfügend in einen bewegenden Gesamtklang. Der unbestrittenen Höhepunkt folgt bei der Überleitung zur Variation IX(Nimrod) und dem rallentierend und majestätisch hervorbrechenden Hauptthema. Wie gesagt, zum Heulen schön ... . So muss Musik: Emotionen evozieren!!!
Werke:
Nur wenige Kompositionen hat Paul Dukas (1865-1935) hinterlassen, was daran lag, dass Dukas ausgesprochen selbstkritisch war und viele seiner Kompositionen noch vor deren Veröffentlichung vernichtet hatte. Seine Werke waren zu Beginn von Wagner und Dukas' Zeitgenossen Debussy, d'Indy, Fauré und César Franck beeinflusst, doch fand er bald zu einem eigenen, sehr klaren Stil, der sich durch Präzision und überragende Instrumentationskunst auszeichnete. Diese Kunst kann man in seinem wohl populärsten Werk, L'APPRENTI SORCIER (DER ZAUBERLEHRLING), diesem fantastischen Scherzo für Orchester bewundern. Er hat darin auf unsterbliche Art Goethes hundert Jahre zuvor entstandene, gleichnamige Ballade vertont. Darin ruft ein Zauberlehrling in Abwesenheit des Meisters Geister herbei – und wird sie nicht mehr los, das Haus droht überschwemmt und fortgespült zu werden, bis in letzter Minute der Meister zurückkehrt und die Ordnung wieder herstellt. Walt Disney verwendete die Komposition für FANTASIA, Leopold Stokowski dirigierte. Mickey Mouse war darin der Lehrling. Sein verzweifelter, aussichtsloser Kampf gegen Besen und Wasser, perfekt abgestimmt auf Dukas' Programmmusik, bleibt unvergessen.
Aaron Jay Kernis, geboren 1960, gehört zu den erfolgreichsten lebenden Komponisten der USA. Er startete seine Laufbahn als Komponist bereits im Alter von 13 Jahren, studierte Geige und Klavier, studierte bei Komposition bei John Adams und Charles Wuorinen, war musikalischer Berater beim Minnesota Orchestra, er erstellte Auftragskompositionen für mehrere renommierte Orchester und Solisten (Renée Fleming, Joshua Bell, James Ehnes), wurde mit Preisen ausgezeichnet. Sein Kompositionsstil kann als eklektisch bezeichnet werden, scheint stark von post-romantischen Strömungen, Impressionismus aber auch von der minimal art und dem Hip Hop Stil geprägt zu sein. Das Violinkonzert hat er James Ehnes gewidmet, der das dreisätzige Werk als deutsche Erstaufführung zusammen mit dem DSO ziemlich genau ein Jahr nach der Uraufführung in Seattle nun in Berlin interpretieren wird.
Seinen Durchbruch als einer der meist verehrten Komponisten Grossbritanniens verdankte Sir Edward Elgar (1857-1934) den Enigma-Variationen, op 36, deren Komposition er im Jahr 1899 abschloss. Angeblich basieren die 14 Variations on an original theme auf einer von Elgar zufällig gespielten Melodie, welche seiner Frau sehr gut gefiel. Die einzelnen Variationen lassen sich aufgrund der von Elgar angefügten Initialen engen Freunden des Komponisten zuordnen. Das Rätsel um das Hauptthema ist jedoch noch nicht restlos geklärt, da es im Stück nicht explizit vorkommt. Elgar nahm zu all den Spekulationen um das Hauptthema nie Stellung. Viele Musikwissenschaftler weltweit stellten Theorien dazu auf, doch Elgar nahm sein Geheimnis wohl mir ins Grab. Wie dem auch sei, das Werk gehört zu den Klassikern der Orchesterliteratur und erfreut sich auch ausserhalb der Konzertsäle grosser Beliebtheit. Manch eine der Variationen wurde als Filmmusik "missbraucht", besonders die Variation Nr. 9 mit dem Untertitel Nimrod bot sich wegen ihrer berückenden, erhabenen Schönheit dazu an.