Berlin: MARIE VICTOIRE, 15.02.2011
Oper in vier Akten |
Musik: Ottorino Respghi |
Libretto: Edmond Guirod |
Uraufführung: 27. Januar 2004 in Rom | (komponiert 1912-1914) |
Kritik:
Im Rahmen der REVOLUTIONSWOCHEN hier an der Deutschen Oper Berlin wurde auch Respighis MARIE VICTOIRE wieder aufgenommen. Die sehens- und hörenswerte Produktion dieser Spielplanrarität aus dem Jahre 2009 wurde sorgfältig neueinstudiert und bis auf wenige Ausnahmen in der gleichen Besetzung wie vor zwei Jahren gespielt. Deshalb erlaube ich mir auch, auf meine Besprechung von damals zu verweisen. Auch bei der zweiten Begegnung mit diesem üppig orchestrierten Werk ist man fasziniert von der musikalischen Prachtentfaltung aus dem Graben, welche wiederum durch Michail Jurowskis glutvolles Dirigat und das hervorragende Spiel des Orchesters der Deutschen Oper Berlin beglückt. Und noch immer ist man leise enttäuscht, dass es anscheinend nicht möglich ist und war, die männlichen Protagonisten mit durchschlagskräftigeren und dramatischeren Stimmen zu besetzen. Zwar wurde der Tenor der ersten Serie (Germán Villar) nun durch Gaston Rivero ersetzt, sicher eine bessere Wahl, doch von einer Idealbesetzung kann man immer noch nicht sprechen - zu näselnd, manchmal geradezu quäkend, klingt sein Organ, und auch er ist wahrlich kein leidenschaftlicher Darsteller, zu brav und gehemmt für den sich sexuell so nach Marie verzehrenden Liebhaber und vehementen Royalisten. Markus Brück sang an diesem Abend nicht nur den Maurice, wegen einer Erkrankung eines Sängers musste er auch noch den Simon im zweiten Akt übernehmen. Er sang die Partie von der Seite her (im ersten und dritten Akt war es Nathan De´Shon Myers, ein Spielleiter agierte auf der Bühne in der Rolle). Brück ist ein sehr kultivierter Bariton mit edlem Timbre und passt somit bestens zur braven, gutmütigen, geradezu selbstaufopfernden Figur des Maurice. Doch war man ab und an versucht ihm zuzurufen: Mensch, jetzt zeig doch endlich mal ein wenig Rückgrat und Männlichkeit! So blieb es an Takesha Meshé Kizart in der Titelrolle die vokalen Kohlen aus dem Feuer zu holen - und dies tat sie wiederum bravourös. Eine warme Stimme, die einschmeichelnd tröstend klingen, sich aber am Schluss des Gefängnisbildes auch dramatisch aufschwingen kann. Ganz hervorragend wieder Stephen Bronk als Cloteau, welcher auch darstellerisch die vielen Wandlungen dieser Figur glaubwürdig verkörpern konnte. Ebenfalls positiv fielen Martina Welschenbach als intrigante Lison und als hässlich denunzierende Emérantine sowie Jörn Schümann als treuer Kermerac auf. Katarina Bradic gefiel als Marquise de Langlade im Gefängnisbild mehr als ihr Gemahl, welcher von Yosep Kang zu dünnstimmig gesungen wurde.
Inhalt:
Die Oper spielt in den Wirren der Französischen Revolution und in den ersten Jahren des Konsulats von Napoléon Bonaparte (1793-1800)
Graf Maurice de Lanjallay und seine Frau Marie leben auf ihrem Landsitz zusammen mit einigen Dienern. Sie haben die Wirren der Revolution relativ unbeschadet überstanden. Doch Spitzel und Konterrevolutionäre, welche ihr Anwesen heimsuchen, bereiten der vermeintlichen Idylle ein jähes Ende. Maurice macht sich auf, um seinem Vater zu helfen, der Chevalier Clorivière (ein Jugendfreund des Grafenpaares) und Marie werden verhaftet. Im Gefängnis gibt Marie – nach dem Erhalt ihres Todesurteils – den Avancen Clorivières nach und schläft mit ihm. Doch in dieser Nacht wird Robespierre gestürzt, die Gefangenen werden befreit. Marie jedoch quälen Gewissensbisse, sie ist eine gefallene Frau. Sechs Jahre später: Marie hat unter dem bürgerlichen Namen Marie Victoire ein Hutgeschäft in Paris eröffnet. Sie lebt zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn Geroges, eine Frucht der Liebesnacht im Gefängnis. Clorivière will nach Amerika auswandern. Da erscheint Maries tot geglaubter Gatte Maurice. Gleichzeitig erschüttert eine Explosion die Nachbarschaft: Auf Napoléon ist ein Attentat verübt worden, der Urheber ist Clorivière. Er flüchtet sich in Maries Laden und trifft dort auf Maurice. Maurice jagt ihn fort, bekennt sich aber gegenüber den Polizisten schuldlos zum Attentat. Vor Gericht beschwört Marie ihren Gatten, sich zu verteidigen. Sie bekennt auch ihren Treuebruch. Maurice verzeiht ihr voll tiefer Ergriffenheit. Doch den Namen des Attentäters will er nicht verraten. Da erhebt sich Clorivière aus der Menge und bekennt sich schuldig. Mit den Worten von Marie Antoinettes Lieblingslied Il pleut, il pleut bergère auf den Lippen erschießt er sich.
Werk:
Respighi ist leider noch immer unterschätzt als Opernkomponist. Seine sinfonischen Werke (Pini di Roma, Fontane di Roma, Feste Romane u.a.) tauchen in den Konzertsälen häufig auf, die zehn Opern hingegen kaum. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Respighi als Kulturträger der italienischen Faschisten galt und gilt. Das ändert jedoch nichts an der musikalischen Qualität seiner Bühnenwerke. Die Oper MARIE VICTOIRE wurde zu seinen Lebzeiten nicht aufgeführt, da ihre Vollendung mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs zusammenfiel und durch verschiedene Intrigen hintertrieben wurde (auch finanziell wäre die aufwändige Oper für ein privates Theater, wie es das für die Uraufführung vorgesehene Teatro Costanzi in Rom war, ein Risiko gewesen). Musikalisch steht MARIE VICTOIRE ganz in der Tradition der Musiksprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Effektvolle Aktschlüsse, das unentbehrliche Intermezzo sinfonico, Arien, Duette und Chöre prägen die Partitur. Zitate von Rokoko-Musik, simultan erklingende Märsche, Tänze, Revolutions- und Kampfeslieder führen zu einem reizvollen Konglomerat von Klangwelten und Überlagerungen, welche auch durch den Einbezug von Geräuschen zu einer dem Realismus angenäherten Musiksprache führen.