Berlin, Konzerthaus: SCHUBERT | SCHOSTAKOWITSCH, 24.01.2019
Franz Schubert: Sinfonie Nr. 3 in D-Dur | Uraufführung: 19. Feruar 1881 in London | Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13 in b- Moll Babi Jar | Uraufführung: 18. Dezember 1962 in Moskau | Dieses Konzert in Berlin: 24.1. | 25.1. | 26.1.2019
Kritik:
Die heitere, unbeschwert daherkommende dritte Sinfonie des blutjungen Teenagers Franz Schubert neben der tragisch-aufwühlenden 13. Sinfonie des reifen Schostakowitsch – passt das zusammen? Irgendwie schon, und irgendwie natürlich auch nicht. Es passt insofern, als dass man einen Eindruck vermittelt bekommt, welch weiten Weg das sinfonische Schaffen innerhalb von 150 Jahren genommen hat, von der reinen Unterhaltungsmusik des in der Tradition von Haydn und Mozart komponierenden jungen Schubert, bis zu den tiefempfundenen, in Töne gesetzten Auseinandersetzungen mit Gegenwart und Geschichte im sinfonischen Werk von Dmitri Schostakowitsch. Andererseits ist es wie so oft, wenn gewichtige, aber nicht ganz konzertabendfüllende Sinfonien (wie etwa von Bruckner, Mahler oder eben Schostakowitsch) mit leichtgewichtigeren Werken aus der Zeit der Klassik oder Frühromantik kombiniert werden: Am Ende hat man beinahe vergessen, dass da vor der Pause auch noch was war.
So war das auch an diesem Abend im Konzerthaus Berlin, den das Konzerthausorchester Berlin unter seinem ersten Gastdirigenten Juraj Valčuha bestritt. Mit herrlich federndem Puls schritt die spritzige Sinfonie Schuberts daher, wunderschön konzertierten die prominent herausgestellten Holzbläser in den Ecksätzen (die bedeutend interessanter und innovativer gehalten sind als die beiden Mittelsätze). Im ersten Satz lassen natürlich die Rossinischen Klarinettenpassagen aufhorchen, die wunderschön intoniert wurden, die aber durchaus noch etwas mehr con brio vertragen hätten. Im Finalsatz begeisterte das wie ein perfekt funktionierendes Räderwerk ineinandergreifende, vorwärtsdrängende Musizieren, wobei der Dirigent sehr auf klangliche Transparenz achtete, damit die durch die Instrumentengruppen weitergereichten Themen deutlich hörbar wurden. In den etwas banaleren Mittelsätzen wurden forte-piano Effekte sehr plastisch herausgearbeitet, auf Leichtfüßigkeit geachtet, Solopassagen (Oboe, Fagott) erhielten die notwendige Fokussierung.
Doch dann kam nach der Pause die gewaltige, aufwühlende Sinfonie Schostakowitschs, und Schubert hatte man bei den ersten, requiemartigen Klängen bereits beinahe vergessen. Obwohl zurückhaltend instrumentiert, entfacht der von Schostakowitsch geschaffene, düstere Klangkosmos auf das Gedicht BABI JAR von Jewtuschenko ein Schauern beim Hörer. Die Klage und Anklage über den immer fortwährenden Antisemitismus, vom alten Ägypten, über den Juden Jesus am Kreuz, bis Dreyfus und Anne Frank bis in die Gegenwart der Sowjetunion Stalins und Chruschtschows wurde vom herausragenden, mit runder Sonorität singenden Bassisten Dmtiry Belosselskiy und dem klangschön intonierenden YL Männerchor aus Finnland packend vorgetragen. Schneidend und aufrüttelnd, subversive Untertöne in den verführerischen Märschen blitzten auf, Schostakowitschs unverwechselbare Rhythmen, das vielfältige Schlagwerk, die Glocken – all dies führte zu einem Satzfinale, das man so schnell nicht vergessen wird. Doch Schostakowitschs Sinfonie ist weit mehr als nur die Anklage gegen den Antisemitismus. Sie ist eine generelle Abrechnung mit den Mächtigen, die Fake News verbreiten. Dagegen kann man nur mit Humor und Satire ankämpfen, denn dagegen sind die Diktatoren wehrlos. Damals wie heute (siehe z.b. Randy Rainbow oder SNL in den USA, die sich den gegenwärtigen Präsidenten der Vereinigten Staaten als Zielscheibe ihrer bissigen Satiren ausgesucht haben). Akzentuiert und derb kam dieser zweite Satz daher, agil und klangstark intonierten Chor und Bassist. Schwermut breitete sich in den Sätzen drei und vier aus. Im dritten Satz wurde das Leiden, die Not, aber auch die Tapferkeit der Frauen in der Sowjetunion thematisiert, im vierten die allgemeinen Ängste, die unter den Terrorregimes herrschen. Wunder bar hier die bedrückende Passage der Tuba, das unheimliche Klopfen (an der Tür), die in Tönen gefasste Angst vor der Denunziation. Eine Kulmination in Dissonanzen folgte, der Chor wechselte von marschartigem, konterkarierenden Gesang zu unheimlichen, beinahe geflüsterten Passagen. Großartig umgesetzt vom Chor und dem mit fantastischer Präsenz spielenden Konzerthausorchester Berlin, auch in der klanglichen Balance, auf die Juraj Valčuha besonders achtete. Der Finalsatz ist mit seinem walzerartigen Motiv, den Pizzicati, dem Glockenspiel beinahe als idyllisch zu bezeichnen. Doch Schostakowitsch und der Dichter Jewtuschenko unterlaufen diese Idylle natürlich mit Text und Klängen und der Fragestellung nach dem wahren Wesen der Karrieristen: Soll man standhaft zu seinen Überzeugungen stehen oder sich um der kurzfristigen Karriere willen bei den Oberen einschleimen? Die Musik erstirbt immer mehr und die letzten Worte regen zum Nachdenken an: „Ich will meine Karriere vorantreiben, dass ich sie nicht vorantreibe!“
Ein Moment der Betroffenheit im Konzerthaus Berlin, bevor begeisterter Applaus des leider nicht sehr zahlreichen Publikums einsetzt. Man kann dieses Konzert heute und morgen noch genießen und auch am 2. Februar in der Philharmonie, mit dem DSO unter Ingo Metzmacher. Eine Besprechung diese Konzerts folgt dann am 3. März auf dieser Seite.
Werke:
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) schrieb seine 13 Sinfonie in den Jahren 1961-62. Grundlage und Kernpunkt dieser grossangelegten Sinfonie bildet das Gedicht Babi Jar des russischen Dichters Jewgeni Jewtuschenko. Dieses in der damaligen Sowjetunion höchst umstrittene Gedicht prangert nicht nur das Massaker an 33000 Juden in der gleichnamigen Schlucht vor den Toren Kiews an, sondern setzt sich auch kritisch mit dem Umgang des Vorgangs in der Sowjetunion unter Stalin und Chruschtschow auseinander. Für die Ermordeten wurde kein Denkmal errichtet, die Schlucht zugeschüttet, das Thema des Antisemitismus, der tief in der russischen Gesellschaft verankert war, wurde totgeschwiegen. Die Uraufführung wäre beinahe nicht zustande gekommen, da sich der Dirigent, Mrawinski, weigerte, die Sinfonie zu dirigieren und der Bassist nicht zur Hauptprobe erschien. Ein anderer Bassist sprang kurzfristig ein und Kirill Kondraschin am Pult führte die Uraufführung zu einem gewaltigen Erfolg. Nichtsdestotrotz setzten die Behörden Textänderungen durch. Erst Jahre später gelangte die Originalfassung in den Westen und Eugene Ormandy führte die Originalfassung 1970 in Philadelphia auf. Ursprünglich hatte Schostakowitsch nur dieses eine Gedicht vertonen wollen. Doch Jewtuschenko bot dem Komponisten weitere Gedichte an, so eintstand letztendlich diese fünfsätzige Sinfonie, die eben mit der Widmung an die Opfer von BABI JAR in einem unter die Haut gehenden Adagio beginnt. Der zweite Satz beschäftigt sich mit der unsterblichen Kraft des HUMORS, der dritte Satz IM LADEN ist ein Hohelied auf die Kraft der sowjetischen Frauen im grossen vaterländischen Krieg. Für den vierten Satz schrieb Jewtuschenko ein neues Gedicht mit dem Titel ÄNGSTE. Schostakowitsch setzte den Text in bedrohliche Klänge um, Babi Jar und die Unterdrückung allgemein in der Sowjetunion werden noch einmal fühlbar. Das Finale ist mit KARRIERE überschrieben und handelt von den kühnen Träumen der Menschheit, von Galilei, Tolstoi, Ärzten, welche mutig die Cholera bekämpften, Kosmonauten, welche das Weltall erforschten.
Der Romantiker Franz Schubert (1797-1828) hinterliess trotz seines sehr kurzen Lebens ein umfangreiches und reichhaltiges Gesamtwerk, darunter auch 7 vollendete Sinfonien. Zu seiner Lebzeit wurde ihm leider nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu Teil, er konnte von seiner Tätigkeit als Komponist nicht leben. Die Sinfonie Nr. 3 schrieb er z.B. innerhalb von wenigen Tagen für das Schulorchester während seiner Zeit als Schulgehilfe in der Schule seines Vaters. Die erste öffentliche Aufführung dieser Sinfonie fand erst 53 Jahre nach Schuberts Tod in London statt. Im ersten Satz spiegelt sich die Begeisterung des jungen Mannes für Rossini (Klarinetten- und Oboenmelodien). Der zweite Satz klingt wie eine mit wunderbarer Leichtigkeit hingetupfte Arie (könnte von Mozart sein), das Menuett und das Trio sind von geschmeidiger, rhythmisch prägnanter Eleganz und die kurze, diese jugendlich frische Sinfonie abschliessende, Tarantella versprüht pure, sich schon beinahe ekstatisch steigernde Lebenslust und Heiterkeit.