Berlin, Konzerthaus: MOZART: SINFONIE NR: 39, REQUIEM, 24.11.2017
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 39 in Es-Dur, KV 543 | Uraufführung: zu Mozarts Lebzeiten ist keine Aufführung dieser Sinfonie gesichert überliefert | Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem KV 626 | Uraufführung: eventuell 10. Dezember 1791 in Wien (nur die von Mozart komponierten Fragmente), 2. Januar 1793 in Wien als Benefizkonzert für Constanze und die Kinder, 14. Dezember 1793 in Wiener Neustadt, dirigiert vom Auftraggeber, Graf Waldegg | Dieses Konzert in Berlin: 24.11. | 25.11.2017
Kritik:
Ein echter und ein falscher Schwanengesang: Mozart-Abend im Konzerthaus Berlin
Eröffnet wurde dieses bewegende Konzert mit Mozarts Sinfonie Nr. 39, der Es-Dur Sinfonie KV 543, welche am Anfang der „Trias“ von Mozarts Wiener Sinfonien, seinen letzten Werken dieser Gattung, steht. Den Namen „Schwanengesang“ erhielt sie wohl im frühen 19. Jahrhundert, weil Bearbeitungen dieser Sinfonie relativ spät in Druck gingen und daher diese Komposition als letzte musikalische Äußerung des Meisters angesehen wurde. Zudem verwendete E.T.A Hoffmann in seiner Besprechung der Sinfonie den Begriff „Schwanengesang“ ebenfalls, was der Legendenbildung zusätzlich Vorschub leistete. Aber wie dem auch sei, die Aufführung dieser Sinfonie durch das Konzerthausorchester Berlin unter seinem Chefdirigenten Iván Fischer versprühte pure Lebensfreude, Augenzwinkern und nur zu Beginn in der pointiert gestalteten Adagio-Einleitung des Kopfsatzes einen Hauch von Dramatik. Die von Mozart erstmals geforderten obligaten Klarinetten anstelle der Oboen bereicherten die Orchesterfarben mit ihrem samtenen Klang und erhielten im dritten Satz (Menuetto, Allegretto) prominent hervorgehobene, beinahe solistische Aufgaben, welche die beiden Klarinettisten des Konzerthausorchesters mit Bravour meisterten. Iván Fischer und dem Konzerthausorchester gelang eine packende, konzentrierte Wiedergabe dieses wunderbaren Werks, fein ausgehorchte dynamische Abstufungen und klangliche Transparenz in den Tutti. Eindringlich wurden die zum Teil kontrastierenden Themen herausgearbeitet. Das getragene, leicht zögerliche Fortschreiten der Streicherlinien im Andante, das Dialogisieren innerhalb dieser Gruppe, die agitato-Einwürfe der Bläser gelangen dabei genauso überzeugend wie das federnd gestaltete Menuetto und das rasante Finale mit dem immer wiederkehrenden Hauptthema. Dessen Ohrwurmcharakter wurde von Mozart in vielerlei Variationen in diesem fröhlichen Allegro verarbeitet. Manchmal klang es wie ein Vogelgezwitscher, dann wieder bekam es einen leicht dunklen Unterton und endete mit einem überraschenden und schalkhaften Fragezeichen.
Nach der Pause dann Mozarts echter Schwanengesang, das sagenumwobene REQUIEM in d-Moll KV 626, welches er bekanntermaßen nicht selber fertigstellen konnte. Gespielt wurde im Konzerthaus Berlin die Süßmayr-Fassung von 1792. Es mag bei einem Requiem - einer Trauermusik, einer Messe für die Verstorbenen - etwas befremdlich erscheinen, von einem Triumph zu sprechen, aber so war es nun mal, und dies zu Recht: Ein Triumph für alle Ausführenden. An erster Stelle zu nennen ist dabei das Vocalconsort Berlin (Choreinstudierung: Benjamin Bayl). Dieser exzellente Kammerchor machte die Aufführung zu einem vokalen Ereignis: Exemplarisch die reine Intonation, die Balance der Stimmgruppen, die fein ausgehorchten dynamischen Abstufungen, die ergreifende Gestaltung des lateinischen Textes, von den Bitten um ewige Ruhe im Introitus über das Kyrie zu den immer wieder weit in die Zukunft weisenden, so wirkungsvollen und mutigen harmonischen Wendungen im Dies irae und im Confutatis der Sequenz. Himmlisch erklangen die frei schwebenden, lupenreinen Sopranstimmen im Hostias, beinahe jubelnd im das Werk beschließenden VII. Satz (Cummunio). Dem herausragenden Chor zur Seite stand ein wunderbares Solistenquartett. Lucy Crowes weit ausschwingende, leuchtende Sopranstimme kam gerade im Benedictus herrlich zur Geltung. Sophie Harmsens wunderbar direkt ansprechender Mezzosopran ließ definitiv aufhorchen, sie gestaltete die Altpartie mit Geschmack und Verve, jedoch ohne übertriebene Theatralik. Sehr schön geführt erklang auch die ebenmäßig timbrierte Tenorstimme von Jeremy Ovenden. Der Bassbariton Hanno Müller-Brachmann rundete dieses exzellente Solistenquartett mit seiner sonoren Stimme und exemplarischer Diktion hervorragend ab. Eindrücklich gestaltete er zusammen mit dem Solo-Posaunisten das Tuba mirum. Dirigent Iván Fischer achtete sehr genau auf Transparenz, hob immer wieder begleitenden Streicherfiguren ergänzend und bereichernd zu den Gesangslinien hervor. Triumphal Jubelndes (Sanctus) stand neben tief Bewegendem (Lacrimosa) und Aufwühlendem (Dies irae, Confutatis).
Draußen vor dem Konzerthaus ist der Weihnachtmarkt auf dem Gendarmenmarkt bereit zur Eröffnung, der riesige Christbaum strahlt. Drinnen ist man bewegt von Mozarts Requiem – und in Gedanken auch bei den Opfern (und den Angehörigen) des Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin vor einem Jahr.
Werke:
Mozarts (1756-1791) Sinfonie KV543 gehört zusammen mit der grossen g-Moll und der Jupiter-Sinfonie zu den letzten Sinfonien des Meisters, alle drei entstanden in kurzer Zeit hintereinander zwischen Juni und August 1788. Vorbild könnten die sechs Pariser Sinfonien Haydns gewesen, sein, deren erste drei in denselben Tonarten komponiert wurden: Es-Dur, g-Moll, C-Dur. Ein kraftvoll-feierliches Adagio leitet den ersten Satz ein. Mit Grazilität daher kommt das anschliessende Allegro, beschwingt steigert sich das Orchester ins Forte des Tutti. Schlicht und stimmungsvoll, auch etwas volksliedhaft dann der zweite Satz, das Andante, dessen reichhaltige Themenwelt aufhorchen lassen. Im Trio des Menuetts treten die Klarinetten deutlich hervor, Mozart hat ihnen in dieser Sinfonie sowieso einen prominenten Status verliehen. Die Oboe fehlt in diesem Werk vollständig. Wirbelnde Sechzehntelbewegungen prägen den Schlusssatz, eine effektvolle Generalpause wird eingesetzt um danach in die sprühende Reprise und die Coda einzuschwenken. Mozart quälten zur Entstehungszeit grosse Geldnöte, doch davon ist in dieser Sinfonie nichts zu spüren, sie ist ein quirliges, sehr sorgfältig konzipiertes und mit überbordendem melodischem Einfallsreichtum bestücktes Werk. Ein Aufführung zu Mozarts Lebzeiten ist nicht überliefert, könnte jedoch in Dresden oder Frankfurt stattgefunden haben.Auch Salieri könnte sie im Frühjahr 1791 in Wien aufgeführt haben, vor allem da an diesem Konzert zwei Klarinettisten mitwirkten und Mozarts Sinfonie Nr. 39 diesen Instrumenten ja eine sehr schöne Plattform bietet.
Vielerlei Mythen ranken sich um Mozarts letzte Komposition, das REQUIEM in d-Moll, KV 626. Miloš Forman hatte einen dieser Mythen in seinem Film AMADEUS aufgegriffen, wo Salieri als Intimfeind Mozarts dargestellt wird und diesen vergiftete, so dass er das letzte Werk eben nicht beenden konnte. Tatsache ist, dass Mozart nur bis zu den ersten Takten des Lacrimosa gekommen ist, bevor er starb. Constanze Mozart liess nach dem vorzeitigen Tod ihres Mannes das Werk erst von Franz Eybler fertigstellen (da sie sonst dem Auftraggeber, dem Grafen Waldegg, das vorausbezahlte Honorar hätte zurückzahlen müssen). Eybler gab jedoch schnell auf, obwohl er anerkanntermassen sehr geschickt vorgegangen war. Daraufhin beauftragte Constanze Mozart den Mozart-Schüler Franz Xaver Süssmayr mit der Vervollständigung des Requiems. Obwohl Süssmayrs Arbeit immer wieder kritisch hinterfragt wurde, hat noch kein anderer Komponist eine wirklich bessere Vervollständigung von Mozarts Fragment vorlegen können und so sind Süssmayrs Ergänzungen, Orchestrierungen und Neukompositionen der fehlenden Stellen durchaus insofern zu bevorzugen, als sie wenigstens aus der Zeit heraus entstanden sind und Süssmayr in den letzten Monaten von Mozarts viel zu kurzem Leben wenigstens in sehr engem Kontakt zum Meister gestanden hatte. Trotz dieser Heterogenität des Requiems, hervorgerufen durch den Torso-Charakter und die Ergänzungen Eyblers und Süssmayrs, ist das Werk ein tief empfundenes, in seiner Intensität weit auch ins neunzehnte Jahrhundert vorausblickendes Werk, ein Werk, dessen Popularität vielleicht auch gerade wegen der um die Entstehungsgeschichte rankenden Mythen ungebrochen ist. Melodien daraus wurden verjazzt, vertanzt oder in so unterschiedlichen Filmen wie AMADEUS, EYES WIDE SHUT, THE LION KING oder Pasolinis TEOREMA eingesetzt.