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Berlin, Konzerthaus: MINKOWSKI/BRIMBERG, 20.02.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Franck: Sinfonie in d-Moll

Bild: K. Sannemann

César Franck: Sinfonie in d-Moll | Uraufführung: 17. Februar 1889 in Paris | Richard Wagner: Ballade der Senta aus DER FLIEGENDE HOLLÄNDER (Urfassung) | Uraufführung: 2. Januar 1843 in Dresden | Richard Wagner: Ouvertüre und Bacchanal aus TANNHÄUSER | Uraufführung: 13. März 1861 in Paris | Richard Wagner: Schlussszene der Brünnhilde aus GÖTTERDÄMMERUNG | Uraufführung: 17. August 1876 in Bayreuth | Dieses Konzert in Berlin: 19.2. | 20.2. 2016

Kritik: 

In den Farben der Tricolore erstrahlen die Fenster des Konzerthauses am Gendarmenmarkt zwischen dem Französischen und dem Deutschen Dom, wunderschön anzusehen! Der Anlass für diese Beleuchtung ist das zehntägige „Festival Frankreich: Oh là là, la France“, welches vom 19. – 28.2. 2016 das reichhaltige Musikleben des (in der Vergangenheit nicht immer befreundeten) Nachbarlandes in die deutsche Hauptstadt bringt. Neben den Konzerten im großen Saal gibt es Kinderkonzerte im ganzen Haus, Espresso-Konzerte am Nachmittag, Orgelstunden, Kammermusik, Filme und (Achtung deutsche Schnäppchenjäger!) Petits déjeuners musicales mit Musik, Croissant und Café au lait und freiem Eintritt! Die Angestellten tragen rote Berets, versprühen Charme statt Berliner Schnauze und in den Foyers sind neben informativen Tafeln über die wechselhaften (musikalischen) Beziehungen zwischen den beiden Kulturnationen Stände aufgebaut, an denen man sich an exzellentem Wein, Champagner und assiettes de fromage et de charcuterie delektieren kann.

Für das Eröffnungskonzert des hauseigenen Konzerthausorchesters Berlin wurde mit dem französischen Dirigenten Marc Minkowski einer der interessantesten Pultstars (ohne jegliche Allüren!) eingeladen. Für sein Programm wählte er Werke eines Franzosen, César Franck, der in seiner Heimat nach dem deutsch-französischen Krieg für zu „deutsch“ gehalten wurde und eines Deutschen, Richard Wagner, der immer wieder versucht hatte, an der Opéra Fuß zu fassen, dessen Musik der Mehrheit des damaligen Publikums aber zu wenig den französischen Gepflogenheiten entsprach – bei einer Minderheit allerdings zu beinahe ikonischer Verehrung führte, zum sogenannten „Wagnérisme“.

Minkowski und das Konzerthausorchester eröffneten also mit Francks genialer Sinfonie in d-Moll. Wunderschön spielten die tiefen Streicher das die Sinfonie prägende tragische Thema, sanft setzten die Violinen ein. Dem Dirigenten gelang es hervorragend, den Stimmungs- und Spannungsaufbau zu gestalten, zupackend steuerte er auf die Kulminationspunkte zu, wechselte gekonnt zwischen Spannung und Entspannung. Die Hörner intonierten mit fantastischer Reinheit das pastorale Seitenthema, welches sich dann durch die Bläsergruppen fortentwickelte. Mit bewegender Ekstase schwenkte das Orchester ins Finale des Kopfsatzes ein. Sehr schöne herausgearbeitet dann die Kontrastwirkung dazu im Lento: Die Harfenistin wurde von den feinen Pizzicati der Streicher im liedhaften Thema begleitet, bevor das Englischhorn mit der zauberhaft melancholischen Kantilene einsetzte. Mit mystischer Spannung wurde das Wechselspiel zwischen ersten und zweiten Geigen und der Flöte angegangen. Con attaca schwenkte man dann in den Jubelcharakter des Finalsatzes ein, gelangte vom Dunkel der fahlen Tiefen ins Licht. Das triste Thema des Kopfsatzes schimmerte nochmals kurz auf, hatte jedoch gegen den feurig lodernden Überschwang, welcher diesen Satz hauptsächlich prägt, keine Chance mehr. Eine kunstvoll gearbeitete Sinfonie in einer begeisternden Interpretation!

Nach der Pause dann Musik von Richard Wagner: Marc Minkowski gab zuerst eine launige Einführung in die verzweifelten Versuche Wagners an der Opéra zu reüssieren. (Sein Szenario für LE VAISSEAU FANTÔME verkaufte er nach der Ablehnung dann an einen anderen Komponisten und brachte die revidierte eigene Fassung in Dresden heraus.) Im Konzert des Konzerthausorchesters nun erklang die Urfassung der Ballade der Senta (welche da noch Anna hieß). In der Originaltonart a-Moll, also einen Ton höher als in der gängigen Fassung. Doch damit hatte die Solistin Ingela Brimberg keinerlei Mühe: Welch eine Stimme! Klar, durchdringend, rein, ohne jegliches hochdramatisches Wabern, sauber geführt, ungemein ausdrucksstark, direkt unter die Haut gehend, bruchlos in die Tiefe sinkend (sie kommt wie einige der führenden hochdramatischen Sopranistinnen ursprünglich aus dem Mezzofach!) und zu lupenreinen Höhen aufsteigend in der an Weber erinnernden Jubel-Stretta. Mit leuchtenden Glockenklängen und von Trauer umflorter, aber fordernder Stimme, expressiver Tiefe und überaus sicheren Intervallsprüngen gestaltete sie dann auch die das Konzert beschließende Schlussszene der Brünnhilde aus der GÖTTERDÄMMERUNG, Starke Scheite schichtet mir dort. Marc Minkowski und das riesige Konzerthausorchester  Berlin (vier Harfen!) erweckten dieses finale Feuerwerk an Ring-Motiven mit hervorragender Plastizität zum Leben, besonders schön herausgearbeitet natürlich das immer wieder aufs Neue Gänsehaut erregende „Wundermotiv“.  Vor diesem Höhepunkt erklangen noch Ouvertüre und Bacchanal aus TANNHÄUSER: Wunderbar in Balance gehalten der Beginn mit dem Pilgermotiv der Bläser und den bewegenden Wogen der Streicher, einfach himmlisch schön. Genau akzentuiert, ohne jegliches Verwischen dann die chromatisch einsetzende Venusbergmusik, rauschend, orgiastisch, erotisch. Ein überaus beglückendes Konzerterlebnis in einem der weltweit schönsten Konzertsäle!

Werke:

César Franck (1822-1890) zählt zu den grossen französischen Komponisten und Lehrer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zusammen mit seinen Kollegen Saint-Saëns, Lalo, Chausson und d'Indy prägte er mit seiner 1886 entstandenen Sinfonie in d-Moll das sinfonische Schaffen der französischen Komponisten dieser Zeit. In allen drei Sätzen (Lento- Allegro non troppo, Allegretto, Allegro non troppo) spielt das Lento-Eingangsmotiv der Komposition eine wichtige Rolle. Francks Bemühen, die Farbigkeit und Eleganz der an Berlioz geschulten französischen Orchestrierungskunst mit der „deutschen“ Formstrenge der sinfonischen Struktur zu verbinden, stiess zunächst auf Ablehnung. Gounod z.B. urteilte über Francks Sinfonie: „...ein bis zum Dogma getriebenes Bekenntnis zur Impotenz.“ Nun, Impotenz ist in der Komposition nicht hörbar, im Gegenteil. Doch ist das ganze Werk, von der Einleitung in den tiefen Streichern bis zum rauschhaften Finale im Blech von einer trüben, traurigen Stimmung durchzogen – und doch ist es eine Sinfonie, die man sich immer wieder gerne anhört.

Richard Wagners (1813-1883) FLIEGENDER HOLLÄNDER wurde inspiriert durch eine seiner vielen Fluchtreisen (vor seinen Gläubigern): Auf einer Schiffsfahrt von Riga aus über die Ostsee und die stürmische Nordsee nach England musste in norwegischen Häfen Schutz gesucht werden.

Zum ersten Mal taucht im FLIEGENDEN HOLLÄNDER Wagners Frauenbild auf: Durch bedingungslose Hingabe und Selbstaufopferung dient das Weib der Erlösung fremder Schuld und dem Heil des Mannes. Sentas Ausbruch aus dem Mief des Kleinbürgertums wirkt zwar revolutionär, doch ihre Entscheidung führt nicht zur Freiheit der Liebe, sondern zur Selbstpreisgabe. Der Rolle des Holländers hingegen enthält die Weltschmerzthematik sowie den Keim des deutschen Irrwegs, der auf Erlösung und Untergang im globalen Vernichtungsrausch und auf Kadavergehorsam abzielt. Sentas Ballade steht denn auch im Zentrum, die Erzählung vom fliegenden Holländer wandelt sich nach den ersten beiden Strophen zur Ich-Form, die junge Frau kommt zur vermeintlichen Selbstfindung. In der Urfassung ist diese Ballade einen Ton höher komponiert, nämlich in a- statt g-Moll. Die Urfassung der Oper wird kaum mehr gespielt. Richard Strauss hatte 1929 in Berlin eine Aufführung dieser Urfassung angeregt, die aber weitgehend folgenlos blieb. Bruno Weil hat mit der Cappella Coloniensis (Astrid Weber als Senta) eine Einspielung dieser Urfassung des FLIEGENDEN HOLLÄNDERS vorgenommen.

Beinahe 20 Jahre nach der Uraufführung entstand für eine Aufführung an der Opéra die so genannte „pariser Fassung“ des TANNHÄUSER. Sie beinhaltet hauptsächlich Änderungen im ersten Akt. So ist hier die Rolle der Venus aufgewertet, die ganze erste Szene durch ein Bacchanal ergänzt. Darin hat Wagner in Musik ausgedrückt (nämlich das immense Drängen des Fleisches nach sexueller Befriedigung) was er sich in Worten nicht getraute. Diese chromatisch-sinnliche Musik führte dann auch zu einem der ganz grossen Theaterskandale: Nach nur drei Aufführungen wurde das Werk in Paris nach unvorstellbaren Tumulten im Zuschauerraum abgesetzt. Und doch begründeten diese Aufführungen de wagnérisme in Frankreich, welcher in Künstlerkreisen zunehmend Anhänger fand.

Die GÖTTERDÄMMERUNG bildet den monumentalen Schlussteil von Wagners Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN, ein Werk von ungeheurem Ausmass und ebensolchen Anforderungen an die Ausführenden. Nach aussen stellt dieser letzte Teil - mit einer Aufführungsdauer von beinahe sechs Stunden - den opernhaftesten Teil der vier Abende dar, mit grossen arienhaften Szenen und dem Chor, der hier zum einzigen Mal im gesamten RING auftaucht. Daneben kommt das sinfonische Element, als orchestrales Intermezzo, ausgiebig zum Tragen (Siegfrieds Rheinfahrt, Trauermusik, Weltenbrand). Trotz des gewaltigen Umfangs der Partitur herrscht nach dem ruhigen Beginn (Szene der Nornen) eine nie nachlassende Spannung und eine geballte, hochdramatische Erregung. Wagner hat die Charakterzeichnungen der Personen noch weiter verfeinert, die Motive werden kunstvoll verwoben und zu einem eruptiven Schluss gebracht.

Das aussergewöhnliche Drama um Liebe, Macht und gebrochene Verträge findet mit der Rückgabe des fluchbeladenen Rings an die Rheintöchter sein Ende.



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