Berlin: GERMANIA, 06.01.2011
Dramma lirico in einem Prolog, zwei Akten und einem Nachspiel | Musik: Alberto Franchetti |
Libretto von Luigi Illica |
Uraufführung am 15. März 1902 in Mailand | Aufführungen in Berlin: 6.1. | 9.1. | 20.2.2011
Kritik:
„GERMANIA ist eine stellenweise unerträgliche Oper. Und gerade deswegen ist sie eine wichtige Oper, weil sie uns zeigt, dass Freiheit manchmal eine fürchterliche Sache ist.“ Dies schreibt Thomas Bauer, Islamwissenschaftler an der Universität Münster, in seinem lesens- und bedenkenswerten Aufsatz POESIE DES TERRORISMUS, welcher dem Programmheft der Deutschen Oper Berlin beiliegt. Darin weist er auf die Parallelen zwischen den Auswüchsen des Nationalismus mit seiner Verklärung des Märtyrertums mit dem islamistischen Dschihad hin, dieses unbändige, auch religiös fundierte Streben nach dem Tod fürs Vaterland (Zitate aus der Oper: „Für das heilige Deutschland kannst du noch immer sterben...Heilig und rein ist der Sieg dem Helden, der stirbt ...Wer für das Vaterland stirbt, ist nicht tot … Mein Sohn wurde geboren mit der Bestimmung zum Tod in seinen blauen Augen …. Hier steige ich hinab wie in heilige Katakomben und gebe euch sein Märtyrerblut.“) Solche Exzesse des Wir-Gefühls der Patrioten, welche die Tragik der eigentlich banalen Dreiecksgeschichte der Oper GERMANIA umrahmen, hat Regisseurin und Intendantin Kirsten Harms unspektakulär und in ruhigen, manchmal beinahe zu statischen, historisierenden Bildern umgesetzt. Stark war das Bühnenbild des Prologs (Bühne Bernd Damovsky) mit dem die ganze Bühnenbreite umspannenden Abdruck der anonymen Schrift „Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung“ welche 1806 vom verfolgten Johann Palm verlegt wurde. Palms Verhaftung stellt dann auch den Beginn der Oper dar. Die Franzosen dringen zuerst nur als Schatten sichtbar ein, später brechen sie durch die Schrift hindurch, zerreissen sie und nehmen Palm fest. Ante Jerkunica hat einen kurzen, aber bewegend gestalteten Auftritt als Johann Philipp Palm, sein Abschied von seiner Familie berührt. Weniger Anteil nimmt man aufgrund der zurückhaltenden Personenführung an der Dreiecksgeschichte. Vor allem die beiden rivalisierenden Studenten bewegen sich doch eher als alte, behäbige Soldaten denn als stürmische Jungspunde. Weshalb Ricke sich für Worms entscheiden sollte, wird deshalb nicht einsichtig. Carlo Ventre als Friedrich Löwe war von einem grippalen Effekt befallen, liess sich auch als leicht indisponiert ankündigen. Trotz dieses Handicaps gestaltete er die anspruchsvolle Tenorpartie stimmlich souverän, höhensicher, wenn auch mit einem Hauch zu viel Larmoyanz in der Stimme, jedenfalls bedeutend überzeugender als sein Freund und Rivale Worms, welcher vom Bariton Silvio Zanon sehr steif gegeben wurde. Stimmlich geriet Silvio Zanon vor allem in seiner grossen Szene im Prolog an Grenzen, die Höhe klang unsicher, dünn und leicht krächzend, war intonationsmässig auch nicht über alle Zweifel erhaben. Zum Glück vermochte er sich wenigstens stimmlich im Verlauf des Abends noch zu steigern. Einmal mehr gelang es den Damen besser, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Lise Lindstroms hochdramatische, aber dynamisch differenziert eingesetzte Stimme triumphierte jederzeit über das stellenweise zu laut spielende Orchester (Dirigent Ulrich Windfuhr), ihre Ricke ist auch darstellerisch ein Ereignis, sie zeigt in Stimme und Spiel eindrücklich die Zerrissenheit dieser Frau. Sowohl die Hochzeitsszene unter dem entwurzelten Baum (die Personen haben ja auch jede Bodenhaftung verloren) als auch ihre verzweifelte Suche nach ihren Männern auf dem Schlachtfeld der Völkerschlacht gerieten zu starken Höhepunkten einer sonst sehr zerklüftet wirkenden Aufführung. Jana Kurucová hatte einen kurzen, aber ganz starken Auftritt in der Hosenrolle des Jebbel. Die Stimme dieser zierlichen Mezzosopranistin verfügt über ein fantastisches Timbre und eine raumfüllende Strahlkraft (siehe auch ihr Cherubino in der NOZZE DI FIGARO). Solide waren die Jane von Sarah van der Kemp und der Crisogono von Markus Brück. Verschenkt hingegen der wichtige Auftritt des Pastors Stapp: Jörn Schümanns Bass tremolierte zu stark, um dieser Figur das notwendige Gewicht zu verschaffen. Katarina Bradic gestaltete den kurzen Auftritt der Königin Luise mit stimmlicher Autorität, ein echter Showstopper!
Auch wenn das gross besetzte Orchester, wie bereits erwähnt, stellenweise zu laut spielte, muss man doch den wunderbar satten Streicherklang loben. Das eindrücklich instrumentierte und ebenso gespielte Intermezzo sinfonico verfehlte seine Wirkung nicht. Die Frage muss aber erlaubt sein, ob es tatsächlich ausreicht, ein solch kontroverses Thema wie es der Nationalismus darstellt – jene Erzpest, die die Blüte unserer europäischen Kultur vergiftet hat (Stefan Zweig) –, bloss in schwülstigen Bildern (Ricke taucht als walkürenartige Germania auf und legt Rüstung und Helm ab) und mit viel Bühnennebel abzuhandeln.
Inhalt:
Deutschland im Jahr 1806:
Deutschland im Strudel der napoleonischen Befreiungskriege. Friedrich Löwe ist ein radikaler Studentenführer. Er will die Bevölkerung gegen die französische Besatzung aufwiegeln und das zersplitterte Deutschland einen. "Siegen oder Sterben" lautet die Devise. Demgegenüber vertritt sein Freund Karl Worms idealistischere Philosophien, lehnt sich an Schiller an und will den Kampf mit der Feder führen. Verliebt sind beide in Ricke, mit der Friedrich verlobt ist, die aber während seiner Abwesenheit ein Verhältnis mit Worms hat. Ricke wird gefühlsmässig zwischen den beiden Studenten zerissen. Als das Gerücht auftaucht, Worms sei im Kampf gefallen, hofft Ricke auf eine unbeschwerte Zukunft an der Seite Friedrichs. Doch ausgerechnet am Tag der Hochzeit taucht Worms schwer verwundet wieder auf. Ricke brennt mit Worms durch, gesteht aber auch in einem Abschiedsbrief Friedrich ihre Liebe. Einige Jahre später: Friedrich hat Worms aufgespürt und will sich rächen. Worms will sich von Friedrich töten lassen. Königin Luise erscheint. Gemeinsam setzen die ehemaligen Freunde ihre Hoffnung auf ein befreites Deutschland. GERMANIA lautet die Losung. Sie ziehen in die Völkeschlacht bei Leipzig.
Auf dem Schlachtfeld findet Ricke den gefallenen Worms und den verwundeten Friedrich. Sie legt sich neben ihn, er stirbt.
Werk:
Baron Alberto Franchetti stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie. Er studierte unter anderem bei Rheinberger in München. Bekannt ist seine Ablehnung der Vertonung von Libretti wie ANDREA CHÉNIER oder TOSCA, welche später durch Giordano respektive Puccini zu Welterfolgen wurden. Doch auch Franchettis Werke, welche ganz in der Nachfolge Verdis verschiedene Stile des 19. Jahrhunderts zu einer durchaus eigenständigen veristischen Musiksprache verschmelzen, waren zunächst recht erfolgreich. GERMANIA wurde von Toscanini an der Scala mit Caruso und Amelia Pinto uraufgeführt und von einigen Bühnen weltweit nachgespielt. Doch aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurden seine Werke in Deutschland (und auch in Italien) nach 1933 von den Bühnen verbannt. Neben GERMANIA war CRISTOFORO COLOMBO sein grösster Bühnenerfolg.
Franchettis musikalische Sprache kann weder des Kompnisten Verehrung für Wagner noch seine italienischen Wurzeln leugnen. So bewundert man einerseits den gekonnten deklamatorischen Stil, andererseits auch die mitreissenden ariosen Aufschwünge, vor allem in der Tenorpartie. Die beiden Arien Studenti, udite und No, non chiuder gli occhi wurden von dank Carusos Plattenaufnahmen zu grossen Erfolgen. Spannend ist auch das höchst überraschend gestaltete Intermezzo sinfonico, welches die Völkerschlacht bei Leipzig höchst einfühlsam und unprätentiös musikalisch umsetzt. Zur Kolorierung des Schauplatzes verwendete Franchetti auch deutsches Liedgut, so Carl Maria von Webers Vertonung von Lützows wilde Jagd oder das Studentenlied Gaudeamus igitur.