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Berlin, DOB: TANCREDI, 04.02.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tancredi

Foto: © Bettina Stöß

Oper in zwei Akten | Musik: Gioachino Rossini | Libretto: Gaetano Rossi | Uraufführung: 6. Februar 1813 in Venedig | Aufführungen in Berlin: 22.01. | 26.01. | 01.02. | 04.02.2012

Kritik:

Da hat die Deutsche Oper eine Riesenchance zur Errettung der ersten opera seria von Rossini vergeben: Ausgerechnet die fade, uninspirierte, an gewissen Stellen richtiggehend dilettantische Inszenierung von Pier Luigi Pizzi aus dem Jahr 1999 aus Pesaro wurde nach Berlin geholt. Pizzi beschränkte sich darin auf das Arrangieren mehr oder weniger gelungener Tableaux, von durchdachter, psychologisch einfühlsamer Personenführung oder stimmigem, spannendem Erzählen einer tragischen Geschichte keine Spur. Die Sänger waren auf sich alleine gestellt und retteten sich natürlich in allerkonventionellste Operngesten, sprich Arme ausbreiten, kreuzen, Handrücken an die Stirn, Colliergriff. Der Chor durfte dazu die Schwerter aus der Scheide ziehen, diese schwingen, wieder reinstecken, wieder herausziehen … . Das reicht natürlich bei weitem nicht, um einen über dreistündigen Abend interessant zu machen. Pizzi (als studierter Architekt immer auch sein eigener Bühnen- und Kostümbildner) baute einen Mix aus Friedrichstrasse-Architektur und antiken Säulen auf die Bühne, dazu kamen sich ständig verschiebende Treppen, eine mit Reliefs versehene Rückwand, welche sich ab und an senken durfte um die Spielfläche zu erweitern. Die Damen traten barfuss und in weich fliessenden, schlichten Gewändern auf, die Männer in Stiefeln und angedeuteter Kampfmontur. Unter diesen Prämissen hätte eine konzertante Wiedergabe ausgereicht und Geld gespart. Besser jedoch man hätte das Werk in die Hände einer Regisseurs vom Range zum Beispiel eines Jens-Daniel Herzog gelegt.

Zum Glück blieb noch die musikalische Seite – und an der konnte man wahrlich seine Freude haben. Unter der federnden, ungeheurer präsenten und hochgradig einfühlsamen Leitung des grandiosen Rossini-Kenners Alberto Zedda, erblühten die Preziosen der Partitur aus Wunderbarste. Angesichts der solistischen Leistungen sollte die Oper hier eigentlich AMENAIDE heissen, denn Patrizia Ciofi sang die schwierige Koloraturpartie mit berückender Stimme, fantastisch weich angesetzten, sauber ausgeführten Fiorituren, perfekter Phrasierung und beseeltem Klang. Bei ihr werden die Verzierungen nie zu zirzensischen, selbstgefällig zur Schau gestellten Hochseilakten, sondern sind Teil tief empfundener Ausdrucksnuancen. Ihr zu Unrecht misstrauischer und völlig irrational reagierender Liebhaber Tancredi wurde von Hadar Halévy mit diskreter Zurückhaltung gestaltet. Sie versuchte zum Glück ihre nicht über ein allzu grosses Stimmvolumen verfügende Stimme durch brustiges Pressen aufzublähen. Wunderschön gestaltete sie die Verzweiflung Tancredis und die von Rossini im Ferrara-Schluss geradezu avantgardistisch gestaltete Sterbeszene mit ihren immer wieder abbrechenden, stockenden Phrasen. Bei der Auftrittsarie Di tanti palpiti hätte man noch etwas mehr an Impetus und belcantistischer Virtuosität erwarten dürfen. Leider wurde sie für die Hosenrolle in ein unmögliches Kostüm gesteckt, die Karotten-Hosen, das enge Oberteil und der stark taillierte Waffenrock betonten ihre weiblichen Rundungen – somit sah sie leider aus, wie die lesbische Geliebte Amenaides, was zwar durchaus ein interessanter Regieansatz wäre, doch hier natürlich nicht so beabsichtigt war. Amenaides gestrenger Vater Argirio wurde von Alexey Dolgov nach etwas verschwommenem Beginn sehr ansprechend gestaltet. Sein heller Tenor verfügt über eine klare, saubere Höhe, der Mittellage mangelt es noch etwas an Farbenreichtum. Der „Bösewicht“ Orbazzano wurde von Rossini etwas stiefmütterlich behandelt. Krzystof Szumanski machte das Beste daraus. Aufhorchen liess die junge Clémentine Margaine, welche die kleine Rolle der Freundin Amenaides, Isaura, mit ihrem satten, prächtig aufblühenden, warmen Mezzosopran erfüllte. Ein grosses Versprechen für ihre Karriere! Heidi Stober schliesslich begeisterte mit der mit jugendlichem Eifer vorgetragenen Jubelarie des Roggiero.

Aus dem Graben vernahm man viele beglückende Einzelleistungen der Holzbläser und erfreute sich an dem vorzüglichen Spiel von Ugo D´Orazio und Johannes Mirow (Continuo: Hammerklavier und Cello).

Inhalt:

Die Oper spielt im sizilianischen Stadtstaat Syrakus im Jahr 1005.

Amenaide Argirio liebt heimlich den Edelmann Tancredi, welcher in Syrakus in Ungnade fiel und enteignet wurde. Zwischen den starken Familien Argirio und Orbazzano ist ein Bürgerkrieg entbrannt und Argirio hofft, diesen durch die Vermählung seiner Tochter Amenaide mit Orbazzano zu beenden um dann gemeinsam gegen die Belagerung der Stadt durch die Sarazenen unter ihrem Heerführer Solamir anzutreten. Amenaide schickt einen nicht adressierten Liebesbrief an Tancredi, welcher jedoch abgefangen wird und das Unheil ins Rollen bringt, da jeder einen anderen Adressaten vermutet. Die Syrakuser (Obrazzano, Argirio) wähnen, dass sich Amenaide mit dem Sarazenenführer eingelassen habe und sie wird wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Doch auch Tancredi erfährt von diesem Brief ohne Adressaten und zweifelt nun an ihrer Treue. Amenaide wird zum Tode verurteilt. Um ihr Leben zu retten, fordert Tancredi Orbazzano zum Duell (Gottesurteil) und tötet ihn. Doch Tancredis Zweifel an Amenaides Treue sind dadurch nicht beseitigt. Er stellt sich mutig den Sarazenen entgegen, um den Heldentod zu sterben.

Zwei Versionen des Finales:

Uraufführung: Tancredi siegt in der Schlacht und erfährt vom sterbenden Solamir, dass der Breif an ihn gerichtet war. Da Paar wird glücklich vereint. (lieto fine)

Erstaufführung in Ferrara: Tancredi wird tödlich verwundet und erfährt sterbend in den Armen Amenaides von ihrer Treue.

Werk:

TANCREDI war Rossinis (1792-1868) erster Opernerfolg und zugleich seine erste opera seria. Zuvor hatte er mit einer ganzen Reihe von Farcen und opere buffe relativ wenig Aufmerksamkeit erregt. Der Text zu dieser Oper basiert auf dem Drama TANCRÈDE von Voltaire. Da zur Uraufführungszeit Opern mit tragischem Ausgang in Italien und da insbesondere zur Karnevalsszeit eher unbeliebt waren, komponierte Rossini zunächst einen versöhnlichen Schluss, ein so genanntes lieto fine. Erst vor ca. 40 Jahren wurde das tragische Finale der Ferrara-Fassung wiederentdeckt. TANCREDI geriet trotz des Erfolges der Uraufführung bald in Vergessenheit (mit Ausnahme der populärsten Arie) und wurde im ernsten Fach von den tragischen Opern Bellinis, Donizettis und Verdis verdrängt. Erst als sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grosse Mezzosoprane wie Marilyn Horne, Ewa Podles oder Vesselina Kasarova den Partituren Rossinis zuwendeten, fanden die opere serie Rossinis den Weg zurück ins Repertoire. Glanzstück der Oper ist die Auftrittsarie des Tancredi „Di tanti palpiti“, welche sogar von Richard Wagner beim Auftritt der Schneiderzunft in seinen MEISTERSINGERN parodiert wurde. Doch auch die Arien der Amenaide und die gefällig ausgearbeiteten Duette vermögen das Ohr zu entzücken, auch wenn die starre Abfolge von Rezitativen und Arien sehr formelhaft anmutet und gewisse melodische Einfälle auch in einer komischen Oper ihren Platz fänden. Manchmal wirken das schnurrend Mechanische und die affektgeladenen Koloraturen geradezu belustigend in diesem eigentlich tragischen Umfeld. Die Musik Rossinis hat noch nicht ganz zu ihrer Grösse gefunden, verzichtet auf die Psychologisierung eines Verdi, ist quasi austauschbar und vielseitig verwendbar angelegt – und von diesem Umstand hat der Vielschreiber in seiner kurzen Schaffensphase, welche nur knapp zwei Jahrzehnte seines Lebens währte, auch ausgiebig Gebrauch gemacht.

 

Applaus (Video)

Karten

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