Berlin, Deutsche Oper: LES HUGUENOTS, 13.11.2016
Grand Opéra in fünf Akten | Musik: Giacomo Meyerbeer | Libretto: Eugène Scribe, Émile Deschamps | Uraufführung: 29. Februar 1836 in Paris | Aufführungen in Berlin: 13.11. | 17.11. | 20.11. |23.11. | 26.11. | 29.11.2016 | 29.1. | 4.2.2017
Kritik:
Sie stellte wohl DIE Erfolgsoper des 19. Jahrhunderts dar, Meyerbeers Grand Opéra DIE HUGENOTTEN, welche gestern Abend in der Deutschen Oper Berlin in einer ziemlich vollständigen Fassung Premiere feierte. Die Aufführung, welche mit dem Rollendebüt des Startenors Juan Diego Flórez als Raoul natürlich großes Interesse weckte, vermochte die hohen Erwartungen nur teilweise zu erfüllen. Während auf der musikalischen Seite viel Erfreuliches und Spannendes aufhorchen ließ, lieferte die szenische Umsetzung leider kein zwingendes Plädoyer für ein Revival von Meyerbeers groß angelegtem Historiengemälde ab.
Am Pult des mit hervorragenden Einzelleistungen aufwartenden Orchesters der Deutschen Oper Berlin stand der GMD des Teatro Comunale di Bologna, Michele Mariotti. Er bevorzugte zurückhaltende Tempi, eine dynamisch fein abgestimmte Ausgewogenheit des Gesamtklangs, eine fast schon akademisch-analytische Lesart, welche die Stimmen nie in Bedrängnis brachte, aber es manchmal auch an wenig an Biss und Drive fehlen ließ. Gespannt war man natürlich auf den Raoul von Juan Diego Flórez – und wurde nicht enttäuscht. Flórez meisterte mit seiner wunderbar klar und hell timbrierten, mit Eleganz und Agilität ausgestatteten Stimme die riesige Partie bestechend mühelos (fantastisch seine strahlenden Höhen!) und hatte selbst im fünften Akt noch die Kraft für seinen packenden Bericht über die Gräuel der Bartholomäusnacht auf den Pariser Straßen. Im vierten Akt hatte er sich mit bestechender Emphase ins Liebesduett mit Valentine gestürzt, im zweiten Akt entfalteten und vereinigten sich seine lyrischen Qualitäten im Duett mit der wunderbar zart gesungenen Marguerite von Patrizia Ciofi und im ersten Akt löste Flórez mit der von der Viola d’amore (Katharina Dargel) so einfühlsam begleiteten und von ihm mit ungeheurer Sensibilität gesungenen Romanze einen Begeisterungssturm aus. Patrizia Ciofi sang eine ebenso sensible, ja beinahe zerbrechliche Marguerite von Valois, eine (zukünftige) Königin am Rande des Wahnsinns – oder des Nervenzusammenbruchs. So verwunderte es nicht, dass sie in ihrer großen Arie im zweiten Akt in der Kadenz kurz in die Wahnsinnsarie aus LUCIA DI LAMMERMOOR einbog. Olesya Golovneva stellte eine wunderbare Valentine dar, mit herrlich aufblühender Stimme in der Höhe, interessant gefärbter Tiefe und voller Intensität im Ausdruck. Da war jede Regung der Seele dieser als tragische Schachfigur im Machtpoker eingesetzten Frau hörbar, welche am Ende ihre wahre charakterliche Größe offenbarte und eigentlich als einzige (vielleicht neben dem Grafen von Nevers) eine Entwicklung vollzog, während die andern in ihren Rollen in Sturheit verharrten. So zum Beispiel der Marcel, ein religiöser Eiferer auf Seiten der Hugenotten, welchem Ante Jerkunica seine imposante Bassstimme lieh. Eindringlich sein Spottlied im ersten Akt, sein Gebet im dritten und berührend gestaltet die Vermählungsszene als schwer Verwundeter im letzten Akt. Der bereits erwähnte Graf von Nevers wurde von Marc Barrard mit großer Glaubwürdigkeit verkörpert, ebenso wie der unnachgiebige Vater Valentines, Saint-Bris, der von Derek Walton mit kernigem Bassbariton gestaltet wurde. Verdientermaßen großen Applaus erhielt Irene Roberts für ihre fabelhafte Interpretation in der Hosenrolle des Pagen Urbain: Eine jugendlich frische, sprühende Stimme voller bezaubernden Charmes. Neben diesen ausgezeichnet besetzten sieben Protagonisten überzeugten auch die Interpretinnen und Interpreten der kleineren Partien, welche allesamt sehr gut besetzt waren: Ben Wager als Nachtwächter, Adriana Ferfezka und Abiail Levis als Katholische Mädchen und Hofdamen, Paul Kaufmann, Andrew Dickinson, John Carpenter, Alexei Botnarciuc und Stephen Bronk als katholische Edelleute, Robert Watson als Bois-Rosé.
Doch wie inszeniert man diesen großen (Aufführungsdauer inklusive zweier Pausen fünf Stunden und 20 Minuten) „Schinken“? Der Regisseur David Alden spricht im Programmheft von Meyerbeer zwar als „Großvater des Broadway Musicals“, doch seine Inszenierung hat nichts Spektakuläres an sich. Das muss zwar nicht a priori ein Nachteil sein, aber leider schleppt sich die Aufführung szenisch ziemlich kraft- und saftlos dahin, mit zum Teil beängstigend konventioneller Operngestik. Immer wieder wird der Tableau-artige Charakter des Werks betont, aber diese Tableaus sind ziemlich steif und uninspiriert geraten. Das doch eher hässliche Einheitsbühnenbild von Giles Cadle trägt nicht gerade zur Erhellung bei: In einer kalten Scheune versammeln sich die beiden Glaubensrichtungen, für die Szenen mit Marguerite oder dem Fest bei Nevers werden Tapetenwände oder Rokoko-Leuchter vom Bühnenhimmel gesenkt und für die Szene bei Marguerite wird eine Badewanne hochgefahren, im dritten Akt wird die Bühne mit Kirchenbänken bestückt, welche dann in eine dekorative Unordnung geraten, immer mal wieder werden gigantische Karusselpferde aus Marmor hereingefahren (selbst Pegasus ist darunter – warum auch immer), das riesige Scheunentor im Hintergrund öffnet und schließt sich für Auftritte des Chores, der Pferde, des Kampfgetümmels. Im Haus von Saint-Bris zieren Gemälde von Renaissance-Fürsten die Tapetenwand. Im letzten Akt dann findet die Inszenierung doch noch zu starken Bildern: Die hässliche gelbe Dachkonstruktion der Sekten-Scheune mit der unheilvollen Glocke senkt sich, die Kirche schützt die Gläubigen nicht länger sondern pfercht sie erbarmungslos ein, verhindert jegliche Fluchtmöglichkeiten. Auf den Dachschrägen haben die Katholiken drei Kreuze errichtet – das erinnert an Golgatha (Raoul, Valentine und Marcel befinden sich auf dem Dach). Doch wenn dann die drei Kreuze entflammt werden, denkt man unweigerlich an die unseligen, mörderischen Übergriffe des Ku Klux Klans. Alden hat laut eigenen Aussagen auf Allgemeingültigkeit der Handlung gesetzt, was in dem durchaus gelungenen Kostümmix (Constance Hoffmann) geschmackvoll umgesetzt ist. Zudem hat er genau auf die musikalische Stilmischung Meyerbeers gehört und versucht den leichteren, höfischeren Tonfall der beiden ersten Akte szenisch umzusetzen. Doch heraus kam da eine ziemlich fade Offenbachiade, man wippte zum Takt der Musik mit den Füssen, ein Hauch von Folies Bergère wehte herein und verpuffte wirkungslos. Die Handlung blieb einem fremd und interessierte so umgesetzt nicht wirklich.
Am Ende tosender Applaus für die Sängerinnen und Sänger, den eindrucksvoll und mit intensiver Klangpracht singenden Chor und Extra-Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Raymond Hughes), den Dirigenten und das Orchester, etwas verhaltener der Beifall (mit vereinzelte Buhs) für das Inszenierungsteam.
Inhalt:
Die Oper spielt zur Zeit der Hugenottenkriege im 16. Jahrhundert in Frankreich, im Zentrum steht insbesondere das Massaker der Bartoholomäusnacht mit über 20000 abgeschlachteten Protestanten in ganz Frankreich vom 23. auf den 24. August 1572 (Pariser Bluthochzeit, Vermählung von Marguerite de Valois, der Schwester des französischen Königs Charles IX. mit dem protestantischen Henri von Navarra, dem späteren König Henri IV.)
Mit Ausnahme von Marguerite von Valois sind alle Personen der Oper fiktiv.
Der katholische Graf Nevers hat den Hugenottenführer Raoul de Nangis auf sein Schloss geladen, um mit ihm auf Befehl des Königs eine Versöhnung anzustreben, zum Entsetzen des Dieners von Raoul, Marcel, der die Papisten von Grund auf hasst. Raoul schwärmt anlässlich des Banketts von einer unbekannten Schönen, welche ihm in einer Notlage zur Seite stand. Und diese Schöne erscheint dann tatsächlich auch im Schloss des Grafen Nevers: Es ist Valentine, die Tochter des Hugenottenhassers Saint-Bris. Raoul vermutet, dass sie die Geliebte von Nevers sei. In Wirklichkeit ist sie zwar mit Nevers verlobt, will diese von ihrem Vater aufgezwungene Verbindung jedoch lösen. Der Page von Marguerite de Valois, Urbain, überbringt Raoul eine Einladung seiner Herrin.
Marguerite will zwischen den verfeindeten Religionen Frieden stiften, sie ist ja auch mit einem Protestanten verlobt, Henri von Navarra. Marguerite schlägt Raoul eine Ehe mit Valentine vor. Doch Raoul lehnt beleidigt ab, da er immer noch meint, Valentine sei die Geliebte Nevers'.
In einer grossen Volksszene am Ufer der Seine in Paris treffen die verfeindeten Gruppen aufeinander. Nevers prahlt mit seiner Vermählung mit Valentine. Marcel überbringt Nevers eine Forderung zum Duell von Raoul. Valentine belauscht eine Unterhlatung ihres Vaters Saint-Bris mit Maurevert, welche Raoul in einen Hinterhalt locken und ermorden wollen. Sie weiht Marcel in die Absichten der beiden ein. Bewaffnete Soldaten stürmen den Platz. Das Erscheinen Marguerites verhindert im letzten Moment ein Blutbad. Raoul erkennt, dass er sich in Valentine getäuscht hat und sie ihn tatsächlich liebt.
Raoul und Valentine sprechen sich aus. Als sie Saint-Bris nahen sehen, versteckt sich Raoul. Er hört mit, wie Saint-Bris seine Anhänger aufhetzt und dabei den Willen der Königinmutter, Katharina von Medici, verkündet, alle Ketzer seien niederzumetzeln. Mönche segnen die Schwerter der katholischen Fanatiker. Raoul hat in seinem Versteck alles mitbekommen und will seine Freunde warnen. Valentine befürchtet, dass es dazu zu spät sei. Die beiden gestehen sich ihre Liebe. Da läuten die Glocken von Saint-Germain – das Zeichen zum Beginn des Blutbads.
Im Ballsaal des Hôtel de Nesle ist die Vermählung von Marguerite mit Henri von Navarra in vollem Gange. Natürlich sind viele protestantische Anführer geladen. Raoul stürzt verwundet herein und berichtet von der Ermordung des Hugenottenführers Coligny und vom Gemetzel auf den Strassen von Paris. Die Protestanten greifen zu den Waffen, um ihren Glaubensbrüdern und -schwestern beizustehen. In den Wirren der Bartholomäusnacht sucht Valentine nach Raoul. Sie ersucht ihn zu konvertieren, um sein Leben zu retten. Marcel berichtet, dass Graf Nevers, der ihm beistehen wollte, von den Katholiken ermordet wurde. Nun ist Valentine entschlossen, dem Katholizismus abzuschwören und ihren Glauben zu wechseln. Marcel segnet die beiden Liebenden in der Kapelle des Friedhofs. In diesem Versteck halten sich viele hugenottische Frauen und Kinder auf. Die Katholiken umstellen die Kapelle und fordern die Hugenotten auf, ihrem Glauben abzuschwören. Doch Raoul hat eine Vision, wie er als Märtyrer von den himmlischen Heerscharen empfangen werden wird.
Saint-Bris will erbarmungslos mit Schwert und Feuer sämtliche Hugenotten ausrotten. Er trifft auf Raoul, Marcel und Valentine, erkennt aber seine Tochter nicht und als die drei sich als „Huguenots“ zu erkennen geben, lässt er sie niederstechen. Zu spät erkennt er seine Tochter, welche ihrem Vater sterbend verzeiht. Urbain verkündet die Ankunft der Königin von Navarra, welche das Blutbad beenden will. Doch der Pöbel stimmt weiterhin die katholischen Schlachtrufe an.
Werk:
Nach dem überwältigenden Erfolg von ROBERT LE DIABLE perfektionierte Meyerbeer das Genre der Grand Opéra mit LES HUGUENOTS weiter. Die Uraufführung des Monumentalwerks dauerte weit über fünf Stunden. Das neue Werk wurde zuerst nicht ganz so stürmisch gefeiert wie ROBERT LE DIABLE, doch in den Folgevorstellungen setzte sich diese Oper immer stärker durch. Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert wurden allein in Paris über 1000 Vorstellungen der HUGENOTTEN gezählt. Auch im restlichen Europa und in Übersee wurde diese Oper aussersordentlich populär. Die Massenszenen mit ihren gigantischen Ausmassen an Klangmagie und szenischem Aufwand, die virtuosen Arien, der Einbezug des Luther-Chorals Eine feste Burg ist unser Gott als „Leitmotiv“ von Marcel und die spannende, hochdramatische Handlung verfehlten ihre packende Wirkung nicht. Erst der zunehmende Antisemitismus gegenüber dem Komponisten Meyerbeer (auch geschürt durch Richard Wagners Schriften, welcher zuerst Meyerbeer hofiert hatte, um seinen RIENZI in Paris durchzusetzen und sich später vehement gegen Meyerbeer geäussert hatte, ebenso wie Robert Schumann, welchem diese Opern mit ihren musikalischen und szenischen Brutalitäten ein Gräuel waren).
Die in den letzten Jahren zu beobachtende erfreuliche (wenn auch vorerst noch etwas zaghafte) „Wiederentdeckung“ von Meyerbeers einstigen Strassenfeger-Opern bietet den Liebhabern des Musiktheaters die Gelegenheit zu überprüfen, ob diese Grand Opéras im 21. Jahrhundert erneut repertoirtauglich werden könnten.
Musikalische Höhepunkte:
Plus blanche que la blanche hermine, Romanze des Raoul, begeltet von einer Viola d'amore, Akt I
Pif, paf, pif, paf, Hugenottenlied von Marcel, Akt I
Nobles seigneurs, Arie des Urbain, Akt I
O beau pays de la Touraine, Koloraturarie von Marguerite, Akt II
Ah! Si j'étais coquette, Duett Raoul-Marguerite, Akt II
Volksszene, Akt III, mit den kunstvoll aufeinander prallenden Chormassen und dem Septett
Schwerterweihe, Akt IV
Tu l'as dit: oui tu m'aimes, Duett Valentine-Raoul, Akt V