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Berlin, Deutsche Oper: L'ARLESIANA, 24.02.2018

Erstellt von Kaspar Sannemann | | L'Arlesiana

Francesco Cilea (1866-1950)

Dramma lirico in drei Akten | Musik: Francesco Cilea | Libretto: Leopoldo Marenco, nach Alphonse Daudets L'ARLESIENNE | Uraufführung: 27. November 1897 in Mailand | (konzertante) Aufführungen in Berlin: 21.2. | 24.2.2018

Kritik: 

Oftmals beschleicht einen nach einem Opernabend (mit nicht nachvollziehbarem Inszenierungskonzept ...) das Gefühl „konzertant hätte auch gereicht“ – und dann wird einem eine konzertante Aufführung einer selten gespielten Oper geboten, und man spürt sofort das unstillbare Verlangen, das Werk inszeniert auf der Bühne erleben zu dürfen. So geschehen gestern Abend in der Deutschen Oper Berlin, wo die konzertante Aufführung von Francesco Cileas L’ARLESIANA triumphale Begeisterung auslöste. Die in dieser Oper angelegten Konflikte (sexuelle Obsession eines Jünglings durch ein Mädchen aus der „Großstadt“, Vernachlässigung des geistig behinderten Kindes durch die Mutter, Aberglaube, Vorahnungen, Neid, Eifersucht, „Aufopferung“ einer Lichtgestalt) schreien geradezu nach szenischer Umsetzung, umso mehr als die Partitur Cileas mit ihrer tonmalerischen Sprache, den zarten und innigen Lyrismen, welche schon stark impressionistisch geprägt sind und den scharfen dramatischen Zuspitzungen und emotionalen Kulminationspunkten für einen farbenreichen Klangteppich sorgen, auf dessen Fundament das bewegende Drama seinem unentrinnbaren tragischen Ende entgegenströmt. Für dieses orchestrale Fundament sorgte das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Paolo Arrivabeni, welches sowohl mit seiner Gesamtleistung als auch mit wunderschön herausgearbeiteten solistischen Passagen (Oboe, Flöte, Celesta, Solovioline) dem soghaften Zauber der Partitur mehr als gerecht wurde. Mag auch die Ouvertüre zu Beginn noch etwas trocken durchbuchstabiert geklungen haben, so entwickelte Paolo Arrivabeni aus den Motiven dann im Verlauf des Abends immer größere Bögen, lenkte das Ohr auf die charaktervollen Leitthemen, vermochte in den Vor-, Nach- und Zwischenspielen echte Rührung zu bewirken. (So z.B. im dritten Akt, wo die Mutter Rosa ihren geistig behinderten Sohn zu ersten Mal zärtlich in ihre Arme schließt, ihn küsst.)

Im Zentrum des Interesses stand natürlich der Startenor Joseph Calleja als Federico – die Rolle, welche für den Interpreten der Uraufführung, Enrico Caruso, einst der Durchbruch zu seiner Weltkarriere dargestellt hatte. Calleja beeindruckte mit seinem herrlichen Timbre, seiner exquisiten Phrasierung, den strahlenden Höhen, ließ an tenoralem Schmelz und Aplomb keine Wünsche offen. Natürlich geriet das Bravourstück der Oper, sein Lamento im zweiten Akt, zu einem überwältigenden, die Effekte wuchtig auskostenden Showstopper, auch wenn ich persönlich die etwas introvertiertere Interpretation z. B. eines Tagliavini bevorzuge, da man Calleja die Todessehnsucht im strahlenden Forte nicht so ganz abnahm. Ausgezeichnet lotete Calleja hingegen die obsessiven Seiten des Federico aus, die Verunsicherung des jungen Mannes, spielte auch mit seinem unwiderstehlichen Charme, seiner grandiosen Präsenz. Gerade diese Präsenz ließ der zweite Star des Abends, die seit Jahrzehnten weltweit von Wien über die Scala zur Met gefeierte Mezzosopranistin Dolora Zajick vermissen. Natürlich ist ihre lodernde Stimme noch immer eine Wucht, rührt tief im Brustregister und vermag dramatisch zugespitzt zu explodieren. Doch Frau Zajick klammerte sich während der ersten beiden Akte verkrampft an ihren Notenständer, der Blick richtete sich nie ins Publikum, vermochte nicht, einem die verzweifelte Lage der überforderten Mutter Rosa näher zu bringen. Erst nach der Pause schien sie gelöster und in der bewegenden Szene mit ihrem geistig behinderten Sohn (er kriegte in der Oper keinen Namen, wird nur „L’Innocente“ genannt) keimte dann zum ersten Mal etwas Empathie mit dieser Frau auf, indem sie eben den Blick mal in den Saal richtete. Hervorragend vermochte Frau Zajick dann die Qualen der Mutter in ihrer großen Arie im dritten Akt zu vermitteln, indem sie ihrer Stimme neben den herrlich orgelnden Tönen auch gekonnt einen Hauch von Brüchigkeit beimischte. Als L’Innocente durfte man der jungen Mezzosopranistin Meechot Marrero begegnen (sie ist Stipendiatin des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin): Im Gegensatz zu ihrer arrivierten Kollegin ging Frau Marrero vollkommen in ihrer Rolle auf, zeigte mit ihrer mimischen Präsenz auch in den Momenten, wo sie nichts zu singen hatte ihre Identifizierung mit der Partie. Atemberaubende Momente bescherte Mariangela Sicilia in der Rolle der Vivetta. Welch eine wunderschöne, zutiefst ans Herzen rührende Sopranstimme, herrlich blühend, ein phantastisch warmes Timbre und dazu ebenfalls eine im Rahmen einer konzertanten Aufführung sehr eindringliche Bühnenpräsenz. So geriet gerade auch das Duett mit Joseph Calleja zu Beginn des dritten Aktes zu einem Höhepunkt des Abends, da beide Sänger quasi mit Haut und Haar in ihren Rollen waren. Wunderbar balsamisch sang Markus Brück die wichtige Rolle des Hirten Baldassare, dessen Erzählung von der freiheitsliebenden Ziege am Beginn der Oper so symbolhaft wichtig für den Fortgang der Handlung ist. Die plastische Gestaltung dieser Erzählung durch Markus Brück kulminierte im Ausruf „il sol“ mit einer Kraft, welche Gänsehaut hervorrief. Seth Carico als Metifio verkörperte mit faszinierender Eindringlichkeit das böse, heimtückische Element der Oper – seine beiden Auftritte hinterließen nachhaltigen Eindruck. Genauso wie die geradezu himmlische Sonorität und vielversprechende Klangqualität des Basses von Byung Gil Kim (WCN Stipendiat Südkorea) als Onkel Marco. Der Chor der Deutschen Oper Berlin wurde von Jeremy Bines auf seine wichtige Aufgabe vorbereitet und vermocht gerade mit seinen a bocca chiusa gesungenen Einwürfen aus der Ferne stimmungsvolles Kolorit zu evozieren, ein Effekt, welchen Puccini sieben Jahre später in seiner MADAMA BUTTERFLY ebenfalls einsetzte.

Fazit: Phantastisches, eindringliches Plädoyer für eine zu Unrecht vernachlässigte Oper, die zumindest zurück ins Nebenrepertoire gehört!

Inhalt:

Die Oper spielt auf dem Gut der Witwe Rosa, die dort mit ihren beiden Söhnen Federico und dem geistig zurückgebliebenen L'Innocente wirtschaftet. Der Hirte Baldassare erzählt zu Beginn L'Innocente vom langen, vergeblichen Kampf einer Ziege gegen einen Wolf – diese Geschichte dient als Metapher (Vergeblicher Kampf gegen übermächtige Bedrohung) für das nachfolgende Geschehen. Federico ist nämlich besessen von einer jungen Frau aus der „Grossstadt“ Arles. Diese femme fatale tritt in der Oper zwar nicht auf, hat auch keinen Namen, ist aber als L'Arlesiana omnipräsent. Federico ist fest entschlossen, sie gegen den Willen seiner Mutter Rosa zu heiraten. Rosa hingegen würde lieber eine Verbindung Federicos mit ihrem Patenkind Vivetta sehen. Als Federicos Onkel Marco nur Gutes über L'Arlesiana berichtet, bleibt Rosa nichts anderes übrig, als der Vermählung zuzustimmen. (Sie sieht zuvor noch, wie L'Innocente auf dem Heuboden balanciert und hat dürstere Vorahnungen, dass jemand von da oben zu Tode kommen könnte.) Doch mitten in die freudigen Hochzeitsvorbereitungen platzt Metifio, der Stallbursche, und erklärt Rosa, er sei der Liebhaber der Arlesiana. Als Beweis händigt er Rosa und Baldassare einige Liebesbriefe aus. Federico erkennt, dass ihn L'Arlesiana belogen hat.

Federico hat sich zu den Schafherden geflüchtet. Er liest nochmal die Liebesbriefe. L'Innocente ist bei ihm und murmelt Sätze aus der Parabel der Ziegengeschichte des Baldassare. Federico erkennt sich im aussichtslosen Kampf der Ziege selbst und singt sein berühmtes Lamento. Vivetta findet Federico und gesteht im ihre Liebe, wird jedoch von Federico abgewiesen. Nun erteilt Rosa wiederum ihre Zustimmung zur Vermählung mit der Arlesiana. Federico ist gerührt, will nun aber doch eine Frau heiraten, die „seiner würdig“ sei. Er bittet Vivetta als seine Frau ihn von der fatalen Besessenheit mit dem Mädchen aus Arles zu befreien.

Zu Beginn des dritten Aktes beteuern Federico und Vivetta ihre gegenseitige Liebe. Metifio enthüllt Baldassare, dass er vorhabe L'Arlesiana zu entführen. Federico hört dieses Gespräch zufällig mit und seine Besessenheit erwacht erneut. Er versucht Metifio zu erschlagen, doch Rosa trennt in letzter Sekunde die beiden Männer. Rosa beklagt ihr Schicksal, das harte Los einer Mutter. L'Innocente erwacht und erscheint plötzlich viel verständiger zu sein. Rosa umarmt ihren behinderten Sohn, den sie immer vernachlässigt hatte. Gleichzeitig ist sie besorgt über die „Gesundung“ - denn wie ein Aberglaube sagt, bringe ein Schwachsinniger einem Haushalt Glück. Nun hat sie dunkle Vorahnungen. Endlich schläft Rosa gegen Morgen ein, da ihr L'Innocente versichert, auf Federico aufzupassen. Der jedoch ist nun selbst halb irre geworden, stolpert auf dem Hof herum, wiederholt ständig die Geschichte von der Ziege des alten Hirten. Schliesslich erklimmt er den Heuboden und stürzt sich in den Tod.

Werk:

Zusammen mit Komponisten wie Mascagni, Leoncavallo, Catalani, Franchetti und Giordano gehörte Francesco Cilea (1866-1950) zu der Gruppe von Komponisten, welche aus dem Schatten des Übervaters der italienischen Oper - Giuseppe Verdi - traten und mit ihrem veristischen, neo-belkantesken Stil die Opernbühnen ihrer Heimat eroberten. Die Pastorale L'ARLESIANA steht nur auf den ersten Blick etwas quer in der vom Verismo geprägten Opernlandschaft des ausgehenden 19.Jahrhunderts. Denn auch in ihr spielen fatale Eifersucht und Besessenheit die zentrale Rolle. Die Uraufführung in Mailand geriet zu einem ansprechenden Erfolg, nicht zuletzt auch, weil der junge Enrico Caruso die Rolle des Federico sang. Die Oper hatte jedoch keinen wirklich dauerhaften Erfolg – im Gegensatz zu seiner darauf folgenden ADRIANA LECOUVREUR. Cilea arbeitete L'ARLESIANA deshalb mehrmals um. In der Mussolini-Ära wurde sie wieder öfter aufgeführt, da Mussolini Aufführungen von Komponisten aus Ländern verbot, welche Italien wegen der Besetzung Äthiopiens boykottierten. Die Oper L'ARLESIANA bietet aber neben dem berühmten Lamento des Federico im zweiten Akt (einem mit seinem Lyrismus an Bellini gemahnenden Paradestück für sensible Tenöre) noch viel mehr an musikalischen Kostbarkeiten, so die Arie der Rosa und das grandiose Quartett im dritten Akt. Überhaupt hat es Cilea verstanden, sehr eingängige, das rurale Milieu genau und sehr lyrisch zeichnende Melodien zu komponieren, in dem dann die dramatischen Wendungen umso effektvoller klingen.

Für die Uraufführung des Theaterstücks von Alphonse Daudet hatte Geroges Bizet übrigens seine weltbekannte Bühnenmusik komponiert.

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