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Berlin, Deutsche Oper: LA RONDINE, 29.04.2017

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Rondine

copyright: Bettina Stoess, mit freundlicher Genehmigung Deutsche Oper Berlin

Lyrische Komödie in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Giuseppe Adami, nach DIE SCHWALBE von Alfred Maria Willner und Heinz Reichert | Uraufführung: 27. März 1917 in Monte Carlo | Diese Wiederaufnahme an der Deutschen Oper Berlin: 29.4. | 1.5. | 6.5.2018

 

Kritik:

„Wen interessiert’s!“, singt Ruggero einmal im dritten Akt, als Magda Anspielungen auf ihre nicht ganz so lupenreine Vergangenheit macht. Wen interessiert’s? fragt man sich auch als Zuschauer dieser so selten gespielten Oper Puccinis bis weit in den letzten Akt hinein. Denn irgendwie kommt die Produktion nicht vom Fleck, der Funke vermag nicht überzuspringen und das Interesse an dieser lyrischen Komödie zu wecken. Das liegt bestimmt nicht an Puccinis Musik, denn seine Partitur bietet ein Füllhorn melodischer Einfälle, reizende und sentimentale Passagen, interessante Rhythmen, delikate Instrumentation, wunderbare Mischungen von Klangfarben, Harmonien und Dissonanzen. Roberto Rizzi Brignoli und das Orchester der Deutschen Oper Berlin tun denn auch alles in ihrer Macht stehende, um diese Klänge aus dem Graben mit all ihrer funkelnden Pracht zum Leuchten zu bringen. Als Regisseur hatte man für diese Produktion, welche vor gut zwei Jahren Premiere feiern durfte, keinen Geringeren als den Startenor Rolando Villazón verpflichtet. In der Ausstattung von Johannes Leiacker (Bühne) und Brigitte Reiffenstuel (sehr schöne Kostüme) verlegte Villazón die Handlung von der Belle Époque in die roaring twenties, wollte sie also etwas näher an unsere Zeit bringen, sie dadurch weniger „operetten- oder märchenhaft“ wirken lassen. Viel mehr Interesse vermag er aber mit diesem Vorgehen nicht zu wecken, nun weht einfach ein Hauch von Bob Fosses CABARET durch den Raum. Zudem versetzt das Inszenierungsteam das Ganze mit expressionistischen Elementen (der gigantische weibliche Akt, der den Salon im Hause des Bankiers Rambaldo ziert, löst sich im Cabaret des zweiten Aktes in einzelne, um sich selbst drehende Elemente auf und erscheint im dritten Akt wie von Magritte verfremdet als Wolkenhimmel über der Riviera wieder). Dazu gesellen sich Ausflüge in den Surrealismus eines Dalí (ein gestrandetes Boot im Landhaus der Riviera, eine Riesenschneckenhaus, eine Muschel, Sand). Oft lässt er das Bild einfrieren, umgibt Magda mit drei rätselhaften, weiß gekleideten Männern mit Fechtmasken auf dem Kopf. Dieses Rätsel löst Villazón dann allerdings im dritten Akt endlich auf: Es sind die verlassenen Liebhaber Magdas. Bei ihrer nun vollzogenen, emanzipatorischen Trennung von Ruggero setzt sie diesem auch eine solche Maske auf, er reiht sich also in die Galerie ihrer Verflossenen ein, wird auch zu einem (sie beschützende?) Geist, oder zu einem Gespenst der Vergangenheit, einem dieser Gespenster, die man nie ganz los wird. Magda jedoch entschwebt - wie der Titel der Oper (LA RONDINE – die Schwalbe) insinuiert -gleich einer Schwalbe zusammen mit ihren drei Freundinnen und der Kammerzofe Lisette in die weibliche Selbstbestimmung, die Freiheit, jenseits von Familienglück, Kindern und anderen Zwängen. Und so kriegt die Inszenierung dann noch die Kurve und vermag ganz am Schluss doch leichtes Interesse zu wecken – so ganz im Sinne von besser spät als nie.

Wie oft (oder immer?) bei Puccini vermögen die Frauengestalten am stärksten zu beeindrucken, so auch hier. Cristina Pasaroiu gibt eine überzeugende Magda, ihr Timbre klingt voll, satt, erotisch und in der Höhe wunderbar aufblühend. Nicht ganz so durchschlagend ist sie in den vielen Parlando-Passagen des ersten Aktes, da fehlt es ihr etwas an ausdrucksstarker Tiefe. Quirlig und soubrettenhaft lustig, mit pointiert geführter, heller Stimme gibt Alexandra Hutton die Lisette. Ständig wechselt sie die Kostüme, ist mal Kammerzofe, dann Garçonne, dann (nach gescheiterter Karriere als Sängerin) gereift zur eleganten Dame. Ganz fantastisch in Spiel und Gesang auch die drei Freundinnen Magdas aus ihrem Salon, Yvette, Bianca und Suzy (Lisa Mostin, Meechot Marrero, Abigail Levis). Von den beiden Tenören überzeugt Álvaro Zambrano mit seinem weich geführten, leicht und sauber ansprechenden Tenor als Dichter Prunier (wenngleich etwas überdreht gespielt, aber da scheint die Handschrift Villazóns deutlich auf!) weit mehr als der Primo Uomo Ruggero von Vincenzo Costanzo. Costanzo verfügt zwar über eine schöne, bronzefarbig und sonor klingende Mittellage, forciert jedoch in der Höhe manchmal zu stark, was zu unschöner Intonation und gequetschtem Klang führt. Auch darstellerisch bleibt er ziemlich blass. Mit vornehmer Zurückhaltung und Eleganz gibt Stephen Bronk den Bankier Rambaldo.

Puccini wollte eine lyrische Komödie schreiben (Zitat: „Eine Operette werde ich nie schreiben. Eine komische Oper ja, wie ROSENKAVALIER, aber unterhaltender und organischer.“) Nun, kürzer als Strauss’ /Hofmannsthals Meisterwerk (DER ROSENKAVALIER kommt auf die doppelte Spieldauer von LA RONDINE ...) ist Puccinis Ausflug in diese Sparte geworden, das schon. Aber unterhaltender eher nicht. Dazu hätte es eines Librettisten bedurft, der sich mehr auf dramatische Zuspitzung und sprachliche Finessen verstanden hätte. So ist es also auch kein Wunder, dass Puccinis LA RONDINE (wie auch seine Frühwerke EDGAR und LE VILLI) zu den selteneren Gästen auf den internationalen Opernbühnen geworden ist.

Inhalt:

Zeit und Ort: Second Empire, Paris und Côte d'Azur

Die Mätresse Magda lebt beim Bankier Rambaldo, von dem sie sich aushalten lässt. Der Dichter Prunier, ein Freund ihrer Kammerzofe Lisette, ist zu Besuch und entwirft das Idealbild einer romantischen Liebe. Die anwesenden Damen verspotten den Dichter, nur Magda stellt sich auf seine Seite. Rambaldo tritt hinzu und schenkt Magda eine kostbare Kette. Ihre Freundinnen sind begeistert und loben Rambaldos Grosszügigkeit. Prunier will nun Magda aus der Hand lesen. Er prophezeit ihr das schwerelose Leben einer Schwalbe an der Sonne, mit tragischem Ende. Ruggero tritt auf, der Sohn eines alten Freundes von Rambaldo. Lisette zeigt dem Neuankömmling den Weg zu einem Nachclub in Paris, in dem sich der in der Grossstadt Unerfahrene bestimmt wohlfühlen wird. Lisette und Prunier gestehen sich ihre Liebe. Magda kommt zurück und findet auf einem Papier den Namen des Nachtclubs. Sie verkleidet sich als Grisette (Mädchen aus der Unterschicht mit etwas anrüchigem Lebenswandel) und verlässt das Haus in Richtung Nachtclub.

Im Ballsaal des „Bullier“ sitzt Ruggero schüchtern an einem Tisch. Magda tritt auf, wird sofort umschwärmt, doch sie weist alle ab und steuert auf Ruggeros Tisch zu. Nach kurzer Unterhaltung tanzen sie zusammen. Lisette und Prunier erscheinen, sie erkennen Magda, die aber nicht erkannt werden will, da sie in Ruggero ihre romantische Liebe entdeckt zu haben glaubt. Während sie sich leidenschaftlich küssen, erscheint Rambaldo. Nachdem Rambaldo Magda eine Szene gemacht hat, erklärt Magda die Beziehung zu Rambaldo für beendet. Ruggero nimmt sie in den Arm und gemeinsam verlassen sie das „Bullier“.

Ohne Geld leben Magda und Ruggero nun in der Nähe von Nizza. Ruggero hat seinen Vater um Geld und die Einwilligung zur Hochzeit mit Magda gebeten. Diese hat jedoch Gewissensbisse, da sie Ruggero nichts von ihrer Vergangenheit als Mätresse erzählt hat. Ruggero träumt von einer idyllischen Vision der bürgerlichen Familie. Lisette und Prunier treten ins Haus. Lisetts Karriere als Sängerin hat nicht funktioniert und sie möchte ihren alten Job als Dienerin Magdas zurück. Magda stellt sie wieder ein. Ruggero bringt einen Brief seiner Mutter, welche der Verbindung mit Magda ihren Segen erteilt. Magda offenbart Ruggero nun ihre Vergangenheit. Ruggero verzeiht ihr alles. Doch Magda sieht keine Zukunft mit Ruggero und verlässt, von Lisette gestützt, den am Boden zerstörten Ruggero.

Werk:

Die Uraufführung von LA RONDINE in Monte Carlo war die letzte Uraufführung, welche Puccini selbst miterlebte. (Für IL TRITTICO konnte er so kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht nach New York reisen, TURANDOT wurde erst nach seinem Tod uraufgeführt.) Die Entstehung von LA RONDINE fiel mitten in die Wirren des Weltkriegs. Ursprünglich hätte er die Oper für Wien komponieren sollen, die Verträge waren unter Dach und Fach. Doch als Italien 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatte, war an eine Aufführung in Wien nicht mehr zu denken. Die Franzosen lehnten eine Aufführung ebenfalls ab, da LA RONDINE vom Feind in Auftrag gegeben worden war. So kam es schliesslich zur Aufführung in Monte-Carlo. Puccinis Verleger, Ricordi, wollte LA RONDINE nicht herausbringen, und bezeichnete die Oper als „schlechten Léhar“. So verkaufte Puccini die Partitur and Ricordis Konkurrenten Sonzogno. Puccini selbst bezeichnete seine Oper als „Reaktion auf die grauenvolle Musik der Gegenwart“. Und tatsächlich, in LA RONDINE herrscht eine geradezu anachronistische Melodienseligkeit vor, die Grauen des tobenden Weltkriegs finden keinerlei Nachhall in Puccinis Werk. Die Uraufführung war eigentlich sehr erfolgreich, das Werk wurde in Italien und Südamerika gleich nachgespielt. Und doch – den ganz grossen Durchbruch hat diese Oper nie ganz geschafft. Puccini hat sich bewusst dagegen gewehrt, LA RONDINE als Operette zu bezeichnen. Ihm schwebte eher etwas im Stil von Strauss'DER ROSENKAVALIER vor, nur etwas kompakter. Obwohl die Autoren der Vorlage, Willner und Reichert, erfahrene Librettisten waren (DER GRAF VON LUXEMBURG, ZIGEUNERLIEBE, DAS DREIMÄDERLHAUS) tat sich Puccinis Librettist Adami eher schwer mit dem Stoff, die Handlung wirkt relativ kompliziert. Puccini jedoch setzte sich mit dem Ende durch, das in seiner melancholischen Melodramatik ganz stark geraten ist und wo sich Magda wahrlich nicht hinter der Marschallin aus dem ROSENKAVALIER zu verstecken braucht.

Die Arie Il sogno di Doretta ist das bekannteste Stück aus LA RONDINE und fehlt auf kaum einem Rezital der grossen Sopranistinnen. Sehr empfehlenswert ist die Gesamtaufnahme unter Molinari-Pradelli mit der überragenden Anna Moffo als Magda und Graziella Sciutti als Lisette.

Karten

 

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