Amsterdam: BILLY BUDD, 13.03.2011
Oper in zwei Akten (ursprünglich in vier Akten mit Prolog und Epilog) |
Musik: Benjamin Britten |
Libretto: E.M.Forster und Eric Crozier (nach Herman Melville) |
Uraufführung: 1. Dezember 1951 in London |
Aufführungen in Amsterdam: 7.3. | 10.3. | 13.3. | 16.3. | 19.3. |22. 3. | 25.3. (Gay Date Night) | 28.3.2011
Kritik:
BILLY BUDD ist zweifelsohne eine der traurigsten, ergreifendsten Opern des gesamten Repertoires. Die Aufführung in Amsterdam (eine Übernahme aus Frankfurt) geht wahrlich unter die Haut, szenisch mit dem nötigen Respekt vor dem tief empfundenen Werk umgesetzt und musikalisch ungeheuer spannend dargeboten. Hervorragende Saenger und das wunderschön spielende Nederlands Philharmonisch Orkest unter der einfühlsamen Leitung von Ivor Bolton lohnen die Reise nach Amsterdam. In der Titelrolle berührt Jacques Imbrailo mit seinem warmen Bariton, John Mark Ainsley zeigt die tiefe Zerrissenheit des Captain Vere und Clive Bayley liefert eine eindringliche Charakterstudie des sadistischen, seine homosexuellen Neigungen so negierenden John Claggart.
Regisseur Richard Jones lässt das tragische Geschehen auf einem Ausbildungsschiff (und dies bevor die aktuellen Vorgänge auf der Gorch Fock publik wurden) spielen, Ausstatter Antony McDonald schuff dazu ein geniales Bühnenbild: Im Zentrum steht ein grosser Raum im Schiffsbauch, eine Art Turnhalle, in welcher die Mannschaft ihre täglichen Übungen absolvieren muss, beobachtet von den Offizieren, welche sich auf den Galerien aufhalten. Dieser Raum lässt sich nach links und rechts verschieben und gibt so den Blick auf die Mannschaftsunterkünfte und das Privatgemach des Captains frei. Die stickige Atmosphäre dieser Männergesellschaft, die unterdrückten oder aufgestauten sexuellen Gefühle werden genauestens eingefangen, die Matrosen stehen unter ständiger Beobachtung, es gibt selbst in den Duschräumen keine Privatsphäre. Man fühlt sich an Fassbinders Querelle oder Almodovars La mala educación erinnert. Hervorzuheben sind auch die ungemein genauen Charakterzeichnungen, welche dem Regisseur gelungen sind: Da ist z.B. Captain Vere, dieser Selbstverleugner, welcher sich bis zum bitteren Ende einredet, nur für König und Vaterland gehandelt zu haben, lieber Plutarch liest, als sich seinen Gefühlen zu stellen. John Mark Ainsley singt ihn wunderbar textverständlich mit geschmeidigem Tenor. Oder der an Jago gemahnende Bösewicht und Master-at-Arms John Claggert, der aufgrund seiner unterdrückten Homosexualität zum Sadisten mutiert, alles Schöne von dieser Welt hinwegfegen und zerstören will. Clive Bayley überzeugt mit einer grossartigen Charakterstudie und erzeugt geradezu Gänsehaut, wenn er seine Intrige gegen Billy in steif-verklemmter Haltung anzettelt. Dazwischen steht der naive Junge Billy: Er, der Schoenling, der nichts anderes will, als allen zu gefallen, in Stresssituationen zu stottern beginnt und sich dann halt nur noch mit körperlicher Aggressivität wehren kann. Jacques Imbrailo ist geradezu eine Idealbesetzung: Wamstimmig strömt sein leichter Bariton, er sieht blendend jungenhaft aus und ist sogar in athletischer Topform. Seinen Abschiedsmonolog, bevor er gehängt wird, gestaltete er mit ergreifender Intensität - unschuldiger und bewegender ist wohl kaum je auf der Opernbühne gestorben worden. Bis in die kleinsten Rollen hinein vermochte De Nederlandse Opera mit herausragenden Besetzungen aufzuwarten: Aufhorchen liessen u.a. Gwynne Howell als Dansker, Andrew Tortise als The Novice, Christopher Purves als Mr.Redburn und Jeroen de Vaal als Squeak. Ivor Boltons einfühlsames, die Stimmungen genau aufnehmendes Dirigat entlockte dem Nederlands Philharmonisch Orkest herrlich tiefgründige und lautmalerische Klänge voller Eindringlichkeit. Britten erwies sich einmal mehr als oft weit unterschätzter Opernkomponist - die standing ovation zum Schluss (obwohl dies in Amsterdam üblich zu sein scheint) galt nicht nur der grandiosen Wiedergabe, sie galt bestimmt auch dem Komponisten.
Inhalt:
Der alte Kapitän Vere erinnert sich an die Geschehnisse auf dem Kriegsschiff INDOMITABLE und an seinen Untergebenen Billy Budd:
Billy Budd, ein zwangsrekrutierter, hübscher, in Erregungszuständen stotternder Matrose, wird von den meisten geliebt, doch vom Master-at-Arms Claggert gehasst und schikaniert. Kapitän Vere, der für den jungen Matrosen mehr als blosse Zuneigung zu empfinden scheint, hält Billy jedoch für einen ehrlichen Seemann. Billy lässt sich nicht auf eine Meuterei ein, zu der er in tückischer Absicht überredet werden soll. Als Billy bemerkt, dass sein Gepäck durchsucht wurde, greift er zum Messer.
Da eine französische Fregatte gesichtet wurde, werden Gefechtsvorbereitungen getroffen. Nebel verunmöglicht jedoch Kampfhandlungen. Claggert klagt Billy beim Kapitän der Meuterei an. Vere besteht auf einer Gegenüberstellung. Billy verfällt ins Stottern. Seine Sprachlosigkeit zwingt ihn zu roher Gewalt, er trifft Claggert tödlich. Vor dem See-Kriegsgericht gesteht Billy die Tat. Gemäss Gesetz muss er hingerichtet werden. Die Mannschaft, die immer zu Billy gehalten hat, will aufbegehren, doch Billy Budd lässt sich mit dem Ruf Sternen-Vere, Gott schütze euch zur Hinrichtung führen.
Epilog: Den alten Kapitän quälen Selbstzweifel.
Werk:
Ein dramatisches, hochexplosives Kammerspiel in der stickigen, engen Atmosphäre einer reinen Männergesellschaft hat Britten mit BILLY BUDD komponiert. Das Meer, welches in Brittens Schaffen immer eine grosse Rolle spielte, verleiht in ausgedehnten Zwischenspielen der durchkomponierten Oper eine eindringliche, suggestive Kraft. Brittens Lebensgefährte, Peter Pears, sang in der Uraufführung die Rolle des Vere, Britten dirigierte selbst. Die Titelrolle sollte eigentlich von Geraint Evans gesungen werden, der sie jedoch zurück gab, da sie für ihn zu hoch lag. Er wurde durch Theodor Uppman ersetzt, welcher entscheidend zum grossen Erfolg des Werks beitrug. Viele grosse Baritone haben den Billy Budd seither erfolgreich verkörpert, u.a. Nathan Gunn, Rod Gilfry, Thomas Hampson, Simon Keenlyside und Bo Skovhus.