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Frankfurt, Oper: IN SEINEM GARTEN LIEBT DON PERLIMPLÍN BELISA, 22.03.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Fortner, Wolfgang

Copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Wolfgang Fortners selten gespielte erotische Oper

Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels | Musik: Wolfgang Fortner | Libretto: Enrique Beck, nach seiner Übersetung von Federico García Lorcas Drama DON PERLIMPLÍN CON BELISA EN SU JARDÍN | Uraufführung 1962 bei den Schwetzinger Festspielen unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch | Aufführungen in Frankfurt (Bockenheimer Depot): 22.3. | 24.3. | 27.3. | 30.3. | 2.4. | 4.4. | 7.4.2024

Kritik:

Es ist schon erstaunlich: Da denkt man immer, Zwölftontechnik in der Musik sei trocken, sei reine Mathematik, könne keine Emotionen oder Stimmungen evozieren - und dann sitzt man in einer Oper eines Repräsentanten und Verfechters ebendieser Kompositionstechnik und ist bass erstaunt über die atmosphärische Dichte dieser Musik. Wolfgang Fortner hatte zwar als Dreissigjähriger (vielleicht aus Angst vor der Verfolgung durch die Nazis, welche er als Homosexueller fürchten musste) die Zwölftontechnik Schönbergs noch kritisiert, wurde aber nach dem Krieg zu einem bedeutenden Vertreter dieser Kompositionsweise und verfasste auch eine weitherum beachtete Abhandlung darüber. Aber eigentlich braucht man diese Hintergründe gar nicht zu kennen und die beiden verwendeten Zwölftonleitern, die er Don Perlimplín und Belisa zugrundelegt, zu erahnen, um das Werk genießen zu können. Denn vor allem in den ausladenden Zwischenspielen entfaltet sich ein Zauber der Musik, der sich nur schwer in Worte fassen lässt. Diesem Zauber wird das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der souveränen und behutsamen Leitung von Takeshi Moriuchi aufs Allerschönste gerecht. Fortner hat seinen Erotischen Bilderbogen in der Art eines Kammerspiels orchestral erstaunlich groß besetzt: Neben den Streichern, Holz- und Blechbläsern und dem Schlagwerk u.a. mit Glocken und Vibraphon bereichern ein Cembalo, eine Celesta, eine Gitarre und die Harfe den Klang, welchen Takeshi Moriuchi immer sehr durchhörbar hält. Die Ouvertüre, die Serenaden, Madrigale und die Einspielungen der im Voraus aufgezeichneten Einwürfe des unsichtbaren Kammerchors (ein exzellentes Vokalensemble stand für die Aufnahme zur Verfügung) bildeten für mich die musikalischen Höhepunkte der Partitur und der Aufführung. 

Für die Stimme zu komponieren fiel nach Richard Strauss vielen Komponisten schwer. Sie flüchteten sich (aus Angst vor zu großen Emotionen?) oftmals in einen rezitativischen Sprechgesang mit komponierten Tonhöhen. Immerhin sind bei Fortners IN SEINEM GARTEN LIEBT DON PERLIMPLÍN BELISA einige ariose Aufschwünge und in der Partie von Belisas Mutter gar eine Koloraturarien-Parodie zu erleben. Anna Nekhames gestaltet die Rolle mit stimmlicher Akrobatik und umwerfender darstellerischer Spielfreude. Karolina Bengtsson als ihre Tochter Belisa begeistert bereits mit ihrem Auftrittslied, wo sie über die Liebe sinniert (wird im Hintergrund in der Form eines Liederabends auf Leinwand übertragen). Im Verlauf des Stücks, wo die Farce langsam in die Tragikomödie und dann in die individuelle Tragik kippt, zeigt sie immer wieder ihre Krallen, aber auch ihre Verletzlichkeit. Das ist auch stimmlich ganz wunderbar umgesetzt. Sebastian Geyer ist ein von A bis Z für sich einnehmender Don Perlimplín. Seine Stimme klingt herrlich rund und warm, ist sicher geführt und sein Spiel ist von zu Herzen gehender Natürlichkeit. Obwohl eine klassische Figur - die des schrulligen Alten - aus der Commedia dell’ Arte Pate gestanden haben mochte, wurde sie im Stück von Garcia Lorca, der Oper Fortners und vor allem in den Händen der Regisseurin Dorothea Kirschbaum nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Perlimplín ist hier ein pedantischer, asexuell lebender Mann in den besten Jahren, kleidet sich leicht effeminiert mit weit geschnittenen schwarzen Hosen und weich fließendem weißem Hemd. Ein kleiner, versteckter Hinweis auf eventuell verdrängte, nicht ausgelebte Homosexualität. Darauf lassen auch seine Blicke schließen, welche er den hier verfünffachten attraktiven Männern im der roten Uniformjacke zuwirft. Am Ende, nachdem er sich zum Suizid entschlossen hat, erscheint er locker modisch gekleidet und barfuß - eine große Last scheint von seiner Seele gefallen zu sein. Das ist alles sehr dezent und feinfühlig inszeniert von Dorothea Kirschbaum und unterstrichen durch die stimmige Kostümdramaturgie von Henriette Hübschmann. (Sowohl Fortner als auch Garcie Lorca waren homosexuell zur Zeit faschistischer Regimes in ihren Ländern. Während sich Fortner anzupassen versuchte, um ja nicht als Homosexueller aufzufallen, lebte Federico Garcia Lorca offener als scharf beobachtender, kritisch analysierender Künstler und Intellektueller. Lorca wurde 1936 auf offener Landstraße in der Nähe von Granada von einem Franquisten erschossen.) Vordergründig wird das Thema Homosexualität weder in Lorcas Theaterstück noch in Fortners Oper thematisiert, unterschwellig schimmert es durch, da Garcia Lorca immer wieder Figuren ins Zentrum seiner schriftstellerischen Arbeiten stellte, die an verdrängten Wünschen leiden und an nicht erfüllbaren Wertevorstellungen der Gesellschaft zerbrechen. 

Eine ganz wichtige Vertrauensperson für Don Perlimplín ist seine Haushälterin Marcolfa. Wie wichtig - und auch tragisch - diese Figur ist, erfahren wir in der Aufführung ganz am Schluss. Aber darüber möchte ich nichts verraten. Das haben die wunderbar warmstimmig singende Karolina Makula als Marcolfa und die Regisseurin Dorothea Kirschbaum sehr berührend hinbekommen und damit der Geschichte eine sinnige Wendung gegeben. Herrlich spielen die Koboldchen im Haushalt Don Perlimplíns - wie sie die sorgsam aufbereitete Ordnung im Bücherschrank Don Perlimplíns durcheinanderbringen,  ist unglaublich amüsant. Christoph Fischer hat ein ganz großartiges Bühnenbild für die offene Bühne des Bockenheimer Depots entworfen. In Zartrosa gehalten entwickeln die einzelnen variablen Elemente fast ein Eigenleben und lassen die Spielorte in Haus und Garten plastisch entstehen.

Man ist der Oper Frankfurt überaus dankbar dafür, dass sie ein Werk des einst recht erfolgreichen Komponisten Wolfgang Fortner dem allgemeinen Vergessen entreißt (ich persönlich kann mich nur an seine ELISABETH TUDOR mit Martha Mödl anfangs der 70er Jahre am Opernhaus Zürich unter Ferdinand Leitner erinnern, danach ist mir keines seiner Bühnenwerke in den letzten 50 Jahren meiner Opernbesuche mehr begegnet). 

Fazit: Eine Erst- oder Wiederbegegnung mit Fortners Musik lohnt sich durchaus - erst recht, wenn das so wunderbar stimmig inszeniert, gesungen und gespielt wird wie hier in Frankfurt!

Inhalt:

Die Haushälterin Don Perlimplíns, Marcolfa, überredet ihren ledigen Herrn, die Nachbarstochter Belisa zu heiraten, deren Mutter ihre Tochter noch so gerne in die Hände des reichen Alten geben möchte. 

Perlimplin erwartet die Hochzeitsnacht voller Angst, die sich noch steigert, als er in das sechstürige Schlafzimmer kommt. . Von draussen erschallen fünf grelle Pfiffe. Zwei Koboldchen ziehen die Bettvorhänge zu. Perlimplín schläft ein und erwacht wieder mit goldenen Hörnern. Belisa liegt total erschöpft neben ihm. sie kann die Existenz von fünf Hüten im Schlafzimmer und fünf Leitern vor den Fenstern nicht erklren und schläft erneut ein.

Marcolfa erzählt ihrem Herrn, dass Belisa ihn betrogen habe, da während der Nacht fünf verschiedne Männer ins Schlafzimmer gekommen seien. Ein um einen Stein gewickelter Brief fliegt ins Schlafzimmer. Belisa nimmt ihn sofort an sich und gesteht, dass sie noch einen (unbekannten) Herrn erwarte. Perlimplín will nur Belisas Glück und lässt ihr ausrichten, dass der erwartete Unbekannte in der kommenden nacht in einen roten Umhang gehüllt in den Garten kommen werde. 

Die liebestolle Belisa erwartet am nächsten Abend sehnsüchtig den Unbekannten. Perlimplín beobachtet sie aus seinem Versteck. Er gibt sich zu erkennen, fuchtelt mit einem Dolch herum und verspricht, seinen Nebenbuhler zu töten. Belisa bleibt verzweifelt zurück und wünscht sich, dass ihr Gatte sterben möge. Da schwankt ein Schwerverwundeter in einem roten Umhang auf sie zu. Belisa umarmt ihn zärtlich. Der Verwundete gibt sich zu erkennen: Ich bin meine Seele - und du bist mein Leib! Perlimplín stirbt in Belisas Armen. Belisas imginärer Jüngling wird niemals erscheinen. 

Werk: 

Wolfgang Fortner (1907-1987) war einer der bedeutendsten Komponisten Deutschlands im 20. Jahrhundert. Fortner studierte Orgel und Komposition in Leipzig. Er gründetet das Heidelberger Kammerorchester, das sich vorwiegend den Werken zeitgenössischer Komponisten widmete.  Nicht ganz unumstritten war seine Rolle zur Zeit der Nazi-Herrschaft ab den Dreissiger Jahren: Er übernahm die Leitung des Bann-Orchesters der Hitler-Jugend und stellte einen Aufnahmeantrag in die NSDAP; ab 1940 wurde er als Mitglied der NSDAP gelistet. Im Entnazifizierungsverfahren nach 1945 wurde Fortner als Mitläufer eingestuft und erlitt kein Berufsverbot. Er wurde erhielt Professuren in Detmold und Freiburg, war Gründungsmitglied der Kranichsteiner (Darmstädter) Ferienkurse für Neue Musik, Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und erhielt 1977 das Grosse Bundesverdienstkreuz mit Stern, sowie die Ehrendoktorwürde der Universitäten von Heidleberg und Freiburg. Zu seinen Schülern zählten u.a. Hans Werner Henze, Bernd Alois Zimmermann, Rudolf Kelterborn und Wolfgang Rihm. 

Fortner lernte 1948 den Hamburger Studenten Wolfgang Held kennen, der sein Lebenspartner wurde und den er 1958 adoptierte. Held wurde dank Fortners Vermittlung Musiklehrer an der Odenwaldschule - und wurde später als einer der Haupttäter im hundertfachen, systematischen sexuellen Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule eingestuft.

Fortners Kompositionen, die weitgehend auf Zwölftonreihen fussen, sind nie strikt orthodox. Er sah in der Dodekaphonie eher die Fortführung der tradierten Kontrapunkttechnik. Seine Werke werden heutzutage nicht mehr sehr oft aufgeführt. Die Oper BLUTHOCHZEIT (ebenfalls nach einer Vorlage García Lorcas) war wohl sein erfolgreichstes Werk im Bereich des Musiktheaters.

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