Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

München, Staatsoper: TRISTAN UND ISOLDE, 29.07.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tristan und Isolde

copyright aller Bilder: Wilfried Hösl, mit freundlicher Genehmigung Bayerische Staatsoper München

Handlung in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text : vom Komponisten, nach Gottfried von Strassburg Uraufführung: 10. Juni 1865, Nationaltheater, München | Aufführungen in München (Wiederaufnahme): 21.7. | 24.7. | 29.7.2023

Kritik:

SO VIELE KLUGE GEDANKEN - SO ZÄHFLÜSSIG UMGESETZT
An Richard Wagners Handlung in drei Aufzügen TRISTAN UND ISOLDE beißen sich so manche Regisseure die Zähne aus, flüchten oftmals in totale Abstraktion. Nicht so der polnische Intellektuelle Krzysztof Warlikowski. Im Programmheft macht er sich so viele kluge und nachvollziehbare Gedanken zu Wagners Meisterwerk. Warlikowski spricht da von transgressiver, also alle gängigen moralischen und/oder gesellschaftlich aufoktroyierten Grenzen überchreitender Liebe. Er betont die Wichtigkeit der in der Oper nicht gezeigten (wohl aber besungenen) Vorgeschichte der Handlung, erwähnt die fatalen Auswirkungen von Kriegen, denen Liebende ausgesetzt werden, erzählt vom Aufwachsen als Waise (Tristan), beschreibt die Erlösung des gemeinsamen Suizids als ultimative und rauschhafte Grenzüberschreitung. So weit, so intelligent. Nur leider wird das auf der Bühne dermaßen zäh und distanziert intellektualisiert umgesetzt, dass vor allem der erste Akt von ermüdender Langatmigkeit geprägt ist. Auch einige symbolträchtige filmische Sequenzen auf der grossen Leinwand, welche die beiden Protagonisten in besonders persönlichen  Szenen von den restlichen Personen trennt, bringt da nicht allzuviel Spannung rein. Aber die von Kamil Polak geschaffenen Videosequenzen sind wirklich toll: das frei über der Unendlichkeit des Ozeans fliegende Möwenpaar, die Flucht durch lange, leere Flure - Kubricks SHINING lässt grüßen - , Isolde als einsame Diva mit Sonnenbrille im Hotelzimmer, das ins Extreme zoomende Video der Blumentapete bei der Einnahme des verhängnisvollen Liebestrankes, das im Video wortwörtlich umgesetzte "Ertrinken, versinken" des Liebespaares im überfluteten Hotelzimmerbett. Für die Einheits-Bühne hat Malgorzata Szcześniak (sie entwarf auch die Kostüme) einen Saal - ohne Gemälde an den Wänden - der Galerie Paul Rosenberg in Paris als Vorbild genommen (holzgetäfelt, was denn sonst ...), ein Ort, wo jüdisches Eigentum an Kunstwerken geraubt und/oder in alle Welt zerstreut wurde. Die vier Lederfauteuils werden immer wieder unterschiedlich arrangiert, während allen drei Aufzügen suchen die beiden Protagonisten immer wieder Zuflucht auf der Chaiselongue aus dem Sprechzimmer Sigmund Freuds, die am rechten Bühnenrand positioniert ist. Darin liegt im dritten Akt auch ein Humanoid-Clon Tristans, während der echte Tristan mit Puppen-Humanoiden (die wohl seine nie erlebte Familie darstellen) am Kaffeetisch sitzt. Bei der intimen Zurschaustellung der psychischen Befindlichkeiten vergisst der Regisseur Warlikowski allerdings, dass wir uns in einem der größten Opernhäuser Europas befinden und nicht im Kino, wo wir dank Nahaufnahmen von Mimik und Gesten mehr Anteil nehmen könnten. So kommen bestenfalls die ersten Parkettreihen in den Genuss des Dramas, alle anderen Besucher*innen müssen sich mit langweiligem Herumstehen und vor allem Herumsitzen (während des langen Liebesduetts im zweiten Akt) der Protagonisten begnügen. Zeitlich und situationsbezogen hat sich Warlikowski allerdings nicht festlegen wollen. Neben den assoziativen Möbelstücken und dem Raum stellten die Kostüme einen Mix durch die Jahrhunderte dar: Divenhaft (das Kleid könnte aus TOSCA stammen) und Businesswoman-like für Isolde, Kapitänsgalauniform für Tristan, körperbetont für das parallele androgyne Humanoidenpaar, Kreuzritterumhang für den jungen Seemann in Unterwäsche, der sich  auch als Jung-Tristan von Brangäne (als Krankenschwester) im ersten Weltkrieg seine Kriegsverletzung verbinden ließ. 
STEIGERUNGEN VON AKT ZU AKT
Musikalisch hatte es den Anschein, dass man sich während des ersten Aktes noch etwas finden musste. Der Dirigent Lothar Koenigs war erst ein paar Tage vor der Aufführungsserie der Festspiele für Juraj Valcuha eingesprungen, Kirill Petrenko, der Dirigent der Premiere vor zwei Jahren, stand als neuer Chef der Berliner Philharmoniker selbstredend nicht mehr zur Verfügung. Von stupender stimmlicher Qualität waren von Beginn weg die Sängerin und der Sänger der Titelrollen.  So der Tristan von Stuart Skelton, der sich Fieberwahn des gefürchteten dritten Aktes in einen regelrechten Trancerausch zu steigern vermochte, wunderbar getragene Piani hören ließ, mühelose, frei strömende Höhen und bruchlose, unverschattete Übergänge schaffte. Seine Leibesfülle stand einer packenden Darstellung etwas im Wege, sein Tristan war eher ein Rückblick eines schwerfälligen alten Mannes auf seine Jugendjahre. Anja Kampe hingegen verstand es, die psychischen Probleme der Isolde mit grandioser Intensität nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch so über die Rampe zu bringen, dass man ihr auch vom zweiten Rang aus mit Interesse und Aufmerksamkeit folgen konnte. Ihre musikalische Interpretation ist von überragender Souveränität, die Textsicherheit phänomenal und der Liebestod am Ende geriet zu einem unter die Haut gehenden Kulminationspunkt der Aufführung, an dem auch das herrlich und klanglich packend spielende Bayerische Staatsorchester unter der wunderbar differenzierenden und die Kernthemen so phantastisch aushorchenden Leitung Lothar Koenigs immensen Anteil hatte - so stellte sich ab dem Ende des zweiten Aktes die Tristan-Sogwirkung definitiv ein. Herauszuheben ist auch das Englischhorn Solo von Marlene Gomes im dritten Akt, das sie einem Clon auf der Bühne vorzuspielen hatte. Die Brangäne von Jamie Barton klang mir zu "ältlich", ihr "Habet acht" zum Liebesduette im zweiten Akt entbehrte in der Herbheit des Klangs der Magie, welche diese Szene mit einer wärmeren Stimme zu evozieren vermag. Allerdings versöhnte sie mich mit den wunderbar gesungenen Phrasen "Sie wacht, sie lebt" im letzten Aufzug. Das war überaus ergreifend gesungen von Jamie Barton. Wolfgang Koch als Kurwenal war neben dem markanten Melot von Sean Michel Plumb der einzige Sänger der Hauptpartien, welcher schon bei der Premiere vor zwei Jahren dabei gewesen war. Sein Kurwenal war im ersten Akt selbstsicher, souverän, spöttisch- überheblich, im letzten Akt dann besorgt und verzweifelt, dann von rasender Rache- und Mordlust durchdrungen. Wolfgang Koch erfüllte die Partie mit all diesen Schattierungen. Liam Bonthrone ließ mit wunderbar geschmeidiger und heller Tenorstimme als junger Seemann aufhorchen, wunderschön intonierte auch Jonas Hacker als Hirte. Christian Rieger war der Steuermann, der leider nur einige Worte zu singen hat.
DER FALL RENÉ PAPE
Vor einem Jahr führte ein homophober, verworren formulierter Tweet des Bassisten René Pape zu Verärgerungen in der LGBTQ Community (und außerhalb). Pape kritisierte damals die Teilnahme von Mitgliedern der New Yorker Met an der Pride Parade in New York und erklärte, dass er deshalb nie wieder an der Met singen wolle. Der Entrüstungssturm in den sozialen Netzwerken war immens. Pape sah sich gezwungen, den Tweet zu löschen und sich zu entschuldigen. Er reichte auch eine Erklärung nach, legte seinen Alkoholismus und die damit einhergehenden Dämonen offen. Dafür muss man ihm allergrößten Respekt zollen. Der weltberühmte Bass hat sich auch eine kurze Auszeit genommen und steht nun wieder auf der Bühne - und wie! Seine Interpretation der Rolle König Markes ist phänomenal. Die Profundität seines Basses, die textliche Durchdringung, die Reinheit der Intonation und die Diktion sind auf einem Niveau, das absolute Spitzenklasse besitzt. Mein mit Abstand bester live gehörter Marke. Hut ab!

Inhalt:
Vorgeschichte:
Tristan tötet im Befreiungskampf um Cornwall den Iren Morold und schickt seinen Kopf dessen Verlobter Isolde nach Irland. Auch er selbst wird im Kampf schwer verwundet und lässt sich von der in heilenden Künsten bewanderten Isolde behandeln. Diese erkennt in ihm jedoch den Mörder ihres Verlobten, vermag es aber nicht, ihn zu töten. Tristan kommt erneut nach Irland und nimmt Isolde als Friedenspfand für seinen König (Marke) mit.

Oper:

Auf dem Schiff überhäuft Isolde Tristan mit bitteren Vorwürfen. Sie weigert sich an Land zu gehen, wenn Tristan nicht mit ihr den Sühnetrunk zu sich nehmen werde. Isoldes Vertraute, Brangäne hat jedoch den Todestrunk mit dem Liebestrank vertauscht. Tristan und Isolde gestehen einander ihre Liebe.
Isolde, unterdessen König Markes Gemahlin, erwartet Tristan voller Ungelduld im Garten. Die beiden Liebenden vereinigen sich in einem ekstatischen Rausch und hören nicht auf Brangänes Warnrufe. Von Melot, einem alten Kampfgefährten Tristans, herbeigrufen, erscheint Marke, der sich bitter enttäuscht zeigt über den vermeintlichen Treuebruch seines Helden Tristan. Mit einem letzten Kuss für Isolde provoziert Tristan Melot. Dieser verwundet ihn schwer.
Tristan wird von seinem Getreuen Kurwenal auf die Burg seiner Väter gebracht. In Fieberfantasien sehnt er seine Heilerin und Erlöserin Isolde herbei. Kurwenal hat nach Isolde geschickt, ihr Schiff legt endlich an, doch zu spät. In Isoldes Armen stirbt Tristan. In einem zweiten Schiff erreichen auch König Marke, Melot und Brangäne die Burg. Kurwenal erschlägt Melot, wird aber selbst auch tödlich verwundet. Marke, nun von Brangäne über die Zusammenhänge aufgeklärt, beklagt die Toten.
Isolde sinkt in visionärem Wahn über Tristans Leiche: „Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ lauten ihre letzten Worte.

Werk:
Fünf Jahre dauerte es nach der Fertigstellung der Komposition bis zur Uraufführung in München. Wien brach die Produktion nach 77 Proben ab, das Werk galt als unspielbar. Die immensen Anforderungen, welche an die beiden Interpreten der Titelpartien gestellt werden, erfordern Sänger allergrössten Formats.
Wagner hat in seinem wohl schönsten Werk private Konflikte (seine Beziehung zur Frau seines Mäzens Wesendonck) verarbeitet und auf wunderbare Weise sublimiert. Ausgehend vom berühmtesten Akkord der Musikgeschichte, dem Tristan-Akkord F-H-Dis-Gis entwickelt er eine Musik voller Trugschlüsse, chromatischen Wendungen, raffinierten Übergängen, angepeilten und doch nie erreichten Auflösungen, welche ein wahrhaftes Versinken in der Musik ermöglichen. Diese unendliche Melodie voll aufgebauter Spannung, die sich selten löst, übt auf das Ohr eine ungeheure Sogwirkung mit Suchtpotential aus.

Höhepunkte:
Vorspiel mit Tristan Akkord
O sink hernieder, Nacht der Liebe, grosse Szene Isolde-Tristan, Aufzug II
Mild und leise, wie er lächelt, Schlussszene der Isolde, Aufzug III

Karten

 

Zurück