Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

München, Staatsoper: AIDA, 30.07.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Aida

copyright aller Bilder: Wilfried Hoesl, mit freundlicher Genehmigung Bayerische Staatsoper München

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Antonio Ghislanzoni | Uraufführung: 24. Dezember 1871 in Kairo | Aufführungen in München: 23.7. | 27.7. | 30.7.2023

Kritik:

HEIMAT UND TRANSGRESSION

La patria - immer wieder kehrt die Klage um die verlorene Heimat oder die Sehnsucht nach der Geborgenheit in der Heimat in Verdis Opern wieder. Man denke nur an NABUCCO, MACBETH, I VESPRI SICILIANI oder an die Kerkerszene im TROVATORE. AIDA reiht sich prominent in diese Auflistung ein - so oft kommt das Wort "patria" wohl in keiner anderen Verdi-Oper vor wie in AIDA. Doch was ist Heimat, wo kann sie für die Oper AIDA verortet werden? Dieser wichtigen Frage spürte der Regisseur der Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper, Damiano Michieletto, nach. Er fand zu einer einfachen, überraschenden und bestechenden Lösung: Es ist die kommunale Sporthalle! Hier haben die Menschen glückliche Stunden verbracht, fühlten sich in der Gemeinschaft (z.B. der Vereine, der gesellschaftlichen Anlässe, des familiären Umfelds) geborgen. In dieser nun von einem Bürgerkrieg zerstörten Turnhalle siedelt Michieletto das Geschehen an. Sein Bühnenbildner Paolo Fantin hat ihm dazu eine erschreckend realistische Szenerie geschaffen. Bombeneinschläge haben die Decke durchlöchert, Putz blättert von den Wänden, die Sportgeräte stehen nutzlos herum, die Türen sind weg gesprengt, der Blick hinaus geht in Ödnis. Die Menschen sitzen depressiv und niedergeschlagen herum. Aida steht zum Vorspiel in dieser Turnhalle, träumt in dieser desolaten Umgebung zu den zarten Klängen der Violinen von glücklichen Tagen in Geborgenheit, gibt Wolldecken für Obdachlose aus. Das Licht wird fahler, ein kleines Mädchen springt herein (Klein-Aida), greift sich den Gymnastikreif und beginnt zu spielen, zu tanzen. Später wird man sie mit der Mutter und dem Vater Amonasro sehen, eine Familienidylle, die durch den Bürgerkrieg zerstört worden war. In den Köpfen der Menschen ist nur noch die Erinnerung an das Glück geblieben - und der Traum, wieder dahin zurückzufinden. 

Das zweite Thema der Oper ist - darin eine Parallele zu TRISTAN UND ISOLDE - die transgressive Liebe. Aida gehört der im Bürgerkrieg unterlegenen Partei an, Radamès war auf der Gewinnerseite. Ihre Liebe scheint also von Beginn weg aufgrund der gesellschaftlichen Vorurteile unmöglich. Das spüren beide relativ schnell - und wie Tristan und Isolde suchen sie den Ausweg im gemeinsamen Suizid, willentlich. Denn Aida hätte sich nicht einmauern lassen müssen und Radamès hätte sich verteidigen können, hätte mit der von Amneris angebotenen Hilfe der Verurteilung wegen Hochverrats entkommen können. Michieletto nun setzt die beiden Hauptthemen mit einfühlsamer, genau auf den Text bezogener Subtiltät und Genauigkeit um, die erstmal in ihrer inhaltlichen Stimmigkeit verblüfft, vor allem aber zutiefst berührt. So muss Oper! Das Finale des zweiten Aktes ist eine hohle Triumphmarschmusik. Verdi wollte nämlich keineswegs militärische Aktionen glorifizieren, sondern legte in der Primitivität des Triumphmarsches seine Kritik an Gewalt offen. Nicht umsonst hat er im selben Finale das Leiden der Kriegsgefangenen so emotional mit dem Triumphgeheule der Sieger kontrastiert. Einige Besucher setzten beim Fallen des Vorhangs zu einem Buhgeheule an. Warum? Michieletto zeigte ganz deutlich, was Krieg bedeutet, welche unbeschreiblichen Folgen Krieg hat. Die Orden wurden an Generäle verliehen, die psychisch traumatisiert und/oder körperlich dermaßen versehrt waren, dass man kaum hinschauen konnte. Aus den Bombenlöchern an der Decke rieselte schwarze Asche, ebenso aus den Stiefeln, welche die notleidende Bevölkerung quasi der Armee als Opfergabe gespendet hatte. Was wollen denn die buhenden Zuschauer in einer AIDA sehen? Sklavenballette in Baströckchen und Elefanten? Solches Pseudo-Ägypten gibt's nur in der Fantasie eines Zeffirelli, hat aber mit dem historischen Hintergrund (deutsch-französischer Krieg) oder Verdis Pazifismus und Religionskritik nichts zu tun. Michieletto hat die Charaktere genau analysiert und hinterfragt. Seine Zeichnung der Amneris z.B. gerät äußerst differenziert - auch sie ist ein Opfer, mit dem man im Verlauf der Handlung mehr und mehr mitfühlt. Der Oberpriester Ramfis hat nichts mehr mit "Religion" zu tun: Seine Götter sind Korruption, Gewalt, Machtstreben. Er wird als knallharter, intriganten Krimineller gezeichnet, der den König manipuliert und sich zwecks Machtstrebens an Amneris heranmacht, sobald Radamès in Ungnade gefallen ist. Ganz am Ende streift er ihr eine Ring an den Finger, sie leistet Widerstand, wehrt sich gegen seine körperlichen Übergriffe. Wie lange wird sie das durchhalten können?

Doch ganze ohne Hoffnung lässt Michieletto die Oper nicht enden: Zu "O terra addio, addio valle di pianti", diesem wunderschönen, zarten Schlussduett von Aida und Radamès vor dem gigantischen Aschehaufen, lässt der Regisseur die Menschen hoffnungsvoll und in Zeitlupe mit Luftballonen aus den Trümmern heraufsteigen, sich in Tänzen vereinigen. Auch Aidas erpresserischer (und von Ramfis erschossener) Vater ist darunter, tanzt mit Aidas toter Mutter. Ein Traumbild zwar, doch berührend schön und sowohl musik- als auch textbezogen.

DIE SÄNGER*INNEN

Elena Stikhina sang eine berückend zarte Aida, sehr lyrisch angelegt, so wunderbar verschmelzend mit dieser Lichtgestalt der Humanität, als die sie der Regisseur zeichnete. Das "Numi pietà" in der Szene "Ritorna vincitor" mit ergreifendem Piano erfüllt, die Nilarie mit herrlichen, unforciert schwebenden Höhen, die Aktfinali klanglich bereichernd, ohne jegliche divenhafte Attitüde. Ihre Rivalin Amneris, im strengen Deux-Pièces (treffliche Kostümdramaturgie von Carla Teti), wurde mit wunderschön gerundetem Mezzo von Judit Kutasi interpretiert. In keinem Moment klang diese Amneris hässlich, auch im Forte blieben ihre Ausbrüche kontrolliert. Ihre Emotionen, ihre Sensibilität wurden in der Gerichtsszene offenbar. Was für eine stupende musikalische Durchdringung der Partie gelang der Mezzosopranistin Judit Kutasi hier. Zwischen den beiden Frauen der begehrte Mann, der nach dem erfolgreichen Feldzug nur noch ein psychisches Wrack ist: Der Radamès von Riccardo Massi, vor einigen Tagen für Brian Jagde eingesprungen, fügte sich überzeugend in die Produktion ein. Das "Celeste Aida" sang er sehr schön, einige kleinere Vokalverfärbungen irritierten kurzzeitig, ein kurzes Atemholen vor dem hohen B (nicht im Pianissimo, aber immerhin noch in einem akzeptablen mezzoforte gesungen) gab Sicherheit. Danach sang er einen imponierenden Radamès ohne Fehl und Tadel, legte seine Zerrissenheit zwischen Vaterlands - und transgressiver Liebe glaubhaft offen. Sein Tenor klingt mit angenehmem, warmem Timbre, ist sicher, durchschlagskräftig und uneitel geführt. Großen Eindruck machte der schwarze Bass von Alexander Köpeczi als Ramfis. Der Sänger ließ sich zwar als indisponiert ansagen, da er sich gar nicht gut fühle, davon ließ er das Publikum aber gar nichts spüren. Für seine immense Leistungen wurde er dann am Ende (wie das gesamte Ensemble) lautstark gefeiert. George Petean sang einen fantastischen Amonasro, hart in der Erpressung seiner Tochter Aida, weich in der Beschwörung der heimatlichen Gefilde, der besseren Welt. Wenn die beiden Stimmen mit überragender Klangschönheit im grosse Duett Vater-Tochter im dritten Akt miteinander verschmelzen und der Vater dann mit der brutalen Erpressung loslegt, gerät das dank Verdi und den beiden großartigen Interpreten zu einem eindringlichen musikdramatischen Moment. Alexandros Stavrakakis sang mit imposanten Bass den (charakterlich schwachen) König, James Ley und Elmira Karakhanova ließen als Messaggero respektive Sacerdottessa mit wunderschönen Stimmen aufhorchen.

CHOR UND ORCHESTER

Daniele Rustioni am Pult des bestens disponierten Bayerischen Staatsorchesters setzte stimmige farbliche Akzente, ließ die von Verdi so trefflich komponierten Schattierungen zur klanglichen Charakterisierung von Personen und Szenen mal mit Wucht explodieren, dann wieder mit zarter Feinheit herein schweben. Ganz wunderbar. Ein dickes Lob gebührt auch dem Bayerischen Staatsopernchor und dem Extrachor, die von Johannes Knecht für ihre wichtige und große Aufgabe vorbereitet worden waren. Zusammen mit der Statisterie und der Kinderstatisterie (!!!) sorgten sie auch darstellerisch für überragende szenische Glaubwürdigkeit. Nach dem tosenden Applaus machte ich mich bewegt und erfüllt von einer der überzeugendsten Aida-Produktionen, die ich je erleben durfte, auf den Weg ins Hotel - verfolgt von den toten, starren Blicken der Augen, welche immer wieder auf die Wand der Turnhalle projiziert worden waren (konzipiert von rocafilm) und von einem Satz im (ausgezeichnet konzipierten) Programmheft, der einen gerade in jetzigen Zeit zum Nachdenken zwingt: MENSCHEN HABEN DIE TRÜGERISCHE HOFFNUNG, DASS DIE ENTLADUNG DER GEWALT DIE GEWALT BREMST. (Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung)

Werk:

Trotz aller Arenatauglichkeit ist Verdis drittletzte Oper weniger ein Massenspektakel, eher ein intimes Kammerspiel mit einigen effektreichen Massenszenen (der gewaltige Triumphmarsch am Ende des zweiten Aktes mit seiner Zusammenführung der im Verlauf des Werks leitmotivartig verarbeiteten Themen). Pikante Kolorierungen exotischen Einschlags und Versuche, ein durchkomponiertes Musikdrama zu schaffen, vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es sich bei AIDA um eine durch und durch italienische Nummern-Oper handelt. Verdi hat dem Orchester allerdings eine wichtige Aufgabe zugeschrieben, gegenüber früheren Werken ist die Eigenständigkeit des Orchesterparts gewaltig gesteigert und unterstützt so die Singstimmen in ihrer Darstellung der Gefühle und Leidenschaften und malt eindrucksvolle Stimmungsbilder (z. B. als Einleitung zur Nilarie).

AIDA war weder die Eröffnungsoper der Kairoer Oper (das war RIGOLETTO) noch wurde sie zur Eröffnung des Suez-Kanals (1869) gespielt, wie oft fälschlicherweise kolportiert wird. Sie war jedoch ein Auftragswerk des Opernenthusiasten Ismail Pascha, Khedive von Ägypten. Verdi begeisterte sich schnell für das exotische Sujet und kam auch dem Wunsch des ägyptischen Vizekönigs nach, die Uraufführung (gegen eine exorbitante Gage notabene) in Kairo stattfinden zu lassen. Diese musste jedoch wegen der Wirren des Deutsch-Französischen Krieges um beinahe ein Jahr verschoben werden. AIDA gehört seither ununterbrochen zu den Stützen des Repertoires und ist ein Garant für volle Kassen. Die Oper bietet zudem dankbare Paraderollen für Soprane und Mezzosoprane. Bekannte Interpretinnen der Aida wurden u.a. Maria Chiara, Maria Callas, Leontyne Price, Montserrat Caballé, Birgit Nilsson; die Rolle der Amneris wurde durch Grace Bumbry, Elena Obratzsova, Fiorenza Cossotto, Fedora Barbieri, Giulietta Simionato u.a. exemplarisch geprägt.

Inhalt:

Aida lebt als Sklavin des äthiopischen Königs am Hof der ägyptischen Pharaonen. Doch ist dort ihre königliche Abstammung nicht bekannt. Sie hat ein inniges Liebesverhältnis mit dem ägyptischen Feldherrn Radames. Durch einen fiesen Schachzug kommt die Pharaonentochter Amneris hinter das Geheimnis. Da sie ebenfalls in Radames verliebt ist, bricht die Rivalität zwischen den beiden offen aus. Radames kommt erfolgreich aus einem Feldzug gegen die Äthiopier zurück. Unter den Gefangenen befindet sich auch Aidas Vater Amonasro. Er verlangt von Aida, dass sie Radames strategische Geheimnisse entlocke. Nach einigem Zögern willigt Aida ein. Als Radames seinen Vaterlandsverrat erkennt, ist es bereits zu spät. Amneris und der Hohepriester Ramphis überraschen die drei. Aida kann noch fliehen, Amonasro fällt. Radames wird verhaftet und des Hochverrats angeklagt. Er wird nach dem Prozess lebendig begraben. Aida hat sich in sein Grab geschmuggelt. Gemeinsam nehmen sie Abschied von der Welt. Amneris betet über dem Grab zu Isis, Radames' Seele möge in Frieden ruhen.

Musikalische Höhepunkte:

Celeste Aida, Arie des Radames, Akt I (mit dem gefürchtenten, pianissimo zu singenden hohen B am Ende)

Ritorna vincitor, Arie der Aida, Akt I

Vieni, sul crin ti poivano …, Amneris-Aida, Akt II

Gloria al Egitto, Triumphmarsch und Finale Akt II

O patria mia, Arie der Aida, Akt III (Nilarie)

Gerichtsszene, Amneris-Radames-Ramfis-Priester, Akt IV

O terra, addio, Duett Aida-Radames, mit Gebet der Amneris Akt IV

Karten

Zurück