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St.Gallen: LOHENGRIN, 30.10.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Lohengrin

copyright: IKO FREESE, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

Romantische Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 28. August 1850 in Weimar | Aufführungen in St.Gallen: 22.10. | 30.10. | 4l11l | 13.11. | 27.11. | 3.12.2016 | 7.1.2017

Kritik:

Respekt! Dem Theater St.Gallen ist es gelungen, für die erste Aufführung von Wagners LOHENGRIN seit über hundert Jahren in der Gallusstadt eine exzellente Besetzung für die wohl schönste (und nach Wagners eigenen Worten „allertraurigste“) Oper des Meisters zu präsentieren. Martin Muehle singt einen edlen Schwanenritter, einen lichten Helden, mit durchaus sensiblen Seiten, schwankend (nicht stimmlich!) zwischen Machismo-Ansprüchen an das männliche Geschlecht und einem Hauch von Selbstzweifeln, eine stimmlich und darstellerisch hervorragend gelungene Durchdringung des eben nicht nur edlen Charakters des Titelhelden. Seine Leistung kulminiert in einer fantastisch klar intonierten Gralserzählung gegen Ende des dritten Aktes. Muehles Stimme klingt überaus viril, ist kein anämischer, knabenhaft klingender Tenor, sondern kann durchaus autoritär das Frageverbot verkünden oder sich als Führer der Brabanter ausrufen – und doch ist immer auch eine leichte Zerbrechlichkeit des nach aussen strahlenden (Comic-)-Helden zu spüren. Ihm ebenbürtig ist seine Gegenspielerin Ortrud, mit der ihn eigentlich mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes verbindet: Beide verkörpern im Stück die märchenhaften Figuren, er der „gute“ Erlöser, sie die dunkle Zauberin, die Kämpferin gegen das von Lohengrin verkörperte Patriarchat. Elena Pankratova (weltweit von der Scala über Covent Garden bis zur Bayerischen Staatsoper gefeierte Färberin in DIE FRAU OHNE SCHATTEN und letzten Sommer in Bayreuth als Kundry bejubelt) verleiht dieser Figur mit sparsamer Gestik eine ungemein packende Grösse und Kraft. Dabei singt sie die Partie geradezu himmlisch rein, da ist nichts von keifender Hexe zu hören, nein, sie versteht es auf grandiose Art, sich mit zuckersüssem Gesang bei Elsa einzuschleimen, deren Psyche mit ihrem Gift zu tränken. Dieser Szene ist auch von Regisseur Vincent Boussard ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden: Ortrud erscheint mit einem Tablett, serviert Elsa den Tee und flösst ihr so den reichlich gezuckerten, bitteren Trank ein. Auch vor dem Münster erscheint Ortrud nochmals mit der Teetasse und mit einer boshaften Nonchalence sondergleichen konfrontiert sie Lohengrin. Ein Ereignis auch die grosse Szene zwischen Ortrud und Telramund zu Beginn des zweiten Aktes: Da ist eine irrsinnige musikalische Spannung zu erleben mit dem Höhepunkt von Pankratovas fulminant gesungenem Entweihte Götter, Tönen, die zwar durch Mark und Bein gehen, und doch als präzise kontrollierte Phrasen erschallen. Ihren von ihr gesteuerten Ehemann Telramund singt Simon Neal mit wunderbar kerniger, markanter Baritonstimme und verleiht der an sich nicht gerade sympathischen Figur eine Fülle an Facetten, die ihn zum komplexen, interessanten Charakter werden lassen. Strahlend und licht dagegen schwingt sich die wunderbar sicher geführte Sopranstimme von Elisabeth Teige auf (die Karriere dieser jungen norwegischen Sopranistin muss man unbedingt im Auge und im Ohr behalten), erfüllt ihre „Arien“ Einsam in trüben Tagen, Euch Lüften, die mein Klagen, das Duett mit Ortrud Es gibt ein Glück, das ohne Reu' und die Brautgemachszene mit Lohengrin mit berührender Intensität, einer Intensität, welche sie auch in der Darstellung erreicht. Denn für den Regisseur Vincent Boussard sollte die Oper eigentlich ELSA heissen. Er erzählt uns die Geschichte ganz aus der Perspektive dieser Frau, welche durch ein traumatisches Erlebnis wohl irre geworden ist (der tote Schwan in ihrem Bett) und nun von ihrem Bett aus in Tag- und Albträumen regelrecht gefangen ist, sich in einer Art Kokon oder Traumgespinst befindet (der transparente Schleier, welcher sie im Bett bedeckt). Sie träumt sich (auch masturbierend) eben diesen Ritter - mit seinen healing hands - herbei, welcher sie von ihrem Vergewaltiger (Telramund) befreit. Die Szene des Gottesgerichts, bei der es Lohengrin gelingt, Telramunds Schwert aus der Matratze (der Scheide) Elsas zu ziehen, spricht erotische und psychotische Bände ... . Interessant besetzt ist auch der König Heinrich mit Steven Humes, der eine eher hell timbrierte, sehr angenehm dem Ohr schmeichelnde Bassstimme besitzt und damit als väterlich besorgter Freund Elsas punktet. Jordan Shanahan schliesslich singt einen ausgezeichneten und prägnanten Heerrufer.

Vincent Lemaire hat für dieses tiefenpsychologisch ausgelotete Spiel einen atmosphärisch überzeugenden Raum geschaffen: Eine schräge, spiegelglatte Ebene durchzieht die Bühne, darauf das Bett Elsas. Den Hintergrund bildet ein geraffter Perlenvorhang, welcher sich dann nach Lohengrins Ankunft löst, ausbreitet und der Bühne etwas Schwirrendes, Irrationales verleiht. Ein grossartiger Effekt, unterstütz durch das stimmige, hoch interessante Lichtdesign von Guido Levi. Gänsehaut stellte sich ein im Finale II mit dem bedrohlichen Schattenwurf der Gestalt Ortruds – „so zieht das Unheil in dies Haus“. Unter der schiefen Ebene befindet sich das eiskalte Reich Ortruds und Telramunds: Hier, in einer Art Friedhof - nicht der Kuscheltiere, sondern der Schwäne – spinnen die beiden ihre Intrigen. Knöcheltief watet Ortrud in weissem Schwanenflaum, den Federn der toten Tiere, welche wie kein anderes Wesen Reinheit und Monogamie symbolisieren, Werte, welche Ortrud in matronenhaftem Outfit torpediert und am Ende auch triumphiert. Denn Elsa hat zwar Lohengrins Schwert und das Horn erhalten, doch den Ring der Superkräfte hat (wie weiland Alberich) Ortrud ergattert. Damit ist natürlich auch die Rückverwandlung des totgeglaubten Bruders von Elsa, Gottfried, durch Lohengrins Wunderkraft obsolet geworden. So sinkt Elsa dann am Ende neben ihrem Bett mit dem toten Schwan drauf zu Recht „entseelt“ nieder, denn die erhoffte Erlösung war halt dann eben doch nur ein Traum.

Die Kostüme hat kein geringerer als der Modedesigner Christian Lacroix entworfen (wie schon vor vier Jahren für die SALOME in St.Gallen). Die Kostümdramaturgie ist in ihrer manchmal rätselhaften Symbolik nicht immer einfach zu entschlüsseln. Da sind beim Herrenchor und bei den brabantischen Edlen (mit sehr viel Bühnenpräsenz die Ensemblemitglieder Riccardo Botta, Nik Kevin Koch, David Maze, Tomislav Lucic) Anklänge an die Entstehungszeit des Werks (später Biedermeier) zu entecken, aber die Chordamen treten dann in Trenchcoats auf. Wollen sie sich emanzipieren? Grossartig in seiner matriarchalischen Strenge ist das schwarze Kleid der Ortrud, wunderschön angepasst die helle Kleidung für Lohengrin, welche die edle Gestalt Martin Muehles mit gehörigem Sexappeal zur Geltung bringt und man Elsa noch weniger versteht, warum sie diesen Prachtskerl durch die ewige Fragerei aus ihrem Bett treibt. Einen Farbtupfer bringen die Edelknaben (wohlklingend: Sheida Damghani, Tatjana Schneider, Theresa Hozhauser, Manuela Iacob Bühlmann) durch ihre Kostümierung als Schweizer Gardisten auf Bühne.

Richard Wagner und Franz Liszt hatten in den 1850er Jahren selbst in St.Gallen dirigiert und damals bestimmt kein grösseres Orchester zur Verfügung gehabt, als Otto Tausk nun mit dem Sinfonieorchester St.Gallen. Tausk gelingt eine vorzügliche Gestaltung der Partitur, er schenkt nicht nur den Vorspielen I und III besondere Aufmerksamkeit, sondern verleiht durch die erreichte Durchhörbarkeit in der Motivik dem Anteil des Orchesters an der hörens- und sehenswerten Produktion besonderes Gewicht. Dass dabei ein vierstündiger Abend nicht ohne kleine Patzer seitens des sehr gut spielenden Orchesters ablaufen kann, ist nicht weiter schlimm. Kleinere Temposchwankungen und Koordinationsprobleme sind auch in den gewichtigen Chorpassagen des nicht immer ganz homogen klingenden Chores zu vernehmen. Daneben freut man sich aber auch an den gelungenen Auftritten der Chöre (Chor des Theaters St.Gallen, Opernchor St.Gallen, Theaterchor Winterthur) - einige ältere Damen im Publikum freuten sich sogar so sehr, dass sie beim Brautchor mitsummten ... .

Der Publikumsandrang hielt sich an diesem späten Sonntagnachmittag in Grenzen, erstaunlich bei einer dermassen guten Besetzung und einer stimmigen, durchdachten Inszenierung, welche ohne aufgesetzten, verstörenden Aktionismus auskommt. Diese mutige, gelungene Produktion würde einen regeren Zuspruch des regionalen und überregionalen Publikums mehr als verdienen.

Werk:

Während seiner Beschäftigung mit dem TANNHÄUSER stolperte Wagner auch über den mittelalterliche LOHENGRIN-Stoff und erkannte in dem strahlenden Ritter sich selbst als einen von Gott gesandten und von der öden Welt missverstandenen Künstler. So lässt sich LOHENGRIN auch als autoritär-patriarchalisches Seelen- und Künstlerdrama begreifen. Das Frageverbot Lohengrins (dieses musikalische Motiv durchzieht die gesamte Oper) kommt geradezu dem göttlichen Verbot des Genusses der Früchte vom Baum der Erkenntnis im Alten Testament gleich und mit dem Brechen des Verbotes durch Elsa landet Wagner einmal mehr bei der Ur-Schuld des Weibes. Elsas Gegenspielerin Ortrud ergeht es durch Wagners Behandlung auch nicht besser: Durch ihre Zerstörung spricht Wagner als reaktionärer Anhänger der „Revolution von oben“ den Frauen jegliche Einmischung in Politik und Kunst ab.

Der Uraufführung (von seinem späteren Schwiegervater, Franz Liszt, geleitet) in Weimar konnte der Komponist nicht beiwohnen, da er wegen Mitbeteiligung an den revolutionären Aufständen steckbrieflich gesucht wurde und sich ins Schweizer Exil begab. Erst 1861 erlebte er erstmals eine (unbefriedigende) Aufführung seiner Oper in Wien.

Nur schon das Vorspiel zum ersten Akt offenbart das kompositions- und orchestrierungstechnische Genie Wagners. „Wir haben hier in der Tat ein gewaltiges, langsames crescendo, welches, auf dem höchsten Grade der Klangfülle angelangt, im umgekehrten Sinne sich zu einem Ausgangspunkte zurückwendet und in einem fast unhörbaren Säuseln endigt. ..für mich ist es ein Meisterwerk.“ (Hector Berlioz)

Obwohl das Drama ganz vom Text her erschlossen und musikalisch durchgestaltet ist, lassen sich in der durchkomponierten Grossform eingebettete „Nummern“ erkennen. Elsas Traumerzählung „Einsam in trüben Tagen“, Elsas Szene „Euch Lüften, die mein Klagen“ und das anschliessende „Duett“ mit Ortrud, welches in der unübertrefflich schönen Phrase endet „Es gibt ein Glück, das ohne Reu' “, der Brautchor im dritten Akt, die Liebesszene im Brautgemach „Wir sind allein“ und Lohengrins Gralserzählung „In fernem Land“.

Giuseppe Verdi sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die sphärisch klingenden geteilten Streicher der TRAVIATA Vorspiele Wagners Grals-Klängen im LOHENGRIN abgekupfert zu haben. Dies trifft jedoch kaum zu, da Verdi den Lohengrin erstmals 1871 in Bologna, beinahe 20 Jahre nach der Entstehung seiner TRAVIATA, gesehen hatte und sich auch sonst der LOHENGRIN vorerst nur zögerlich verbreitete. Heute gehört dieses Werk zu den beliebtesten Opern Richard Wagners.

Inhalt:

König Heinrich I. versucht in Brabant ein Heer zu sammeln, um das Deutsche Reich gegen Einfälle der Ungarn im Osten zu bekämpfen. Doch bald tritt diese Aufgabe in den Hintergurnd, da er Gericht halten muss über einen Erbfolgestreit in Brabant. Die Kinder des verstorbenen Herzogs, Elsa und Gotthelf, sind dem Grafen Freidrich von Telramund anvertraut worden. Telramund klagt Elsa des Brudermordes an, da Gottfried verschwunden sei. Telramund hat Ortrud, eine Nachfahrin eines Friesenfürsten geheiratet und begehrt nun den Thron Brabants. Elsa bestreitet jegliche Schuld und berichtet von einem Traum, in welcher ihr ein Ritter beigestanden sei. Da Aussage gegen Aussage steht, ordnet Heinrich ein Gottesgericht an. Zunächst erscheint jedoch kein Ritter, wlcher für Elsa kämpfen will. Doch plötzlich erscheint ein wundersamer Mann und bürgt für Elsa. Zugleich will er Elsa unter der Bedingung, dass sie ihn nie nach seinem Name und seiner Herkunft befrage, zur Gemahlin nehmen. Im Zeikampf besiegt der strahlende Ritter Telramund, tötet ihn jedoch nicht.

Telramund ist entehrt und bezichtigt seine Gemahlin Ortrud der Schuld. Beide beschliessen, Elsa zur verhängnisvollen Frage zu bewegen und damit ihr Glück zu zerstören. Ortrud schmeichelt sich bei Elsa ein und sät den Zweifel in ihrem Herzen. Als sich der Brautzug mit dem Ritter und Elsa vom Münster her nähert, tritt Ortrud dazwischen und klagt Elsa an, die nicht einmal den Namen ihres Gatten kenne, während sie selbst von adliger Herkunft sei. Telramund klagt den Ritter des Zaubers an, doch König Heinrich weist alle Klagen ab. Auch Elsa bleibt – vorerst – ihrem Versprechen gegenüber noch standhaft.

Doch die üble Saat des Zweifels geht in der Brautnacht auf. Elsa kann nicht länger widerstehen und stellt die verhängnisvolle Frage. Gleichzeitig dringt Telramund mit Verbündeten ins Brautgemach ein. Der Ritter erschlägt ihn. Vor dem König und dem versammelten Volk klagt der Fremde Elsa der Untreue an, da sie ihm die verbotene Frage gestellt habe. Er will sie zwar beantworten, kann aber aus diesem Grund nicht länger in Brabant weilen. In der Gralserzählung schildert er seine Abstammung vom Gralskönig Parzival und nennt seinen Namen: Lohengrin. In schrecklichem Triumpf berichtet Ortrud, dass sie selbst den Herzog Gottfried in einen Schwan verzaubert hätte, in den selben Schwan, welcher nun den Nachen des Ritters zieht. Gottfried wird durch ein Gebet Lohengrins vom Zauber erlöst, Ortrud sinkt tot nieder, Elsa sinkt ebenfalls erschöpft zu Boden und stirbt. Lohengrin entschwindet, unendlich traurig.

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